Für den Bundesfinanzhof ist es rechtlich zweifelhaft, ob bei einem Erwerb von Anteilen an einer GmbH, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG festgesetzt werden kann, wenn dem Finanzamt im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG bekannt ist, dass die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) bereits erfolgt ist.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen AdV-Verfahren erwarb die Erwerberin mit notariell beurkundetem Vertrag im Jahr 2023 sämtliche Anteile an der Z GmbH (GmbH). Die GmbH war Eigentümerin eines Grundstücks in A. Die Abtretung der GmbH-Anteile auf die Erwerberin (sogenanntes Closing) erfolgte nach vollständiger Kaufpreiszahlung. Den Kaufvertrag zeigte der beurkundende Notar beim Finanzamt an. Eine Anzeige des Übergangs der GmbH-Anteile auf die Erwerberin durch den Notar erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 14.01.2025 teilte die steuerlich vertretene GmbH dem Finanzamt mit, dass die vollständige Kaufpreiszahlung als Bedingung für die Abtretung der GmbH-Anteile ebenfalls im Jahr 2023 erfolgt sei.
Das Finanzamt setzte daraufhin jeweils mit Bescheiden vom 29.01.2025 zweimal Grunderwerbsteuer fest, nämlich zum einen gegenüber der Erwerberin wegen des Anspruchs auf Übertragung sämtlicher Anteile an der GmbH aufgrund des notariellen Vertrags gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG und zum anderen gegenüber der GmbH aufgrund des Wechsels im Gesellschafterbestand gemäß § 1 Abs. 2b GrEStG. Die Erwerberin legte gegen den ihr gegenüber ergangenen Bescheid vom 29.01.2025 Einspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden worden ist. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnten sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht Baden-Württemberg1 ab.
Auf die Beschwerde der Erwerberin hob der Bundesfinanzhof den Beschluss des Finanzgerichts auf und setzte die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung aus:
Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 7 FGO).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei einer summarischen Überprüfung des Bescheids neben für die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren der AdV gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen2.
Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids vom 29.01.2025 auszusetzen.
Wie der Bundesfinanzhof bereits mit Beschluss vom 09.07.20253 entschieden hat, ist es ernstlich zweifelhaft im Sinne des § 69 FGO, ob bei einem Erwerb von Anteilen an einer GmbH, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG festgesetzt werden darf, wenn dem Finanzamt im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bekannt ist, dass die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) bereits stattgefunden hat. Die ernstlichen Zweifel ergeben sich insbesondere daraus, dass nach dem Einleitungssatz des § 1 Abs. 3 GrEStG eine Besteuerung nach dieser Vorschrift nur erfolgen soll, „soweit eine Besteuerung nach den Absätzen 2a und 2b nicht in Betracht kommt“. Soweit die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass ein Vorrang des Tatbestands des § 1 Abs. 2b GrEStG gegenüber einer Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur besteht, soweit die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 oder 4 GrEStG gleichzeitig erfolgt4, lässt sich dies dem Wortlaut des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht entnehmen. Die Einfügung des § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG durch das Jahressteuergesetz 2022 vom 16.12.20225 hat den im Einleitungssatz normierten Vorrang nicht beseitigt. Denn soweit in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, dass der Anwendungsvorrang des § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG nicht gelten solle, wenn der Abschluss des Rechtsgeschäfts und die Anteilsübertragung zeitlich auseinanderfallen, hat dies im Gesetzeswortlaut des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG keinen Ausdruck gefunden6.
An dieser Beurteilung hält der Bundesfinanzhof bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Verfahren fest. Darauf, dass die Bescheide vom 29.01.2025 nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 AO standen, kommt es nicht an. Danach ergeben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung daraus, dass dem Finanzamt beim Erlass des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids am 29.01.2025 aufgrund des Anteilserwerbs nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG (Signing) bekannt war, dass der vom Notar nicht angezeigte Übergang der Anteile an der GmbH (Closing) bereits erfolgt war und eine Grunderwerbsteuerpflicht nach § 1 Abs. 2b GrEStG bestand. Es hat dennoch am selben Tag zwei Grunderwerbsteuerbescheide über denselben Anteilserwerb erlassen, was der materiell-rechtlichen Vorrangregelung des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG widerspricht.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27. Oktober 2025 – II B 47/25 (AdV)
- FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.05.2025 – 5 – V 846/25[↩]
- ständige Rechtsprechung seit dem BFH, Beschluss vom 10.02.1967 – III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, unter II. 3.; vgl. BFH, Beschluss vom 27.05.2024 – II B 78/23 (AdV), BStBl II 2024, 543, Rz 25, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 09.07.2025 – II B 13/25 (AdV), BFH/NV 2025, 1388[↩]
- vgl. Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung des § 1 Absatz 3 des Grunderwerbsteuergesetzes vom 05.03.2024, BStBl I 2024, 383, Rz 30[↩]
- BGBl I 2022, 2294, BStBl I 2023, 7[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 09.07.2025 – II B 13/25 (AdV), BFH/NV 2025, 1388[↩]
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