Die Auskunftspflicht des Spediteurs – und das laufende Bußgeldverfahren

Die Verurteilung wegen Nichterteilung einer Auskunft gemäß  § 9 Abs. 2 Satz 1 GGBefG verstößt gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit, wenn die Aufforderung zur Auskunfts im Zusammenhang mit einem (anderen) Bußgeldverfahren erfolgt.

Die Auskunftspflicht des Spediteurs – und das laufende Bußgeldverfahren

Das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren. Dazu gehört, dass im Rahmen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen.

Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung. Denn durch rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten kann die Auskunftsperson in die Konfliktsituation geraten, sich entweder selbst einer strafbaren Handlung zu bezichtigen oder durch eine Falschaussage gegebenenfalls ein neues Delikt zu begehen oder aber wegen ihres Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden1

 Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist zum einen im allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie zum anderen im Rechtsstaatsprinzip verankert und wird von dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG umfasst2. Ein Zwang, durch selbstbelastendes Verhalten zur eigenen strafrechtlichen Verurteilung beitragen zu müssen, wäre mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar3.

Das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren. Dazu gehört, dass im Rahmen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen. Der Beschuldigte beziehungsweise Betroffene muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er mitwirkt4.

us der Verfassung ergibt sich zwar kein ausnahmsloses Gebot, dass niemand zu Auskünften oder zu sonstigen Handlungen gezwungen werden darf, durch die er eine von ihm begangene strafbare Handlung offenbart5. Handelt es sich um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses, ist der Gesetzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Eine außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Selbstbezichtigung ist aber nur dann zulässig, wenn sie mit einem strafrechtlichen Verwertungsverbot einhergeht6

Auch bloße Mitwirkungspflichten verletzen das Verbot der Selbstbelastung nicht, wenn durch sie Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte im Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren nicht berührt werden7. Daher schützt das Verbot der Selbstbelastung nicht davor, dass Erkenntnismöglichkeiten, die den Bereich der Aussagefreiheit nicht berühren, genutzt werden und insoweit die Freiheit des Betroffenen eingeschränkt wird8. So betreffen gesetzliche Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten nicht den Kernbereich der grundgesetzlichen Selbstbelastungsfreiheit, sondern können zum Schutz von Gemeinwohlbelangen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein9.

Unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar ist aber ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen10. Die in den jeweiligen Prozessordnungen und sonstigen Gesetzen vorgesehenen Aussageverweigerungsrechte dienen der Verwirklichung des rechtsstaatlichen Grundsatzes, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst auszusagen11.

Dies gilt sowohl für die strafprozessuale Aussagefreiheit gemäß §§ 136, 163a, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO12, die gemäß § 46 Abs. 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung findet13, als auch für das in § 9 Abs. 4 GGBefG normierte Auskunftsverweigerungsrecht14. Die in § 9 GGBefG angeordnete behördliche Überwachungsbefugnis und die entsprechenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Verantwortlichen dienen dem Schutz vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die von der Beförderung gefährlicher Güter ausgehen15. Um die Wirksamkeit der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten und damit der Überwachungsmaßnahmen sicherzustellen, ist eine Verweigerung der Auskunftserteilung und Mitwirkung grundsätzlich bußgeldbewehrt16. Jedoch darf der zur Auskunft Verpflichtete nach § 9 Abs. 4 GGBefG die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn oder einen nahen Angehörigen der Gefahr straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verfolgung aussetzen würde. Damit überträgt die Norm die allgemeinen prozessualen Grundsätze der Zeugenvernehmung auf das Überwachungsverfahren in Bezug auf den an sich auskunftsverpflichteten Verantwortlichen nach § 9 GGBefG17. Die Einschränkung der Auskunftspflicht bezieht sich auf Verfahren wegen möglicher Verstöße bei der Beförderung gefährlicher Güter. Deshalb kann der Auskunftspflichtige eine Antwort verweigern, wenn er sich dadurch der Gefahr eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach § 10 Abs. 1 GGBefG aussetzen würde18.

