Rückstellungen wegen zukünftiger Betriebsprüfung

In der Steuerbilanz einer als Großbetrieb im Sinne von § 3 BpO 2000 eingestuften Kapitalgesellschaft sind Rückstellungen für die im Zusammenhang mit einer Außenprüfung bestehenden Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO, soweit diese die am jeweiligen Bilanzstichtag bereits abgelaufenen Wirtschaftsjahre (Prüfungsjahre) betreffen, grundsätzlich auch vor Erlass einer Prüfungsanordnung zu bilden.

Rückstellungen wegen zukünftiger Betriebsprüfung

Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die daraus folgende Passivierungspflicht gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) und war gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 auch für die Steuerbilanz der Klägerin zu beachten1.

Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Gegenstand der Verbindlichkeit können nicht nur Geldschulden, sondern neben Werk- und Dienstleistungspflichten auch Sachleistungsverpflichtungen sein2. Der Umstand, dass der Steuerpflichtige in seiner Steuerbilanz nur Verbindlichkeiten ausweisen darf, die ihn wirtschaftlich belasten3, schließt zwar Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen, die auf öffentlichrechtlichen Vorschriften beruhen, nicht aus. Voraussetzung hierfür ist jedoch bei rechtlich noch nicht entstandenen Verbindlichkeiten4- nicht nur ihre wirtschaftliche Verursachung in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren; neben der Kenntnis des Anspruchsgläubigers muss hinzukommen, dass die auf öffentlichen Vorschriften beruhende Verpflichtung sowohl inhaltlich hinreichend bestimmt als auch in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt, d.h. mit Zwangsmitteln durchsetzbar ist5. Ob diesen Anforderungen entsprochen wird, ist nicht nach der subjektiven Einschätzung des Steuerpflichtigen, sondern nach den objektiv und aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu würdigenden Gegebenheiten des Einzelfalls am Bilanzstichtag zu entscheiden6. Eine hiernach gebildete Rückstellung mindert schließlich nur dann den Gewinn (Einkommen), wenn sie nicht durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung zu neutralisieren ist, weil die in Frage stehenden Aufwendungen einem steuerrechtlichen Abzugsverbot unterliegen und deshalb nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden können7.

Im Schrifttum wird teilweise vertreten, dass Kosten einer zukünftigen Außenprüfung erst ab dem Erlass der Prüfungsanordnung passiviert werden dürfen8. Nach anderer Auffassung sind hingegen (jedenfalls) bei Großbetrieben, die nach § 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 BpO 2000 der sog. Anschlussprüfung unterliegen, Rückstellungen für die zukünftigen Betriebsprüfungskosten zu bilden, die am jeweiligen Bilanzstichtag auf die bis dahin abgelaufenen Wirtschaftsjahre entfallen9.

Der Bundesfinanzhof schließt sich nach Maßgabe der folgenden Ausführungen der zuletzt genannten Ansicht an.

Allerdings war die Klägerin im hier entschiedenen Fall am Bilanzstichtag des Streitjahrs (30.11.2006) noch nicht gemäß § 200 AO zur Mitwirkung an der Außenprüfung betreffend die Wirtschaftsjahre 2004 bis 2006 verpflichtet, da die Betriebsprüfung für diese Zeiträume erst im Jahre 2008 angeordnet wurde.

Nach § 200 Abs. 1 AO hat der Steuerpflichtige im Rahmen einer Außenprüfung bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein können, mitzuwirken (Satz 1) und hierbei insbesondere Auskünfte zu erteilen, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen sowie die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen zu geben (Satz 2). Die Unterlagen sind nach § 200 Abs. 2 AO regelmäßig in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen vorzulegen (Satz 1); darüber hinaus hat er einen zur Durchführung der Außenprüfung geeigneten Raum oder Arbeitsplatz sowie die erforderlichen Hilfsmittel unentgeltlich zur Verfügung zu stellen (Satz 2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ergänzen und modifizieren die Regelungen des § 200 AO für den Fall einer Außenprüfung die allgemeinen Vorschriften über die Mitwirkung der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren (§§ 90 ff. AO)10. Die Mitwirkungspflichten des § 200 AO entstehen deshalb wovon auch die Beteiligten ausgehen- erst mit der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gemäß § 196 AO; Letztere bildet sowohl im Hinblick auf das Prüfungssubjekt als auch den Prüfungsumfang sowie den Prüfungszeitraum den Rahmen für die dem Steuerpflichtigen nach § 200 AO auferlegten Pflichten11.

Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für die Rückstellung einer dem Grunde und der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit vor:

Der Erlass einer Prüfungsanordnung betreffend die Wirtschaftsjahre 2004 bis 2006 gegenüber der Klägerin und damit auch deren Verpflichtung zur Mitwirkung nach § 200 AO, war am 30.11.2006 (Bilanzstichtag) wahrscheinlich.

Maßstab hierfür ist die Prognose dazu, ob am Bilanzstichtag mehr Gründe für als gegen das Entstehen dieser Verpflichtung in der Zukunft sprachen12. Hiervon kann zwar regelmäßig – d.h. ohne Hinzutreten weiterer Umstände – nicht allein aufgrund des Umstands ausgegangen werden, dass am Bilanzstichtag Steuern unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt worden sind. Für den Streitfall hat die Vorinstanz jedoch zu Recht darauf abgestellt, dass nach den Monatsberichten des BMF (Juni 2008, Juni 2009 sowie April 2010) bei Betrieben, die wie die Klägerin- gemäß § 3 BpO 2000 als Großbetriebe eingestuft waren und deshalb nach § 4 Abs. 2 BpO 2000 ohne zeitliche Zäsur geprüft werden sollten (sog. Anschlussbetriebsprüfung), die Wahrscheinlichkeit, dass der einzelne Veranlagungszeitraum geprüft wird, in den Jahren 2007 bis 2009 bei rund 80 % lag. Demgemäß musste auch die Klägerin mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ihr gegenüber für die Jahre 2004 bis 2006 eine Betriebsprüfungsanordnung ergeht, die ohne zeitlichen Abstand an die vorangegangene Außenprüfung (betreffend die Jahre 2001 bis 2003 gegenüber der KG) anschließt.

Soweit das BMF vorträgt, dass – trotz der Soll-Vorgabe des § 4 Abs. 2 BpO 2000 – dem Finanzamt auch für die Prüfung von Großbetrieben ein Auswahlermessen zustehe, berechtigt dieser Einwand weder zu der Annahme, das Entstehen der Verbindlichkeit sei nicht im Sinne der vorbezeichneten Rechtsprechung wahrscheinlich, noch lässt er den Schluss zu, dass bis zum Erlass einer Prüfungsanordnung lediglich die Voraussetzungen einer nur handelsrechtlich passivierbaren Aufwandsrückstellung (vgl. § 249 Abs. 3 HGB a.F.) vorlägen. Der Vortrag lässt nicht nur außer Acht, dass das Auswahlermessen der Finanzbehörden in die statistischen Erhebungen des BMF Eingang gefunden haben und deshalb auch die Klägerin trotz des Auswahlermessens des Finanzamt- mit einer weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit damit rechnen musste, einer Anschlussbetriebsprüfung unterzogen zu werden. Hinzu kommt, dass dann, wenn wie vorliegend- Rückstellungen für dem Grunde nach ungewisse Verpflichtungen im Streit sind, die Frage einer steuerrechtlich nicht anzuerkennenden Aufwandsrückstellung mit Rücksicht auf die rechtliche Qualität der in der Zukunft (wahrscheinlich) entstehenden Verbindlichkeit zu prüfen ist13. Hiernach kann aber nicht fraglich sein, dass die aufgrund einer im Streitfall für die Jahre 2004 bis 2006 zu erwartenden- Prüfungsanordnung begründeten Mitwirkungsverpflichtungen gemäß § 200 AO nicht als innerbetriebliche Obliegenheit, sondern als öffentlichrechtliche Außenverpflichtungen zu qualifizieren sind.

