Sieht die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell eine qualifizierte Mehrheit vor, muss der Organträger über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes zu erfüllen.
Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG), ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Unter anderem muss der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG).
Sofern sich -wie im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall- eine andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (und damit auch eine inländische GmbH wie die Organgesellschaft) wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen im Sinne des § 14 KStG abzuführen, so gelten nach § 17 (Abs. 1) Satz 1 KStG die §§ 14 bis 16 KStG entsprechend. Darüber hinaus sind die zusätzlichen Voraussetzungen des § 17 (Abs. 1) Satz 2 (und Abs. 2) KStG zu berücksichtigen.
Für die finanzielle Eingliederung ist auf die „Mehrheit der Stimmrechte“ abzustellen. Da es insofern auf die gesellschaftsrechtlichen Regelungen ankommt1, reicht grundsätzlich die einfache Mehrheit der Stimmrechte aus (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG). Sofern dies nicht mit einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums verbunden ist, wird die erforderliche Stimmenmehrheit grundsätzlich auch nicht durch schuldrechtliche Vereinbarungen über die Stimmrechte wie Stimmbindungsverträge und Stimmrechtsvollmachten beeinflusst2. Dies folgt insbesondere daraus, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes allein die Stimmrechte „aus den Anteilen“ maßgebend sind3.
Sieht die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung eine (höhere) qualifizierte Mehrheit vor, muss der Organträger aber zumindest in denjenigen Fällen, in denen die qualifizierte Mehrheit generell erforderlich ist, nicht nur über eine einfache Mehrheit, sondern über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung zu erfüllen4.
Zwar könnte der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG („Mehrheit der Stimmrechte“) dafür sprechen, entsprechend der gesellschaftsrechtlichen Grundnormen (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG) in jedem Fall eine einfache Mehrheit der Stimmrechte ausreichen zu lassen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs hat der Gesetzgeber aber bewusst auf die Mehrheit der Stimmrechte und nicht auf die Mehrheit der Anteile abgestellt, da es bei dem Kriterium der finanziellen Eingliederung um eine kapitalmäßige Verflechtung zwischen Organträger und Organgesellschaft gehe, die den Organträger in die Lage versetze, tatsächlich das Geschehen in der Organgesellschaft zu bestimmen5.
Vor diesem Hintergrund das erstinstanzlich mit dem vorliegenden Rechtsstreit befasste Finanzgericht Düsseldorf6 zutreffend die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft herangezogen. Dort setzt die finanzielle Eingliederung grundsätzlich voraus, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein muss, dass er seinen Willen in der Gesellschafterversammlung durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen kann7. Auch der Bundesfinanzhof hat in seinem Urteil vom 10.05.20178 für die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft darauf abgestellt, ob der Organträger durch die Stimmrechte seinen auf die Organgesellschaft bezogenen Geschäftsleitungswillen durchsetzen kann. Demnach sind auch von den Mehrheitserfordernissen des § 133 Abs. 1 AktG und des § 47 Abs. 1 GmbHG abweichende Satzungsbestimmungen zu berücksichtigen.
Die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft, wonach eine Willensdurchsetzung auch bei nur 50 % der Stimmrechte möglich sei9, beruht dagegen auf einer Gesamtbetrachtung von finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Eingliederung, die nicht auf die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft übertragbar ist.
Nach diesen Maßgaben fehlte der Organträgerin die für eine finanzielle Eingliederung erforderliche qualifizierte Stimmenmehrheit. Zwar hielt sie nach den bindenden Feststellungen des Finanzgericht (§ 118 Abs. 2 FGO) 79, 8 % der Anteile an der Organgesellschaft, sodass ihr die einfache Mehrheit der Stimmrechte zustand. Nach § 8 des Gesellschaftsvertrags war für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung aber generell eine Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen erforderlich. Über diese qualifizierte Mehrheit verfügte die Organträgerin im hier entschiedenen Fall nicht.
Die von den beiden Gesellschaften hiergegen erhobenen Einwendungen haben keinen Erfolg.
Insbesondere können sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Maßgeblichkeit einer qualifizierten Mehrheit dem Ziel der Steuervereinfachung durch Verzicht auf die Voraussetzungen der organisatorischen und wirtschaftlichen Eingliederung widerspreche und den Beherrschungsgedanken der organisatorischen Eingliederung in die finanzielle Eingliederung hineinlese. Hierfür ist entscheidend, dass die finanzielle Eingliederung allein die Möglichkeit der Gesellschafter zur Durchsetzung ihres Geschäftsleitungswillens betrifft, während es bei der organisatorischen Eingliederung um die Sicherstellung der tatsächlichen Einflussnahme auf die Geschäftsführung geht. Letzteres geht über die Durchsetzbarkeit des Geschäftsleitungswillens durch Ausübung der Gesellschafterrechte in der Gesellschafterversammlung hinaus, sodass es nicht zu einer Wiedereinführung des Gedankens der organisatorischen Eingliederung kommt, wenn im Rahmen der finanziellen Eingliederung auf die qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte abgestellt wird.