Nichts anderes ergibt sich aus der von den Fachgerichten herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.09.198411. Zum einen betraf das damals festgesetzte Bußgeld eine verweigerte Herausgabe von Unterlagen und nicht eine verweigerte Auskunft. Gesetzliche Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten betreffen den Kernbereich der grundgesetzlichen Selbstbelastungsfreiheit auch dann nicht, wenn die zu erstellenden oder vorzulegenden Unterlagen auch zur Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen. Vielmehr können solche anderweitigen Mitwirkungspflichten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts namentlich zum Schutz von Gemeinwohlbelangen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein19. Zum anderen bestätigt die Entscheidung das nach § 4 Abs. 4 Fahrpersonalgesetz (entspricht § 9 Abs. 4 GGBefG) bestehende Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung den Betroffenen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Die weiteren Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts bezogen sich auf solche Fragen, mit deren Beantwortung sich der Betroffene nicht selbst belastet.

Im vorliegenden Verfahren verstößt die Verurteilung wegen Nichterteilung einer Auskunft gemäß  § 9 Abs. 2 Satz 1 GGBefG gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit.

Der Spediteur war aufgrund der Gefahr einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfolgung wegen eines vorherigen gefahrgutrechtlichen Verstoßes nicht zur Auskunft über seine Verantwortlichkeit verpflichtet. Denn das polizeiliche Auskunftsersuchen diente nicht der allgemeinen Überwachung von gefahrgutbefördernden Transportunternehmen und war damit nicht präventiv auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerichtet. Vielmehr verfolgte die Polizeiinspektion bereits mit dem ersten Anhörungsschreiben ersichtlich repressive Ziele, namentlich die Verfolgung von zwei zuvor begangenen Ordnungswidrigkeiten. Dies zeigt sich bereits darin, dass schon das erste Anhörungsschreiben vom 15.12.2014 eine Anlage namens „Anhörung wegen einer Ordnungswidrigkeit“ enthielt, das Schreiben den Vorwurf begangener Ordnungswidrigkeiten erhob und eine Belehrung nach § 55 OWiG beigefügt war. Dieses Ordnungswidrigkeitenverfahren richtete sich spätestens mit Schreiben vom 13.07.2015 gegen den Spediteur persönlich, als diesem ein nicht an sein Unternehmen, sondern an ihn persönlich adressiertes Schreiben zur „Anhörung des Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit“ bekanntgegeben wurde, wobei die Belehrung nun mit der Belehrung zu § 55 OWiG begann. Im letzten Anhörungsschreiben vom 21.09.2015 teilte die Polizeiinspektion dem Spediteur mit, dass er selbst als eingetragener Geschäftsführer für die Verstöße nach dem Gefahrgutrecht angezeigt werde, sollte er nicht die Personalien der beauftragten Person mitteilen. Die Polizeiinspektion zog den Spediteur folglich nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ernstlich als Täter der verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeiten in Betracht. Darüber hinaus zeigt sich der Verfolgungswille der Polizeiinspektion deutlich in der späteren Realisierung dieser Verfolgungsgefahr, als der Spediteur zeitgleich nicht nur einen Bußgeldbescheid wegen der verweigerten Auskunft, sondern auch wegen der gefahrgutrechtlichen Verstöße in Bezug auf den Feuerlöscher und das Kontrollgerät erhielt. Durch den Erlass dieses Bußgeldbescheids gab die Polizeiinspektion eindeutig zu erkennen, dass sie den Spediteur als Verantwortlichen für die gefahrgutrechtlichen Verstöße ansah. Das Verfahren gegen den Spediteur war daher von Beginn an repressiv auf die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit gerichtet, sodass der Spediteur nicht verpflichtet war, sich im laufenden Ordnungswidrigkeitenverfahren durch das Eingeständnis seiner Verantwortlichkeit für die bußgeldbewehrten Verstöße gegen das Gefahrgutbeförderungsgesetz selbst zu bezichtigen. Darüber hinaus war sein Auskunftsverweigerungsrecht in § 9 Abs. 4 GGBefG gesetzlich verankert.