Soweit das Finanzamt geltend macht, dass bei der Entscheidung über eine Anschlussprüfung nach § 4 Abs. 4 BpO 2000 grundsätzlich auf die Größenklasse im Zeitpunkt der Prüfungsanordnung abzustellen sei, vermag auch dieser Einwand jedenfalls für das anhängige Verfahren- keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Da die Einschätzung, ob die ungewisse Verbindlichkeit in der Zukunft wahrscheinlich entstehen, d.h. zu einer zumindest dem Grunde nach gewissen Verbindlichkeit erstarken wird, an den objektiven Verhältnissen am Bilanzstichtag auszurichten ist, könnte der Hinweis auf § 4 Abs. 4 BpO 2000 nur dann die Prognose über das Entstehen der Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO beeinflussen, wenn – was auch vom Finanzamt nicht behauptet wird – spätestens bei Aufstellung des Jahresabschlusses 2005/2006 (31.01.2007) konkrete Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass die Klägerin vor Erlass der Prüfungsanordnung betreffend die Jahre 2004 bis 200614 die für die Qualifikation als Großbetrieb (i.S. des § 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 BpO 2000) maßgeblichen Merkmale nicht mehr erfüllen werde.

Hinzu kommt, dass – was das Finanzamt offensichtlich übersehen hat – nach § 32 Abs. 4 und 5 BpO 2000 die Betriebe nach den auf einen bestimmten Stichtag festgestellten und aus den Veranlagungsergebnissen sowie den Steuererklärungen abgeleiteten Merkmalen in der Betriebskartei zu erfassen sind und eine hiernach gegebene Einstufung als Großbetrieb bis zur nächsten (stichtagsbezogenen) Größenklassenzuordnung unverändert bleibt15. Demnach konnte bereits am Bilanzstichtag (30.11.2006) keinerlei Zweifel darüber bestehen, dass die Klägerin auch die nach dem BMF-Schreiben vom 21.09.200616 für den 19. Prüfungsturnus (2007 bis 2009) ab dem 01.01.2007 geltenden Kriterien eines Großbetriebs erfüllen werde und deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit dem Erlass einer Prüfungsanordnung für die Jahre 2004 bis 2006 rechnen musste.

Anderes ergibt sich nicht aus dem Hinweis des BMF, dass § 194 Abs. 1 Satz 2 AO die Möglichkeit einer sog. Schwerpunktprüfung eröffne und die Finanzämter auch bei Großbetrieben befugt seien, eine abgekürzte Außenprüfung (§ 203 AO) anzuordnen17. Der Vortrag ist – entgegen den Folgerungen des BMF – weder geeignet, die Höhe der Rückstellungen zu begrenzen, noch vermag er im Streitfall die Wahrscheinlichkeit einer umfassenden Prüfung der Jahre 2004 bis 2006 dem Grunde nach in Frage zu stellen. Zum einen deshalb, weil die vom Finanzgericht in Bezug genommenen Monatsberichte des BMF keinerlei Anhalt dafür geben, dass solche sachlichen Prüfungsbeschränkungen bei Großbetrieben in nennenswertem Umfang zum Tragen kommen. Zum anderen lässt der Vortrag unberücksichtigt, dass die Außenprüfung nach § 194 Abs. l und § 199 Abs. l AO grundsätzlich auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt ist18. Demgemäß ist jedenfalls bei Großbetrieben- auch im Rahmen der am Bilanzstichtag gebotenen Wahrscheinlichkeitserwägungen grundsätzlich von der Anordnung einer umfassenden Prüfung (sog. Vollprüfung) und nur ausnahmsweise dann von der Beschränkung des Prüfungsumfangs gemäß § 194 Abs. 1 Satz 2 AO oder § 203 AO auszugehen, wenn hiermit im Einzelfall beispielsweise aufgrund von Erklärungen im Zusammenhang mit den für die Vorjahre durchgeführten Betriebsprüfungen- gerechnet werden muss.

Der Erlass der Prüfungsanordnung für die Jahre 2004 bis 2006 war nicht nur wahrscheinlich, sondern auch in diesen Jahren wirtschaftlich verursacht.

Ein solcher Vergangenheitsbezug erfordert, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das rechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgeblich hierfür ist die wertende Betrachtung des Einzelfalls vor dem Hintergrund der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht19.

