Geschwister in der Erbschaftsteuer

Eine erbschaftsteuerrechtliche Gleichbehandlung von Geschwistern mit Ehegatten oder Lebenspartnern ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Erwerber der Steuerklasse II wie etwa Geschwister können unabhängig von den konkreten Lebensverhältnissen nicht von Verfassungs wegen beanspruchen, erbschaftsteuerrechtlich wie Ehegatten oder Lebenspartner behandelt zu werden. Dies gilt auch hinsichtlich der Erbschaftsteuerfreiheit für Familienheime.

Geschwister in der Erbschaftsteuer

Die Steuerbefreiung für Familienheime nach § 13 Nrn. 4b und 4c ErbStG steht nur überlebenden Ehegatten und Lebenspartnern sowie Kindern, nicht aber Geschwistern zu. Der Freibetrag von 20.000 EUR ergibt sich aus § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG, der Steuersatz von 30 % aus § 19 Abs. 1 ErbStG. Die Klägerinnen und B gehören als Geschwister zu den Personen der Steuerklasse II (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse II Nr. 2 ErbStG).

Weder die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 13 Nrn. 4b und 4c ErbStG auf überlebende Ehegatten, Lebenspartner und Kinder noch die für das Jahr 2009 hinsichtlich der Freibeträge nach § 16 Abs. 1 ErbStG und der Steuersätze nach § 19 Abs. 1 ErbStG erfolgte Gleichstellung der Erwerber der Steuerklassen – II und – III ist verfassungswidrig1. Es liegt insbesondere kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 GG vor.

Erwerber der Steuerklasse II wie etwa Geschwister können nicht von Verfassungs wegen beanspruchen, erbschaftsteuerrechtlich wie Ehegatten oder Lebenspartner gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b, § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 17 und § 19 Abs. 1 ErbStG behandelt zu werden, und zwar unabhängig von den konkreten Lebensverhältnissen (zur rückwirkenden Anwendung der auf Lebenspartner bezogenen Neufassung der §§ 15, 16 und 17 durch Art. 14 Nr. 3 bis 5 des Gesetzes vom 08.12.2010, BGBl I 2010, 1768, vgl. § 37 Abs. 5 ErbStG).

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Unter Lebenspartnern im Sinne der genannten Vorschriften sind nur Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes zu verstehen. Die erbschaftsteuerrechtliche Gleichstellung von Ehegatten und Lebenspartnern war verfassungsrechtlich geboten, da die Ungleichbehandlung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar war2. Zur Begründung verwies das Bundesverfassungsgericht darauf, dass eingetragene Lebenspartner wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft mit rechtlich verbindlicher Verantwortung für den Partner lebten. Lebenspartnern stünden Unterhaltsansprüche zu, die denjenigen von Ehegatten im Wesentlichen entsprächen3.

Eine solche rechtlich verfestigte, zur erbschaftsteuerrechtlichen Gleichbehandlung mit Ehegatten und (eingetragenen) Lebenspartnern zwingende Partnerschaft besteht zwischen Geschwistern nicht4. Während Ehegatten gemäß § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB einander grundsätzlich zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet sind und füreinander Verantwortung tragen und Lebenspartner einander zu Fürsorge und Unterstützung sowie zur gemeinsamen Lebensgestaltung verpflichtet sind und füreinander Verantwortung tragen (§ 2 LPartG), gibt es Geschwistern gegenüber keine solche rechtliche Verpflichtung. Anders als Ehegatten (§§ 1360 bis 1361, §§ 1569 bis 1586b BGB), Lebenspartner (§§ 5, 12 und 16 LPartG) und Verwandte in gerader Linie (§§ 1601 ff. BGB) sind Geschwister einander auch nicht zum Unterhalt verpflichtet. Geschwistern steht zudem kein Pflichtteilsrecht zu (§ 2303 BGB).

