Fahrschulen – und die Umsatzsteuer

Leistungen von Fahrschulen sind auch unter Berücksichtigung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL nicht generell steuerbefreit.

Fahrschulen – und die Umsatzsteuer

Nach § 4 Nr. 21 Buchst. a bb UStG sind steuerbefreit die unmittelbar dem Schul- oder Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen oder anderer allgemein bildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin begehrt sie die Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen gegenüber ihren Fahrschülern zum Erwerb der Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklassen B und C1. Für diesen Personenkreis gilt die Fahrschulerlaubnis nicht als Anerkennungsnachweis als berufsbildende Einrichtung1.

Eine Steuerbefreiung der Leistungen der Klägerin gegenüber ihren Fahrschülern nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG scheidet schon deshalb aus, weil die Klägerin Leistungen unmittelbar gegenüber ihren Schülern als Vertragspartnern und nicht gegenüber den in dieser Vorschrift genannten Einrichtungen erbringt.

Schließlich führt auch die zulässige Berufung der Klägerin unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL2 nicht zur Umsatzsteuerfreiheit der erbrachten Leistungen im Streitjahr 2010.

Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL erfasst den von Privatlehrern erteilten Schul- oder Hochschulunterricht. Den Begriff des Schul- oder Hochschulunterrichts hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bislang nicht exakt definiert. Er hat aber eine Konturierung insoweit vorgenommen, als er ausgeführt hat, dass sich dieser nicht auf Unterricht beschränkt, der zu einer Abschluss-Prüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern auch andere Tätigkeiten einschließt, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben. Zum Unterricht gehören nicht nur die Tätigkeiten, die zur Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Studierende, sondern auch diejenigen, die den organisatorischen Rahmen der Einrichtung ausmachen, in der der Unterricht erteilt wird3.

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Auch der BFH geht bei der Auslegung des Begriffs im Grundsatz davon aus, dass eine enge Interpretation geboten ist4. Folgende Einzelaspekte werden von ihm herausgestellt:

  • Privatlehrer sind Unterrichtende, die eine befreite Unterrichtstätigkeit privat ausüben5.
  • Schul- oder Hochschulunterricht setzt nicht voraus, dass der Unterricht einer beruflichen Qualifikation dienen soll, sondern es reicht die Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten, sofern diese nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben6.
  • Bei dieser Abgrenzung sind die Ziele der die Veranstaltung besuchenden Personen nicht entscheidend. Es kommt nur auf die Art der erbrachten Leistung und ihre generelle Eignung als Schul- oder Hochschulunterricht an7.
  • Indizien für die Abgrenzung können sein die thematische Zielsetzung und die Anforderungen, die an den potentiellen Teilnehmerkreis gestellt werden8.
  • Für die Abgrenzung zwischen hinreichenden Fähigkeiten und Kenntnissen und bloßer Freizeitgestaltung soll es darüber hinaus auch darauf ankommen, ob an der Erlernung der vermittelten Fähigkeiten ein hohes Gemeinwohlinteresse besteht9.
  • Soweit die Lerninhalte keinen berufsbezogenen Charakter haben, sondern sich auf das Erlernen anderer Fähigkeiten und Kenntnisse beziehen, müssen die Lehrinhalte auch in Schulen oder Hochschulen vermittelt werden10. Dabei reicht es aus, wenn die durch den Unternehmer vermittelten Lehrinhalte nach Erlasslage der Kultusminister zum erforderlichen oder zumindest wünschenswerten Gegenstand der Schulbildung erklärt werden11.

Bei der Anwendung dieser Grundsätze ist zunächst festzustellen, dass die von der Klägerin angebotenen sonstigen Leistungen, die theoretische Schulung, die praktische Schulung mit Fahrunterricht und die Anmeldungen zu den Prüfungen umsatzsteuerrechtlich eine einheitliche sonstige Leistung bilden. Für die Annahme einer einheitlichen Leistung sind im Wesentlichen folgende Grundsätze zu berücksichtigen:

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Grundsätzlich ist jede Dienstleistung als eigene, selbständige Leistung zu betrachten, auf der anderen Seite darf aber eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder aber eine einheitliche Leistung erbringt, ist auf die Sicht eines Durchschnittsverbrauchers abzustellen12. Der Umstand, ob die einzelnen Leistungen ihre schuldrechtliche Grundlage in einem Vertrag gefunden haben, ist nicht entscheidend. Eine gesonderte Abrechnung der einzelnen Leistungen spricht eher gegen Zusammenfassung als einheitliche Leistung. Wenn mehrere, untereinander gleichwertige Faktoren zur Erreichung eines einheitlichen Ziels beitragen und aus diesem Grunde zusammengehören, ist die Annahme einer einheitlichen Leistung nur gerechtfertigt, wenn die einzelnen Faktoren so ineinandergreifen, dass sie bei natürlicher Betrachtung hinter dem Ganzen zurücktreten.

