Bewährungswiderruf – trotz abgelaufener Bewährungszeit

Ein Widerruf der Strafaussetzung ist auch vor dem Hintergrund, dass die Bewährungszeit bereits abgelaufen ist, nicht ausgeschlossen.

Bewährungswiderruf – trotz abgelaufener Bewährungszeit

Ein Widerruf der Strafaussetzung ist auch nach Ablauf der Bewährungszeit noch möglich1. Eine Höchstfrist für den nachträglichen Widerruf sieht das Gesetz nicht vor; § 56g Abs. 2 Satz 2 StGB ist insoweit nicht entsprechend anwendbar2. Unzulässig wird ein Widerruf aus Gründen der Rechtssicherheit erst bei einer ungebührlichen Verzögerung im Widerrufsverfahren oder im Verfahren zur Feststellung der für die Widerrufsprüfung relevanten Straftat, sofern der Verurteilte darauf vertrauen durfte, dass sein Verhalten in der Bewährungszeit keine Konsequenzen mehr nach sich ziehen würde3. Dabei ist jeweils auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen; wichtige Kriterien sind insoweit die nach der Rechtskraft der neuen Verurteilung und die nach dem Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit vergangene Zeit4.

Insgesamt durfte der Verurteilte im hier entschiedenen Fall nicht darauf vertrauen, dass sein Verhalten in der Bewährungszeit keine Konsequenzen mehr nach sich ziehen würde:

Zwar spricht vorliegend für einen Vertrauensschutz, dass der Verurteilte anders als im hiesigen Bezirk üblich nicht im März 2020 darauf hingewiesen worden ist, dass ein Widerruf der Strafe noch nicht in Betracht komme. Auf der anderen Seite hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis von dem bei dem Amtsgericht Duderstadt gegen ihn anhängigen Verfahren; die Anklageschrift datierte auf den 29.10.2019. Auch die Tatsache an sich, dass der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit eine erhebliche Straftat begangen hatte, spricht dagegen, dass sich bei ihm ein berechtigtes Vertrauen darauf aufbauen konnte, ein Widerruf der Strafaussetzung im hiesigen Verfahren würde nicht mehr erfolgen5. Schließlich ist auch zu sehen, dass das Widerrufsverfahren nach Rechtskraft der Nachverurteilung zügig geführt worden ist.

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Vorliegend bedarf es einer weitergehenden Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Entscheidung nach § 56f StGB nicht6. Das Landgericht Göttingen hat in dem neuen Strafurteil die Tatsache, dass aufgrund der dortigen Verurteilung in hiesiger Sache ein Bewährungswiderruf droht, auch bereits berücksichtigt.

Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 3. September 2021 – 1 Ws 199/21

  1. vgl. KG, Beschluss vom 23.05.2014, 2 Ws 198/1420; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.05.1988, 1 Ws 245/88 1, 2[]
  2. OLG Braunschweig, Beschluss vom 26.02.2016, 1 Ws 5/16 34; KG, a. a. O.[]
  3. vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 08.06.2009, 2 BvR 847/09 23[]
  4. OLG Hamm, Beschluss vom 19.02.2019, 1 Ws 80/19 10[]
  5. vgl. OLG Braunschweig, a. a. O., Rn. 35[]
  6. OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.05.2020, 1 Ws 49/20 28; OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.02.2006, 1 Ws 113/06 5[]