Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL umfasst nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht.

Dies entschied jetzt der Bundesfinanzhof unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung und setzte damit das Urteil „Dubrovin & Tröger – Aquatics“ des Gerichtshofs der Europäischen Union1 um, das auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs in dieser Sache beruhte2 und in dem der Unionsgerichtshof entschieden hatte,
„Der Begriff ‚Schul- und Hochschulunterricht‘ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst.“
Die Umsätze der Schwimmschule sind nicht nach nationalem Recht steuerfrei.
§ 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG sieht eine Steuerfreiheit für die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen vor, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.
Danach kommt eine Steuerfreiheit für die Leistungen einer Schwimmschule in Betracht, wenn sie mit ihren Kursen auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet. Dies ist zwar grundsätzlich auch bei Schwimmprüfungen denkbar. Nach den für den Bundesfinanzhof bindenden Feststellungen des Finanzgericht (§ 118 Abs. 2 FGO) lagen aber in den Streitjahren keine derartigen Prüfungen vor. Auf die Frage, ob eine „Schwimmschule“ als allgemeinbildende Einrichtung i.S. von § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG anzusehen sein kann, kommt es daher insoweit nicht an.
Da die Schwimmschule für eine Steuerfreiheit nach dem nationalen Recht zudem nicht über die nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG erforderliche Bescheinigung verfügt, ist im Streitfall nicht zu entscheiden, ob das den Streitfall betreffende EuGH-Urteil Dubrovin & Tröger – Aquatics3 bei einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts dazu führt, dass eine allgemein bildende Einrichtung i.S. von § 4 Nr. 21 UStG (im Gegensatz zu einer berufsbildenden Einrichtung) der Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen dienen muss. Ebenso ist nach den Verhältnissen des Streitfalls nicht darüber zu entscheiden, ob die Leistungen der Schwimmschule als Nachhilfeunterricht4 steuerfrei sein könnten.
Für eine Anwendung von § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG fehlt es der Schwimmschule, die ihr Unternehmen in der Rechtsform einer GbR betrieben hat, bereits an der dort vorausgesetzten unternehmerbezogenen Voraussetzung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, einer Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie, einer Volkshochschule oder einer Einrichtung, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbandes dient.
Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kann sich die Schwimmschule nicht auf eine unionsrechtlich abgeleitete Steuerfreiheit berufen.
Nach Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten insbesondere folgende Umsätze von der Steuer:
„i)) Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;
von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht;“
Der Bundesfinanzhof hatte in seinem Urteil vom 05.06.20145 entschieden, dass Schwimmunterricht als von Privatlehrern erteilter Schulunterricht steuerfrei sein kann. Er hatte dies damit begründet, dass der nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern) von Privatlehrern steuerfrei erteilte Schul- und Hochschulunterricht insbesondere das sog. Kleinkindschwimmen erfasst, da an der Erlernung der Fähigkeit, schwimmen zu können, zum einen ein hohes Gemeinwohlinteresse besteht und zum anderen die Erlangung dieser Fähigkeit auch in öffentlichen Schulen unterrichtet wird.
Ob hieran festzuhalten ist, war aufgrund des späteren EuGH-Urteils „A & G Fahrschul-Akademie“6 zweifelhaft geworden, weshalb der Bundesfinanzhof das den Streitfall betreffende Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hat7.
In dem hierzu ergangenen Urteil Dubrovin & Tröger – Aquatics3 hat der EuGH nunmehr entschieden, dass der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst. Der EuGH begründet dies in Rz 31 seines Urteils damit, dass der Schwimmunterricht ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht ist, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.
Damit steht für den Streitfall fest, dass Schwimmunterricht nicht unter die unionsrechtlich zu gewährende Steuerfreiheit fällt. Entgegen dem Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs in BFHE 264, 95, BStBl II 2019, 457, Rz 17 ist die Tatsache, dass der Schwimmunterricht zur Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit dient, über die jeder Mensch -insbesondere zur Bewältigung von Notsituationen beim Kontakt mit Gewässern- verfügen sollte, aus Sicht des EuGH unbeachtlich. Aufgrund der sich aus dem EuGH, Urteil ergebenden Bindungswirkung hat der Bundesfinanzhof nicht zu entscheiden, ob diese Auslegung zu einer der „Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“ (vgl. die Überschrift zu Titel IX Kapitel 2 der MwStSystRL) als sachlich zutreffend zu erachten ist. Der Bundesfinanzhof hält daher an seiner bisherigen Rechtsprechung8 nicht fest (Änderung der Rechtsprechung).
Eine Steuerfreiheit lässt sich auch nicht anderweitig begründen.
Zwar erfasst Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL neben dem Schul- und Hochschulunterricht auch die Aus- und Fortbildung sowie die berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen. Nach Art. 44 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15.03.2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem umfasst dies „Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient“, wobei die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung unerheblich ist.
In diesem Zusammenhang hat der Bundesfinanzhof die Leistungen eines Ballett- und Tanzstudios, dessen Inhaber aufgrund einer ihm erteilten Bescheinigung zur Berufs- oder Prüfungsvorbereitung als Einrichtung anerkannt war, selbst dann als nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL steuerfrei angesehen, wenn nur „durchschnittlich zwei von hundert Ballettschülern die Aufnahmeprüfung an der staatlichen Musikhochschule ablegten und eine weitere Berufsausbildung anstrebten“, da es auch ein derartiger Kurs seinen Teilnehmern dann ermöglicht, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten später durch Vertiefung und Fortentwicklung beruflich zu nutzen, ohne dass es der Steuerfreiheit entgegensteht, wenn hiervon nur wenige Teilnehmer davon Gebrauch machen9.
Ob hieran im Hinblick auf das Erfordernis eines Unterrichts in Bezug auf ein „breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen“ weiter festzuhalten ist, hat der Bundesfinanzhof nicht zu entscheiden. Denn im vorliegenden Fall fehlte es in den Streitjahren an Kursteilnehmern, die die Kursteilnahme für eine spätere Berufstätigkeit, z.B. als Schwimmlehrer nutzten oder dies anstrebten.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Dezember 2021 – V R 31/21
- EuGH, Urteil Dubrovin & Tröger – Aquatics vom 21.10.2021 – C-373/19[↩]
- BFH, Beschluss vom 27.03.2019 – V R 32/18, BFHE 264, 95, BStBl II 2019, 457[↩]
- EU:C:2021:873[↩][↩]
- zu dessen bisheriger Beurteilung vgl. Montfort in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 4 Nr. 21, Rz 79, und Püschner in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 21 Rz 83[↩]
- BFH, Urteil vom 05.06.2014 – V R 19/13, BFHE 245, 433[↩]
- EuGH, Urteils A & G Fahrschul-Akademie vom 14.03.2019 – C-449/17, EU:C:2019:202[↩]
- BFH, Vorlagebeschluss in BFHE 264, 95, BStBl II 2019, 457[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 245, 433[↩]
- BFH, Urteil vom 24.01.2008 – V R 3/05, BFHE 221, 302, BStBl II 2012, 267, unter II. 2.c aa[↩]
Bildnachweis:
- Schwimmunterricht: Tania van den Berghen