Es ist auch nicht verfassungswidrig, dass die Steuerklasseneinteilung in § 15 Abs. 1 ErbStG an die bürgerlich-rechtlichen Vorgegebenheiten von Ehe, (eingetragener) Lebenspartnerschaft, Verwandtschaft und Schwägerschaft und nicht an tatsächliche Umstände wie etwa das Bestehen einer Lebensgemeinschaft anknüpft5. § 15 Abs. 1 ErbStG nimmt eine rein formale Anknüpfung vor. Persönliche Vertrautheit, gemeinsames Zusammenleben oder langjährige Fürsorge spielen keine Rolle6.

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Die Anknüpfung an rein formale Gesichtspunkte dient der klaren, eindeutigen Abgrenzung der Steuerklassen, vermeidet die Abgrenzungsschwierigkeiten, die mit einer Ausrichtung der Steuerklassen an tatsächlichen Verhältnissen notwendigerweise in großem Umfang verbunden wären, und erübrigt eine unter Umständen mit hohem Aufwand verbundene Sachverhaltsermittlung im privaten Bereich. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die die vom Gesetzgeber vorgenommene Abgrenzung der Steuerklassen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht rechtfertigen. Steuergesetze müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und damit in weitem Umfang die Besonderheiten nicht nur des einzelnen Falles, sondern ggf. auch ganzer Gruppen vernachlässigen7.

Die Verfassungsmäßigkeit der Steuerklasseneinteilung wurde in dem BFH-Urteil vom 15. Januar 19868 nicht infrage gestellt. In dieser Entscheidung ging es vielmehr um das mögliche Bestehen einer Innengesellschaft hinsichtlich des Erwerbs und der Bebauung eines Grundstücks durch den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.

Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 29. April 20089 auf der Grundlage des englischen Rechts entschieden hat, gewährt Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK Geschwistern auch dann nicht das Recht, bei der Erbschaftsteuer wie Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner behandelt zu werden, wenn sie in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben. Es fehle nämlich in einem solchen Fall an den Rechten und Pflichten, die im Verhältnis von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern zueinander bestünden. Die Dauer der Verbindung oder die wechselseitige Unterstützung seien nicht entscheidend.

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Die Rechtslage nach deutschem Recht entspricht insoweit dem englischen Recht und führt danach auch unter Berücksichtigung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu keinem anderen Ergebnis.

Da die Steuerfestsetzungen für vorläufig hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuergesetzes erklärt wurden, braucht das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs10 ausgesetzt zu werden.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 24. April 2013 – II R 65/11

  1. BFH, Beschluss vom 27.09.2012 – II R 9/11, BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899, Rz 69 bis 77[]
  2. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2010 – 1 BvR 611/07 u.a., BVerfGE 126, 400[]
  3. BVerfG, a.a.O., Rz 96, 102 f.[]
  4. Weinmann in Moench/Weinmann, § 15 ErbStG Rz 4; Wachter, Der Betrieb 2010, 1863, 1864[]
  5. BFH, Beschluss vom 27.10.1982 – II B 77/81, BFHE 137, 76, BStBl II 1983, 114; Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 01.06.1983 1 BvR 107/83, BStBl II 1984, 172; vom 15.11.1989 1 BvR 171/89, BStBl II 1990, 103, und vom 15.05.1990 2 BvR 592/90, BStBl II 1990, 764[]
  6. BFH, Urteil vom 23.03.1998 – II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vgl. ferner BFH-Beschlüsse vom 24.11.2005 – II B 27/05, BFH/NV 2006, 743, und vom 18.07.2007 – II B 106/06, BFH/NV 2007, 2296[]
  7. BFH, Beschluss in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899, Rz 56, m.w.N.[]
  8. BFH, Urteil vom 15.01.1986 – II R 14/84, BFH/NV 1987, 302[]
  9. EGMR, Urteil vom 29.04.2008 – 13378/05, NJW-RR 2009, 1606[]
  10. BFH, Beschluss in BFHE 238, 241 BStBl II 2012, 899[]
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