Im hier vom Niedersächsischen Finanzgericht entschiedenen Streitfall bilden die theoretischen und praktischen Unterweisungen der Fahrschüler gleichwertige und wirtschaftlich untrennbar miteinander verbundene Teilleistungen mit dem in § 1 Abs. 1 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung vom 18.08.1998 normierten Ziel, die Schüler zu einem sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmer auszubilden und ihn auf die Fahrerlaubnisprüfung vorzubereiten. Praktischer und theoretischer Unterricht sind inhaltlich aufeinander zu beziehen und zu verzahnen. Wirtschaftlich macht die eine Leistung ohne die andere für einen Durchschnittsverbraucher in der Situation eines Fahrschülers keinen Sinn. Nur wenn ein Fahrschüler den Unterricht im gesetzlich vorgeschriebenen Umfang absolviert hat und der Fahrlehrer davon überzeugt ist, dass die in § 1 Abs. 1 der Ordnung normierten Ziele erreicht wurden, darf die theoretische und praktische Ausbildung abgeschlossen werden. Die Anmeldungen zur theoretischen und praktischen Prüfung treten hinter den beiden Hauptteilleistungen wirtschaftlich zurück.

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Die einheitliche Leistung der Klägerin – nämlich die Vorbereitung auf die Fahrerlaubnisprüfung und die Schulung zu einem verantwortungsvollen Verkehrsteilnehmer, stellt keinen Schul- oder Hochschulunterricht dar. Dabei muss das Finanzgericht der Fragestellung, ob die durch Fahrschulen überwiegend vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten zum Gebrauch eines Kfz unter den Bedingungen des Straßenverkehrs, also die Einübung von Verhaltensweisen, wie technische Geschicklichkeit und mechanische Reaktionsfähigkeit überhaupt Gegenstand der Allgemeinbildung der Fahrschüler werden kann13. Entscheidend ist, dass – anders als in den Entscheidungen des BFH zu den Kursen „Sofortmaßnahmen am Unfallort“ und „Fahrsicherheitstraining“ der praktische Unterricht der Fahrschulen, also die sogenannten Fahrstunden, nach der im Streitjahr 2010 geltenden Empfehlung zur Verkehrserziehung in der Schule14 weder erforderlicher noch wünschenswerter Bestandteil des Schul- oder Hochschulunterrichts ist. Eine Regelung wie in Abschnitt 4 der Empfehlung, nach der Unfallhilfsdienste im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Schulen Kurse in Erster Hilfe und zu Sofortmaßnahmen bei Unfällen vermitteln, fehlt.

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 1. April 2016 – 11 K 10284/15

  1. vgl. im Einzelnen Abschn.04.21.02. Abs. 6 des Umsatzsteueranwendungserlasses 2015/16; Tehler, in: Rau/Dürrwächter, UStG, Loseblattsammlung, Stand: Juli 2015, § 4 Nr. 21 Anm. 300, Stichwort: „Fahrschulen“[]
  2. vgl. zur Zulässigkeit der Berufung BFH, Urteile vom 18.08.2005 – V R 71/03, BStBl II 2006, 143, 145; vom 24.01.2008 – V R 3/05, BStBl II 2012, 267, 269[]
  3. vgl. EuGH, Urteil vom 28.01.2010 – C-473/08, BFH/NV 2010, 583[]
  4. vgl. nur BFH, Urteil vom 24.01.2008 – V R 3/05, BStBl II 2012, 267, 269[]
  5. BFH, Beschluss vom 18.11.2015 – XI B 61/15, BFH/NV 2016, 435, m. w. N.[]
  6. BFH, Urteil vom 24.01.2008 – V R 3/05[]
  7. BFH, Urteil vom 28.05.2013 – XI R 35/11, BStBl II 2013, 879, m. w. N.[]
  8. BFH, Urteil vom 28.05.2013 – XI R 35/11, a. a. O.[]
  9. so für das Erlernen der Fähigkeit des Schwimmens BFH, Urteil vom 05.06.2014 – V R 19/13, BFH/NV 2014, 1687[]
  10. BFH, Urteil vom 28.05.2013 – XI R 35/11, BStBl II 2013, 879[]
  11. vgl. BFH, Beschluss vom 10.07.2012 – V B 33/12, BFH/NV 2012, 1676; Urteile vom 10.01.2008 – V R 52/06, BFH/NV 2008, 725; vom 05.06.2014 – V R 19/13, BFH/NV 2014, 1687[]
  12. BFH, Urteile vom 31.05.2001 – V R 97/98, BStBl II 2001, 658, 660; vom 24.01.2008 – V R 42/05, BStBl II 2008, 697, 699[]
  13. ablehnend BFH, Urteil vom 14.03.1974 – V R 54/73, BStBl II 1974, 527; bestätigt auch durch BFH, Beschluss vom 10.07.2012 – V B 33/12, BFH/NV 2012, 1676; Urteil vom 10.01.2008 – V R 52/06, BFH/NV 2008, 725[]
  14. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.07.1972 in der Fassung des Beschlusses vom 17.06.1994[]
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