Bei einer Tat nach § 132 Alt. 1 StGB ist eine Begehung in Mittäterschaft möglich; es handelt sich nicht um ein „eigenhändiges Delikt“.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall schloss sich der Angeklagte spätestens Anfang Juni 2018 einer Tätergruppe an, deren Ziel es war, als „falsche Polizeibeamte“ Betrugstaten zum Nachteil älterer Menschen zu begehen. Dabei riefen Bandenmitglieder aus der Türkei bei den späteren Opfern unter Verwendung des sogenannten „CallID Spoofing“ an, welches es einem Anrufer ermöglicht, bei dem Angerufenen etwa die Telefonnummer „030 – 110“ anzeigen zu lassen und so den Eindruck zu erwecken, der Anruf komme von der Polizei. Der Anrufer gab sich – entsprechend dem mit dem Angeklagten gefassten Tatplan – als Polizeibeamter aus, warnte vor einem unmittelbar bevorstehenden Einbruch in die Wohnung der angerufenen Person und bot in bedrängender Weise an, zur Sicherheit Wertgegenstände und Bargeld der Polizei auszuhändigen. Diese sollten die Opfer an genau bezeichnete Orte außerhalb ihrer Wohnung legen oder aus dem Fenster werfen. Bereits in der Nähe befindliche Polizeibeamte würden die Wertsachen dann „sicherstellen“. Der Angeklagte war in allen hier verfahrensgegenständlichen Fällen als Abholer tätig und nahm die deponierten Wertsachen an sich; unmittelbaren Kontakt zu den Geschädigten hatte er nicht. Für seine Tätigkeit erhielt er absprachegemäß jeweils ein Drittel der Beute; im letzten Fall wurde er vor der Aufteilung der Beute festgenommen.
Diese Feststellungen tragen nach Ansicht des Bundesgerichtshofs die Schuldsprüche wegen (gemeinschaftlicher) Amtsanmaßung nach § 132 Alt. 1 StGB i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB:
Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter als Inhaber eines öffentlichen Amtes auftritt und eine Handlung vornimmt, die den Anschein hoheitlichen Handelns erweckt1.
Im vorliegenden Fall haben sich die aus der Türkei agierenden Anrufer den Geschädigten gegenüber jeweils telefonisch als Polizeibeamte ausgegeben und sie zur Herausgabe von Wertsachen zwecks Sicherstellung durch Polizeibeamte aufgefordert. Dies stellt eine Amtsanmaßung durch die Anrufer dar2.
Auch wenn sich der Angeklagte nicht selbst gegenüber den Geschädigten als Polizeibeamter ausgegeben hat, ist ihm das Handeln der anrufenden Bandenmitglieder nach den Grundsätzen der Mittäterschaft zuzurechnen.
Bei einer Tat nach § 132 Alt. 1 StGB ist eine Begehung in Mittäterschaft möglich; es handelt sich nicht um ein „eigenhändiges Delikt“3.
Ein eigenhändiges Delikt liegt vor, wenn der Täter nur durch sein eigenes Handeln persönlich den Tatbestand erfüllen kann4. Die Rechtsprechung stellt für die Annahme solcher Delikte entscheidend darauf ab, dass das maßgebliche Unrecht weniger in der Gefährdung eines Rechtsguts als in eigenem verwerflichen Tun liegt5. Für die Abgrenzung sind auch die Fassung des gesetzlichen Tatbestandes, der Zusammenhang der einschlägigen Gesetzesbestimmungen sowie deren Entstehungsgeschichte von Bedeutung6. Insbesondere differenzierte Regelungen über unterschiedliche Begehungsformen in verschiedenen Tatbeständen können für die Annahme eines eigenhändigen Delikts sprechen, wenn ansonsten das abgestimmte Regelungsregime des Gesetzgebers unterlaufen würde7.
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei § 132 Alt. 1 StGB nicht um ein eigenhändiges Delikt:
Zweck des § 132 StGB ist der Schutz des Staates und seiner Behörden. Diesen droht Gefahr, wenn Unbefugte anderen gegenüber die öffentlichrechtlichen Funktionen eines von ihnen angeblich bekleideten Amtes in Anspruch nehmen und auf diese Weise der Schein amtlichen Handelns für Tätigkeiten erweckt wird, die in Wahrheit nicht unter der Kontrolle der staatlichen Organe zustande gekommen sind8. Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt in Form eines schlichten Tätigkeitsdelikts9.