Im Streitfall kann nicht zweifelhaft sein, dass die den Rückstellungen zugrunde liegenden Mitwirkungspflichten des § 200 AO insoweit einen Vergangenheitsbezug aufweisen, als die Klägerin nach Maßgabe der Einzelregelungen dieser Vorschrift- an der Feststellung der Sachverhalte mitzuwirken hatte, die für die Besteuerung der bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahre (Wirtschaftsjahr 2003/2004 bis einschließlich Wirtschaftsjahr 2005/2006) von Bedeutung sein konnten.

Ferner bestehen mit Rücksicht auf den Bilanzstichtag (30.11.2006) keine Bedenken dagegen, einen solchen Vergangenheitsbezug auch im Hinblick auf die für das Kalenderjahr 2006 festzusetzende Umsatzsteuer zu bejahen. Die in diesen Besteuerungsperioden verwirklichten Besteuerungsgrundlagen bildeten im Zusammenhang mit der hieraus abgeleiteten fortdauernden Zuordnung der Klägerin zur Gruppe der Großbetriebe die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO. Dass die Prüfung auch Auswirkungen für die Besteuerung der sich an den Prüfungszeitraum anschließenden Besteuerungszeiträume haben kann, steht der Annahme, dass die durch § 200 AO begründeten Pflichten in der Zeit bis zum Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht sind, nicht entgegen, da in solchen zukunftsgerichteten Folgen nicht der Anlass und damit auch nicht das wirtschaftlich wesentliche Merkmal der vergangenheitsbezogenen Außenprüfung zu sehen ist.

Anderes ergibt sich nicht daraus, dass auch bei Großbetrieben die Betriebsprüfungsanordnung auf einer Ermessensentscheidung des Finanzamt beruht. Dabei kann der BFH offenlassen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verbindlichkeit einen hinreichenden Vergangenheitsbezug aufweist, wenn sie erst nach Maßgabe von Ermessenserwägungen entsteht, die zumindest auch auf nach dem Bilanzstichtag eingetretenen Umständen beruhen20. Hierauf ist im Streitfall deshalb nicht einzugehen, weil die Ermessensentscheidung über den Erlass einer Betriebsprüfungsanordnung auch bei Großbetrieben darauf gerichtet ist, eine Auswahlentscheidung über die Prüfungsbedürftigkeit der verschiedenen (Groß-)Betriebe zu treffen. Diese Fallauswahl orientiert sich jedoch, wie u.a. den sog. Rationalisierungserlassen der Länder zu entnehmen ist21, nicht an zukunftsbezogenen Maßstäben, sondern jedenfalls primär- daran, ob und bei welchem Betrieb für den fraglichen Prüfungszeitraum mit wesentlichen Berichtigungen oder Steuernacherhebungen zu rechnen ist. Demnach kann auch dem Umstand, dass diese Ermessensentscheidung erst nach dem Bilanzstichtag getroffen wird, bei der gebotenen wertenden Betrachtung kein wirtschaftlich wesentliches Gewicht dafür gegeben werden, ob für den einzelnen Betrieb eine die Mitwirkungspflichten des § 200 AO auslösende Prüfungsanordnung ergeht.

Der Bundesfinanzhof weicht mit dieser Würdigung nicht von dem Urteil des Bundesfinanzhofs in BFHE 107, 202, BStBl II 1973, 55 ab, nach dem die Möglichkeit, dass im Anschluss an eine Betriebsprüfung weitere Buchführungsaufwendungen anfallen können, mangels eines hinreichenden Vergangenheitsbezugs nicht die Bildung von Rückstellungen im Abschluss der geprüften Jahre rechtfertigt. Während dieser Aufwand im damaligen Urteilsfall erst durch die am Bilanzstichtag nicht vorhersehbaren- Beanstandungen des Prüfers ausgelöst wurde, geht es im anhängigen Verfahren um die durch die Durchführung einer Betriebsprüfung veranlassten Aufwendungen. Diese finden aber ihren wirtschaftlich wesentlichen Bezugspunkt allein in den bis zum jeweiligen Bilanzstichtag verwirklichten Besteuerungsmerkmalen.

Die aus § 200 AO sich ergebenden öffentlichrechtlichen Mitwirkungspflichten waren am Bilanzstichtag sowohl inhaltlich als auch in zeitlicher Hinsicht konkretisiert. Auch sind die auf die Vorschrift gestützten Mitwirkungsverlangen sanktionsbewehrt.

