Englische Insolvenz und deutscher Interessenausgleich

Ein Administrator nach englischem Recht darf bei einer grenzüberschreitenden Insolvenz in Deutschland einen Interessenausgleich mit Namensliste schließen.

Englische Insolvenz und deutscher Interessenausgleich

Klagen gegen Kündigungen, die ein Insolvenzverwalter im Sinne der EuInsVO in Deutschland nach deutschem Recht erklärt hat, sind auch dann keine Annexverfahren iSd. Art. 3 EuInsVO, wenn sie auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 125 InsO und mit der kurzen Frist des § 113 InsO erklärt worden sind. Für solche Verfahren bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO und nicht nach der EuInsVO.

Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen im Sinne der EuInsVO, bei denen deutsches Arbeitsrecht aufgrund der Regelung in Art. 10 EuInsVO anwendbar ist, ist § 125 InsO unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass auch ein Administrator, der in der vom englischen Insolvenzrecht vorgesehenen Weise für den Schuldner handelt, als Insolvenzverwalter iSd. § 125 InsO anzusehen ist und daher einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließen kann, der die Wirkungen des § 125 InsO nach sich zieht.

Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen innerhalb der Europäischen Union kann nach der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 (EuInsVO) in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat („center of main interests“ / COMI), das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden. In diesem Fall gilt bis zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen in allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks grundsätzlich das Recht des Staates, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist.

Weiterlesen:
Kündigung - und die erforderliche Anhörung des Betriebsrats

Art. 10 EuInsVO macht davon für Arbeitsverhältnisse eine Ausnahme. Danach gilt für diese „ausschließlich“ das Recht des Mitgliedstaats, das nach dem internationalen Privatrecht auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Diese Bestimmung ist unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass bei Anwendbarkeit des deutschen Arbeitsrechts auch ein Administrator nach englischem Recht als Insolvenzverwalter iSd. § 125 InsO anzusehen ist und daher einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließen kann, dem die Wirkungen des § 125 InsO zukommen.

In dem jetzt vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall war der Kläger seit 1991 bei der Beklagten, die zu einer weltweit agierenden Unternehmensgruppe gehört, als Manager Business Finance beschäftigt. Im Januar 2009 leiteten weltweit verschiedene Gesellschaften dieser Unternehmensgruppe Insolvenzverfahren ein. Am 14. Januar 2009 eröffnete der High Court of Justice das Administrationsverfahren als Hauptinsolvenzverfahren im Sinne der EuInsVO über das Vermögen der Beklagten und bestellte drei Administratoren, die einzeln oder gemeinschaftlich tätig werden konnten. Nach englischem Recht vertreten diese die Gesellschaft, treten also anders als ein deutscher Insolvenzverwalter nicht in die Arbeitgeberstellung ein. Sie haben unter anderem die Befugnis, Arbeitsverhältnisse zu kündigen.

Am 27. Juli 2009 kam für die Beklagte, die dabei von einem der drei Administratoren vertreten wurde, ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande. Der Kläger war auf der Namensliste aufgeführt. Sein Arbeitsverhältnis wurde zum 30. November 2009 gekündigt. Mit seiner Kündigungsschutzklage macht der Kläger u.a. geltend, der Administrator habe keinen Interessenausgleich gemäß § 125 InsO vereinbaren können; nach deutschem Recht könne dies nur ein Insolvenzverwalter im Sinne der InsO.

Weiterlesen:
Die überraschende Zweckbefristung

Sowohl das erstinstanzlich mit der Kündigungsschutzklage befasste Arbeitsgericht wie auch in der Berufungsinstanz das Hessische Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen1. Die Revision des Klägers hatte nun vor dem Bundesarbeitsgericht ebenfalls keinen Erfolg:

Im Geltungsbereich der EuInsVO ist ein Administrator, der in der vom englischen Insolvenzrecht vorgesehenen Weise für den Schuldner handelt, auch befugt, einen Interessenausgleich nach § 125 InsO abzuschließen, entschied das Bundesarbeitsgericht. Nur mit dieser Auslegung lassen sich effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren, wie sie Zweck der EuInsVO sind, sicherstellen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. September 2012 – 6 AZR 253/11

  1. Hess. LAG, Urteil vom 15.02.2011 – 13 Sa 767/10[]