Der Tatbestand beschreibt damit weniger ein höchstpersönliches sozialschädliches Verhalten, als vielmehr Handlungen, mit denen die abstrakte Gefährdung des Bürgervertrauens in die legitime Staatsmacht einhergeht10. Das maßgebliche Unrecht des § 132 StGB liegt in der Gefährdung des geschützten Rechtsguts, nicht in einem eigenhändigen verwerflichen Tun11. Systematische oder historische Gründe stehen diesem Ergebnis nicht entgegen.
Das Reichsgericht hat bei § 132 Alt. 1 StGB Mittäterschaft zunächst auch dann für möglich gehalten, wenn einer der Mitwirkenden mit Täterwillen nur an vorbereitenden Handlungen (Beschaffen von Uniformen und Rechnungsformularen) beteiligt war12. Soweit es später – allerdings ohne Begründung – davon ausgegangen ist, Täter von § 132 Alt. 1 StGB könne nur sein, wer sich selbst ein Amt anmaße13, vermag der Bundesgerichtshof dem aus den genannten Gründen nicht zu folgen.
Die Anrufe der türkischen Bandenmitglieder sind dem Angeklagten, wie das Landgericht Berlin in der Vorinstanz im Ergebnis zutreffend erkannt hat14, nach den Grundsätzen der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) zuzurechnen.
Maßgebliche Kriterien für Mittäterschaft sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen15.
Dem Angeklagten kam nach dem gemeinsamen Tatplan eine wichtige Rolle beim Vortäuschen amtlicher Ingewahrsamnahme von Wertgegenständen zu. Sein Tun war in das gemeinsame Handeln aller anderen Tatbeteiligten so eingepasst, dass alle Tatbeiträge zusammen der „Legende“ polizeilicher Sicherstellung dienten, die Ausdruck der Amtsanmaßung war. Ohne das von ihm bewirkte Abholen der Wertgegenstände war das Vortäuschen polizeilichen Handelns sinnlos. Erst das dem gemeinsamen Tatplan entsprechende Auftreten der Anrufer als Polizeibeamte sorgte – über die für § 263 StGB notwendige Täuschung hinaus – für den ganz erheblichen Druck, dem sich die Geschädigten ausgesetzt sahen und schließlich beugten. Aufgrund einer Beuteerwartung von einem Drittel hatte der Angeklagte zudem ein ganz erhebliches Interesse an der Tatbegehung.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 37/20
- vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2011 – 4 StR 40/11, NJW 2011, 1979, 1980; Urteil vom 09.12.1993 – 4 StR 416/93, BGHSt 40, 8, 11[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 18.06.2019 – 5 StR 51/19[↩]
- zuletzt offengelassen von BGH, aaO Rn. 7 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.06.1954 – 2 StR 298/53, BGHSt 6, 226, 227 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 04.02.2003 – GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 193[↩]
- BGH, Urteil vom 07.09.1995 – 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 243[↩]
- BGH, aaO, S. 245[↩]
- BGH, Urteil vom 09.12.1993 – 4 StR 416/93, BGHSt 40, 8, 12 f. mwN; vgl. auch BGH, Urteile vom 16.10.1952 – 5 StR 330/52, BGHSt 3, 241, 244; und vom 19.08.1958 – 5 StR 338/58, BGHSt 12, 30, 31[↩]
- vgl. LKStGB/Krauß, 12. Aufl., § 132 Rn. 4; MünchKomm-StGB/Hohmann, 3. Aufl., § 132 Rn. 3, jeweils mwN[↩]
- vgl. NKStGB/Ostendorf, 7. Aufl., § 132 Rn. 9[↩]
- vgl. Krauß, aaO Rn. 42; Hohmann, aaO Rn. 26; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 132 Rn. 17; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 132 Rn. 9; Schönke/Schröder/SternbergLieben, StGB, 30. Aufl., § 132 Rn. 12; SSWStGB/Jeßberger, 4. Aufl., § 132 Rn. 14; Matt/Renzikowski/Dietmeier, StGB, 2. Aufl., § 132 Rn. 11; Geppert, Jura 1986, 590, 593; siehe auch zur Eigenhändigkeit LG Paderborn, NJW 1989, 178, 179[↩]
- vgl. RGSt 37, 55, 58[↩]
- vgl. RGSt 55, 265, 266 f.; 59, 79, 81 f.; ebenso OGHSt 1, 305; SKStGB/Stein/Rudolphi, 9. Aufl., § 132 Rn. 8[↩]
- LG Berlin, Urteil vom 27.08.2019 – 233 Js 69/19 (503 KLs) (7/19) [↩]
- st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27.11.2018 – 5 StR 604/18, NStZ-RR 2019, 73[↩]