Da diese Merkmale kein Sonderrecht für öffentlichrechtliche Verpflichtungen begründen, sondern lediglich dazu dienen, die Voraussetzungen für das Bestehen einer wirtschaftlichen Belastung des Steuerpflichtigen zu präzisieren, erfordert die Konkretisierung in sachlicher Hinsicht nicht, dass das Gesetz selbst die Handlungspflichten im Einzelnen vorschreibt. Ausreichend ist vielmehr, dass das Gesetz das Ziel der Verpflichtung in dem Sinne hinreichend konkret benennt, dass der Betroffene mit einer Inanspruchnahme ernsthaft rechnen muss22. Wird diesem Erfordernis genügt, ist es unerheblich, dass dem Steuerpflichtigen mehrere ihn jeweils wirtschaftlich belastende- Handlungsmöglichkeiten verbleiben, um der gesetzlichen Verpflichtung zu genügen23. Ebenso ist es als ausreichend angesehen worden, wenn nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, dass die Behörde eine allgemein bestehende Handlungspflicht durch eine den Steuerpflichtigen wirtschaftlich belastende Ermessensentscheidung konkretisieren wird24. Nichts anderes kann für die gesetzlichen Mitwirkungspflichten nach § 200 AO gelten. Auch insofern muss es genügen, dass die in dieser Vorschrift umschriebenen und durch die Prüfungsanordnung begründeten Verpflichtungen im Zuge der Außenprüfung durch die einzelnen Mitwirkungsverlangen des Prüfers wie z.B. durch das an die Klägerin gerichtete Verlangen auf Erteilung von Auskünften oder auf Vorlage von Unterlagen- konkretisiert werden.

Da die einzelnen Mitwirkungsverlangen nach der Rechtsprechung des BFH regelmäßig als Verwaltungsakte zu qualifizieren sind25, waren sie – und damit mittelbar auch die gesetzlichen Verpflichtungen gemäß § 200 AO – ferner sanktionsbewehrt, d.h. mit Zwangsmitteln beispielsweise durch die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld (§ 329 i.V.m. §§ 332 f. AO)26- durchsetzbar. Einer weiteren Sanktionsandrohung – etwa in Form eines Bußgeldes – bedarf es nicht27.

Die Mitwirkungsverpflichtungen des § 200 AO sowie die hierauf fußenden einzelnen Mitwirkungsanforderungen waren auch in zeitlicher Hinsicht konkretisiert. Letzteres erfordert entsprechend dem Zweck der Konkretisierungserfordernisse- weder eine qualifizierte Nähe der geschuldeten Maßnahmen zum Bilanzstichtag noch einen kalendermäßig bestimmten Fälligkeitszeitpunkt. Vielmehr ist es genügend, wenn die in der Zukunft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entstehende Verpflichtung innerhalb eines bestimmbaren und dem Belieben des Steuerpflichtigen entzogenen Zeitraums zu erfüllen ist28. Nach diesen Maßstäben sind auch die Mitwirkungspflichten des § 200 AO zeitlich hinreichend konkretisiert, weil die sie auslösende Prüfungsanordnung jedenfalls dann nicht mehr ergehen darf, wenn infolge des Ablaufs der allgemeinen Festsetzungs- oder Feststellungsfristen, spätestens jedoch nach Ablauf der aufgrund einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verlängerten Verjährungsfristen aus einer Außenprüfung keine steuerlichen Folgen mehr gezogen werden können29.