Auch der Verweis der beiden Gesellschaften auf das Aktienrecht führt zu keinem anderen Ergebnis. Insofern ist zu berücksichtigen, dass § 17 Abs. 2 AktG für den Fall der Mehrheitsbeteiligung eine Abhängigkeit lediglich vermutet. Diese Vermutung kann unter anderem durch qualifizierte Mehrheitserfordernisse in der Satzung widerlegt werden10. Außerdem reicht es für die Durchsetzbarkeit des Geschäftsleitungswillens bei der Organgesellschaft nicht aus, (nur) denjenigen Geschäftsführer abberufen zu können, der gleichzeitig Minderheitsgesellschafter ist und damit der Stimmrechtsbeschränkung des § 47 Abs. 4 GmbHG unterliegt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn -wie im Streitfall- zwei Minderheitsgesellschafter vorhanden sind, deren Stimmen aufgrund des qualifizierten Mehrheitserfordernisses jeweils allein ausreichen, um einen Gesellschafterbeschluss zu verhindern. Denn die Stimmrechtsbeschränkung des § 47 Abs. 4 GmbHG betrifft lediglich die Stimmberechtigung des jeweils abzuberufenden Gesellschafter-Geschäftsführers. Schließlich gelten die gesellschaftsvertraglichen Regelungen zu den Stimmrechten der Gesellschafter der Organgesellschaft -entgegen der Auffassung der beiden Gesellschaften- auch während der Laufzeit des EAV.
Da die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell eine qualifizierte Mehrheit vorsieht, kann dahingestellt bleiben, ob und in welchen Konstellationen für die finanzielle Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG auch dann die qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte erforderlich ist, wenn diese nur für einen Teil der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung geregelt ist. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die besondere Bedeutung von Beschlüssen, die die Ergebnisabführung betreffen, aus Gründen der Praktikabilität dazu führen kann, im Zweifel allein auf die Mehrheitserfordernisse dieser Beschlüsse abzustellen11, oder ob das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend ist12. Jedenfalls dürften satzungsmäßige qualifizierte Mehrheitserfordernisse für außerordentliche Beschlüsse (z.B. Satzungsänderungen oder Umwandlungen) grundsätzlich keine Rolle spielen13.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 9. August 2023 – I R 50/20
- so zutreffend Herlinghaus, Finanz-Rundschau -FR- 2000, 1105, 1111[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 10.05.2017 – I R 51/15, BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30[↩]
- vgl. auch Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 81a; Rode, FR 2021, 151, 153[↩]
- BeckOK KStG/Ebber, § 14 Rz 330; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 210; Müller in Mössner/Oellerich/Valta, Körperschaftsteuergesetz, 5. Aufl., § 14 Rz 163; Neumann in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 14 Rz 131; ähnlich auch Streck/Olbing, KStG, 10. Aufl., § 14 Rz 21 „für allgemeine Beschlüsse“; a.A. Walter in Bott/Walter, KStG § 14 Rz 274 [einfache Mehrheit maßgebend, solange es Beschlüsse gibt, für die eine einfache Mehrheit genügt]; Rödder, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2012/2013, 125, 126 [einfache Mehrheit ohne Einschränkungen maßgebend][↩]
- BT-Drs. V/3882, S. 2 f.[↩]
- FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2020 – 6 K 3291/19 F, EFG 2021, 228[↩]
- BFH, Urteile vom 22.11.2001 – V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167; vom 15.12.2016 – V R 14/16, BFHE 256, 562, BStBl II 2017, 600, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 10.05.2017 – I R 51/15, BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30[↩]
- BFH, Urteil vom 18.01.2023 – XI R 29/22 (XI R 16/18), BFHE 279, 320[↩]
- MünchKomm-AktG/Bayer, 5. Aufl., § 17 Rz 99; Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 17 Rz 24; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 17 Rz 54[↩]
- so Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 81; Beinert/M. Marx in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl., Rz 12.6; Rode, FR 2021, 151, 152; Brühl/Weiss, Die Unternehmensbesteuerung 2021, 198, 202; ähnlich auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz 254 „insbesondere“[↩]
- so Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 179; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 210; Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 111[↩]
- vgl. auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz 254; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 210; Neumann in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 14 Rz 131[↩]