Die Ausübung dieses Rechts darf nicht – wie hier geschehen – mit einer Geldbuße sanktioniert werden, weil hiervon eine nötigende Wirkung ausgeht und der Betroffene andernfalls gezwungen wäre, zur Vermeidung einer (weiteren) Geldbuße auf sein Auskunftsverweigerungsrecht zu verzichten.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft meint, der Spediteur habe sich „nur“ im gefahrgutrechtlichen Verfahren in Bezug auf die Feuerlöscher und das Kontrollgerät, nicht aber im auskunftsrechtlichen Verfahren ausdrücklich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufen, greift dieser Einwand nicht durch. Die eindeutige Erklärung des Spediteurs mit E-Mail vom 25.08.2015, von nun an im Hinblick auf sein Auskunftsverweigerungsrecht zu schweigen und keine weiteren Auskünfte mehr zu erteilen, brauchte nicht bei jedem neuen Anhörungsschreiben „aktualisiert“ zu werden. Darüber hinaus bezog sich das Auskunftsverweigerungsrecht auf den gefahrgutrechtlichen Verstoß in Bezug auf die Feuerlöscher und das Kontrollgerät. In diesem Verfahren hat der Spediteur berechtigterweise sein Auskunftsverweigerungsrecht ausgeübt.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. Januar 2022 – 2 BvR 2462/18

  1. vgl. BVerfGE 56, 37 <41>[]
  2. vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.> 55, 144 <150 f.> 56, 37 <41 ff.> 80, 109 <119 ff.> 95, 220 <241> 109, 279 <324> 110, 1 <31> 133, 168 <201 Rn. 60> BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016 – 2 BvR 890/16, Rn. 34 m.w.N.[]
  3. vgl. BVerfGE 80, 109 <121> 95, 220 <241 f.> BVerfG, Beschluss vom 01.12.2020 – 2 BvR 916/11 u.a., Rn.190[]
  4. vgl. BVerfGE 38, 105 <113> 56, 37 <43> 133, 168 <201 Rn. 60> BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016 – 2 BvR 890/16, Rn. 35[]
  5. vgl. BVerfGE 56, 37 <42, 49> BVerfGK 4, 105 <108> 18, 144 <150>[]
  6. vgl. BVerfGE 56, 37 <49 f.> BVerfGK 4, 105 <108>[]
  7. vgl. BVerfGE 55, 144 <150 f.> BVerfG, Beschluss vom 07.12.1981 – 2 BvR 1172/81 7; Beschluss vom 01.12.2020 – 2 BvR 916/11 u.a., Rn. 310[]
  8. vgl. BVerfGE 55, 144 <151> BVerfG, Beschluss vom 01.12.2020 – 2 BvR 916/11 u.a., Rn. 310[]
  9. vgl. BVerfGE 81, 70 <97> BVerfGK 17, 253 <264>[]
  10. vgl. BVerfGE 56, 37 <49> BVerfGK 1, 156 <157> 15, 457 <471> 17, 253 <264> BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016 – 2 BvR 890/16, Rn. 35[]
  11. vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.09.1984 – 2 BvR 159/84, S. 2[][]
  12. vgl. BVerfGE 56, 37 <43>[]
  13. vgl. Lutz, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl.2018, § 55 Rn. 15[]
  14. vgl. Begründung des Bundesrates zum Ergänzungsvorschlag zu § 9 des Gesetzes vom 06.08.1975, zitiert aus Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch , Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 9, S. 95; zur ähnlich konzipierten Regelung in § 4 Abs. 4 FPersG vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.09.1984 – 2 BvR 159/84, S. 2[]
  15. vgl. Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch , Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 9, S. 96 Rn. 1; vgl. auch § 1, S. 29 Rn. 30[]
  16. vgl. Begründung des Bundesrates zum Ergänzungsvorschlag zu § 10 , zitiert aus: Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch , Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 10, S. 116[]
  17. vgl. Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch , Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 9, S. 102 Rn. 15[]
  18. vgl. Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch , Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 9, S. 103 Rn. 16, 18[]
  19. vgl. BVerfGK 17, 253 <264>[]

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