Wird ein durch die Zeichnung von Wandelschuldverschreibungen begründetes Wandelungsrecht dadurch ausgeübt, dass der Steuerpflichtige Aktien des Emittenten unter Zuzahlung des festgesetzten Wandelungspreises erwirbt, schafft er diese i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG an. Veräußert er die Aktien innerhalb der Jahresfrist wieder, so liegt ein privates Veräußerungsgeschäft gemäß § 22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vor.

Ein privates Veräußerungsgeschäft (§ 22 Nr. 2 EStG) ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung die Veräußerung von Wirtschaftsgütern, insbesondere von Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt. Für die Berechnung dieses Zeitraums sind grundsätzlich die Zeitpunkte der obligatorischen Verträge maßgebend1. Unter Anschaffung bzw. Veräußerung i.S. des § 23 EStG ist nach der Rechtsprechung des BFH die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts zu verstehen2.
Die Vorschrift des § 23 Abs. 1 EStG erfasst nur Veräußerungsgeschäfte über Wirtschaftsgüter. Das veräußerte Wirtschaftsgut muss mit dem erworbenen wirtschaftlich identisch sein. Zweck des § 23 EStG ist es, innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsgutes im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen3.
Wandelschuldverschreibungen sind nach § 221 Abs. 1 des Aktiengesetzes Schuldverschreibungen, bei denen den Gläubigern ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird. Das Wandelungsrecht berechtigt den Gläubiger, gegen Hingabe der Schuldverschreibung und unter Aufgabe der darin verbrieften Rechte Aktien der emittierenden AG zu beziehen4. Der Umtausch der Anleihe gegen Aktie begründet keinen Tauschvertrag im bürgerlich-rechtlichen Sinne5. Das Wandelungsrecht wird dementsprechend als ein Wahl- bzw. Gestaltungsrecht angesehen, dessen Ausübung eine unmittelbare rechtsgestaltende Umwidmung ex nunc des dem Anleiheverhältnis entstammenden Zahlungsanspruchs des Gläubigers in eine Aktionärseinlage zur Folge hat6. Ob alleine ‑wie die Vorentscheidung für nicht handelbare Wandelschuldverschreibungen annimmt- der Umtausch von Wandelschuldverschreibungen in Aktien auf Grund der in den Anleihebedingungen gewährten Befugnis eine „Anschaffung“ der Aktien i.S. des § 23 Abs. 1 EStG darstellt7, braucht für den Streitfall nicht entschieden zu werden. Denn hier war abweichend der Umtausch der Wandelschuldverschreibungen in Aktien von einer Zuzahlung (Wandelungspreis gemäß § 6 Abs. 1 der Anleihebedingungen) abhängig.
Wird ein Wandelungsrecht dadurch ausgeübt, dass der Steuerpflichtige Aktien des Emittenten unter Zuzahlung eines festgesetzten Wandelungspreises erwirbt, und veräußert er diese Aktien innerhalb der Jahresfrist wieder, ist der Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäftes gemäß § 22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt.
Die Anschaffung i.S. von § 23 Abs. 1 EStG der später veräußerten Aktien liegt in derartigen Fällen in ihrem Erwerb gegen Entgelt und nicht bereits in der Zeichnung der Wandelschuldverschreibungen. Die Anschaffungskosten für den Erwerb der Aktien ermitteln sich aus der Summe des gezahlten Kaufpreises für die Wandelschuldverschreibung und der Zuzahlung des festgesetzten Wandelungspreises (einschließlich eines in diesem Zusammenhang dem Steuerpflichtigen gewährten geldwerten Vorteils sowie etwaiger Finanzierungskosten). Denn der Anleger wendet neben dem Kaufpreis für die Wandelanleihe die Zuzahlung auf, um die Aktien zu erwerben. Im Rahmen des Umtausches der Anleihe wird der auf die Anleihe gezahlte Betrag und die Zuzahlung zur Einlage auf die Aktie8.
Der Kauf der Wandelschuldverschreibungen und ihr von der Leistung einer baren Zuzahlung abhängiger Umtausch in Aktien stellen auch keinen wirtschaftlich und steuerrechtlich einheitlichen Vorgang dar. Anders als in dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall9 ändern sich im Streitfall wirtschaftlich nicht lediglich die Zinsbedingungen der ursprünglich erworbenen Wertpapiere.
Eine wirtschaftliche Identität zwischen den zunächst erworbenen Wandelschuldverschreibungen und den später veräußerten Aktien besteht daher nicht.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 1. Oktober 2014 – IX R 55/13
- BFH, Urteil vom 17.12 1997 – X R 88/95, BFHE 185, 40, BStBl II 1998, 343[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 08.04.2003 – IX R 1/01, BFH/NV 2003, 1171[↩]
- ständige Rechtsprechung, BFH, Urteile vom 25.08.1987 – IX R 65/86, BFHE 151, 132, BStBl II 1988, 248, m.w.N.; vom 27.08.1997 – X R 26/95, BFHE 184, 385, BStBl II 1998, 135[↩]
- Merkt in: Karsten Schmidt/Lutter, AktG, Kommentar, § 221 AktG Rz 23; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, S. 114 ff.[↩]
- Habersack in MünchKomm, AktG, 3. Aufl., § 221 AktG Rz 226; Schilling in Großkommentar AktG, § 221 AktG Anm. 1[↩]
- Merkt in: Karsten Schmidt/Lutter, a.a.O., § 221 AktG Rz 24[↩]
- verneinend: RHF, Urteil vom 24.08.1944 – I 21/44, RFHE 54, 128; BFH, Urteile vom 21.02.1973 – I R 106/71, BFHE 109, 22, BStBl II 1973, 460; vom 30.11.1999 – IX R 70/96, BFHE 190, 425, BStBl II 2000, 262; Süß/Zankl, DStR 2005, 547 f., m.w.N. zum Meinungsstand; bejahend: BMF, Schreiben vom 25.10.2004, BStBl I 2004, 1034 Rz 6[↩]
- vgl. Merkt in: Karsten Schmidt/Lutter, a.a.O., § 221 AktG Rz 23[↩]
- in BFHE 190, 425, BStBl II 2000, 262: Umtausch von Wertpapieren mit variablem Zins [Floating-Rate-Notes] in eine festverzinsliche Schuldverschreibung [Bonds][↩]