Die Passivierung der Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO ist auch nicht nach dem Wesentlichkeitsgrundsatz30 ausgeschlossen. Der X. Senat des Bundesfinanzhofs hat hierzu in seinem Urteil vom 19.07.201131 ausgeführt, dass sich weder den GoB noch den Regelungen des EStG eine Einschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen lasse; zudem hat der X. BFH unter Analyse der einschlägigen Entscheidungen dargelegt, dass er mit dieser Auffassung nicht von der bisherigen Rechtsprechung des BFH abweiche. Der Bundesfinanzhof schließt sich dieser Ansicht an. Im Streitfall kommt entsprechend den gleichfalls nur hilfsweise angestellten Erwägungen des Urteils in BFHE 234, 239, BFH/NV 2011, 2147- hinzu, dass der in Frage stehende Aufwand der Klägerin (25.100 EUR) bereits nach seinem absoluten Gewicht nicht als vernachlässigbare Bagatellgröße eingestuft werden kann; insbesondere ist er in keiner Weise mit dem in der Entscheidung des X. Senats unter Bezugnahme auf das BFH, Urteil vom 15.11.1960 – I 189/60 U32- genannten Betrag von 300 DM bzw. 400 DM vergleichbar.

Die Gewinnwirksamkeit der für die Erfüllung der Mitwirkungspflichten gebildeten Rückstellungen (betreffend die Betriebsprüfung für die Jahre 2004 bis 2006) wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die hierfür anfallenden Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden könnten. Soweit das BMF hierzu in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass der Aufwand soweit er die Prüfung der Körperschaftsteuer betreffe- nach § 10 Nr. 2 KStG 2002 das Einkommen der Klägerin nicht mindern dürfe, kann dem nicht gefolgt werden. Die Vorschrift erfasst neben der Körperschaftsteuer (Steuern vom Einkommen) die hierauf entfallenden steuerlichen Nebenleistungen, nicht hingegen die Aufwendungen, die einer Kapitalgesellschaft im Rahmen der Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO entstehen. Letzteres ergibt sich nicht nur aus dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut. Bestätigung findet dieses Gesetzesverständnis zudem darin, dass wie der Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 15.02.201233 erneut bekräftigt hat- Kapitalgesellschaften über keine außerbetriebliche Sphäre verfügen und deshalb vorbehaltlich eines gegenläufigen Gesetzesbefehls- grundsätzlich alle Geschäftsvorfälle Einfluss auf die Höhe ihres Einkommens nehmen; dementsprechend ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch die Bestimmung des § 10 Nr. 2 KStG 2002 „eng“ auszulegen. Ob anderes dann gelten könnte, wenn die Betriebsprüfung (auch) darauf gerichtet ist, die für die Festsetzung der Einkommensteuer maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, bedarf im anhängigen Verfahren keiner Entscheidung.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 6. Juni 2012 – I R 99/10

  1. ständige Rechtsprechung, BFH, Beschluss vom 16.12.2009 – I R 43/08, BFHE 227, 469, BFH/NV 2010, 552[]
  2. BFH, Urteile vom 26.10.1977 – I R 148/75, BFHE 123, 547, BStBl II 1978, 97; vom 08.11.2000 – I R 6/96, BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570[]
  3. z.B. BFH, Urteil vom 30.11.2011 – I R 100/10, BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332; BFH, Urteil vom 12.12.1991 – IV R 28/91, BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600[]
  4. z.B. BFH, Urteil in BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570[]
  5. z.B. BFH, Urteile in BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600; vom 19.10.1993 – VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891[]
  6. BFH, Urteil vom 19.05.1983 – IV R 205/79, BFHE 139, 41, BStBl II 1983, 670; BFH, Beschlüsse in BFHE 227, 469, BFH/NV 2010, 552; vom 30.11.2011 – I R 83/10[]
  7. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 09.06.1999 – I R 64/97, BFHE 189, 75, BStBl II 1999, 656; vom 08.11.2000 – I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349; BFH, Urteil vom 06.04.2000 – IV R 31/99, BFHE 192, 64, BStBl II 2001, 536; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 31. Aufl., § 5 Rz 368, m.w.N.[]
  8. z.B. Horlemann, BB 1984, 2162; Plewka in Lademann, EStG, § 5 EStG Rz 1574; Tonner in Bordewin/Brandt, § 5 EStG Rz 750 „Betriebsprüfung“; Kozikowski/Schubert in Beck BilKomm., 8. Aufl., § 249 Rz 100 „Betriebsprüfungskosten“; H 5.7 Abs. 3 „Rückstellungen für öffentlichrechtliche Verpflichtungen“ Amtliches EinkommensteuerHandbuch 2006 EStH 2006; heute: H 5.7 Abs. 4 EStH 2011[]
  9. z.B. Gürtzgen, DB 1984, 369; Langer, FR 2008, 1007; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 550 „Betriebsprüfung“; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 920 „Außenprüfung“; Frotscher, EStG, § 5 Rz 458 „Außenprüfung“; weiter gehend: Kleine/Werner, DStR 2006, 1954[]
  10. BFH, Urteil vom 04.11.2003 – VII R 28/01, BFHE 204, 15, BStBl II 2004, 1032, m.w.N.[]
  11. Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 196 AO Rz 104, § 200 Rz 15, jeweils m.w.N.; vgl. auch BFH, Urteil in BFHE 204, 15, BStBl II 2004, 1032[]
  12. BFH, Urteil vom 19.10.2005 – XI R 64/04, BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371; BFH, Urteil vom 30.11.2005 – I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II 2007, 251; zur Kritik s. Blümich/Buciek, § 5 Rz 796[]
  13. vgl. Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 792[]
  14. 18. Prüfungsturnus; vgl. BMF, Schreiben vom 19.08.2003, BStBl I 2003, 403[]
  15. vgl. auch BFH, Urteil vom 23.07.1985 – VIII R 197/84, BFHE 144, 9, BStBl II 1986, 36[]
  16. BMF, Schreiben vom 21.09.2006, BStBl I 2006, 530[]
  17. vgl. zu Letzterem auch BMF vom 02.01.2008, Anwendungserlass zur Abgabenordnung, BStBl I 2008, 27, dort zu § 203[]
  18. BFH, Urteil vom 05.04.1984 – IV R 244/83, BFHE 140, 518, BStBl II 1984, 790; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vor §§ 193 bis 203 AO Rz 123[]
  19. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 27.01.2010 – I R 103/08, BFHE 228, 91, BStBl II 2010, 614; vom 30.11.2011 – I R 83/10; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 800, jeweils m.w.N.[]
  20. vgl. auch BFH, Urteil vom 30.11.2011 – I R 83/10[]
  21. vgl. Wiedergabe bei Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vor §§ 193 bis 203 AO Rz 107[]
  22. Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 793c; Heger, StbJB 2005/2006, 233, 244[]
  23. vgl. zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen BFH, Urteil vom 19.08.2002 – VIII R 30/01, BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131[]
  24. BFH, Urteil vom 19.11.2003 – I R 77/01, BFHE 204, 135, BStBl II 2010, 482; gl.A. Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 793c[]
  25. z.B. BFH, Urteile vom 28.10.2009 – VIII R 78/05, BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455; vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 200 AO Rz 6[]
  26. vgl. dazu z.B. BFH, Urteil in BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455; zum Verzögerungsgeld gemäß § 146 Abs. 2b AO i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19.12.2008, BGBl – I 2008, 2794; s. BFH, Beschluss vom 16.06.2011 – IV B 120/10, BFHE 233, 317, BStBl II 2011, 855[]
  27. vgl. BFH, Urteil vom 08.09.2011 – IV R 5/09, BFHE 235, 241, BStBl II 2012, 122; Heger, StbJB 2005/2006, S. 246; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 793c[]
  28. BFH, Urteile in BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600, zu II.02.; vom 25.03.2004 – IV R 35/02, BFHE 206, 25, BStBl II 2006, 644; Heger, StbJB 2005/2006, S. 245; Christiansen, DStR 2008, 735, 737; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 793c und 793e[]
  29. vgl. zu Einzelheiten z.B. BFH, Urteil vom 10.04.2003 – IV R 30/01, BFHE 202, 206, BStBl II 2003, 827; BFH, Beschluss vom 13.01.2010 – X B 113/09, BFH/NV 2010, 600; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 193 Rz 20 f., jeweils m.w.N.[]
  30. vgl. hierzu Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 791b und 259[]
  31. BFH, Urteil vom 19.07.2011 – X R 26/10, BFHE 234, 239, BFH/NV 2011, 2147 betreffend die Nachbetreuung von Versicherungsverträgen[]
  32. BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48[]
  33. BFH, Beschluss vom 15.02.2012 – I B 97/11, BFHE 236, 458, BFH/NV 2012, 882, betreffend Erstattungs- und Nachzahlungszinsen[]