Das – nicht lediglich eine Negativtatsache behauptende – Ersuchen um die Zeugenvernehmung stellt einen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO dar, wenn insbesondere die Konnexität zwischen Beweistatsachen und Beweismittel gewahrt ist. Der Beweisantrag muss sich nicht zu Umständen verhalten, die ihn bei fortgeschrittener Beweisaufnahme mit gegenläufigen Beweisergebnissen dennoch plausibel erscheinen lassen.

Die Rechtsprechung, die vereinzelt eine solche „qualifizierte“ Konnexität für erforderlich gehalten hat1, findet jedenfalls seit der umfassenden Neuregelung des Beweisantragsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.20192 keine Anwendung mehr; denn sie ist mit der geänderten Gesetzeslage nicht zu vereinbaren3.
Tatsächlich bedeutungslos sind – allein – Indiz- beziehungsweise Hilfstatsachen, wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung kein Sachzusammenhang besteht oder sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulassen und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will. Ob der Schluss gerechtfertigt wäre, hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Tatsache so, als wäre sie erwiesen, in ihrem vollen Umfang ohne Umdeutung, Einengung oder Verkürzung in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der potentiell berührten Haupttatsache beziehungsweise zum Beweiswert der anderen Beweismittel in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde. Die Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit erlaubt es dem Tatgericht dabei nicht, die Bedeutungslosigkeit lediglich aus dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme abzuleiten, die Richtigkeit der behaupteten Tatsache in Frage zu stellen oder den Beweiswert in Zweifel zu ziehen4.
Daran gemessen erweist sich die Ablehnung im hier entschiedenen Fall als rechtsfehlerhaft:
Das Landgericht hat nach der Beschlussbegründung die unter Beweis gestellten Beweistatsachen nicht als solche und nicht so, als wären sie erwiesen, in seine Würdigung eingestellt. Es hat die Bedeutungslosigkeit vielmehr aus dem bisherigen Beweisergebnis hergeleitet, indem es das Gegenteil der Beweistatsachen bereits durch andere Beweismittel als belegt und die beantragte Zeugenaussage durch eine vorweggenommene Würdigung als Falschaussage angesehen hat. Dies ist unzulässig. Wegen des Verbots der Beweisantizipation darf eine Beweistatsache nicht mit dem Argument als bedeutungslos erachtet werden, das Tatgericht sei von ihrem Gegenteil schon überzeugt5.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht nach Durchführung der beantragten Zeugenvernehmung die Täterschaft des zum Tatvorwurf schweigenden Angeklagten in Fall II. 1. abweichend bewertet hätte und daher das Urteil ohne den Rechtsfehler insoweit möglicherweise anders ausgefallen wäre6.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21
- vgl. insbesondere BGH, Urteil vom 10.06.2008 – 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284[↩]
- BGBl. I S. 2121[↩]
- s. BGH, Beschluss vom 01.09.2021 – 5 StR 188/21, NJW 2021, 3404 Rn. 21 ff., 23, 26[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 06.03.2018 – 3 StR 342/17, StraFo 2018, 388, 389; Urteil vom 10.08.2017 – 3 StR 549/16, NStZ 2018, 111, 112; Beschluss vom 23.05.2012 – 5 StR 174/12, NStZ-RR 2012, 353, 354; Urteil vom 12.10.1976 – 1 StR 549/76 3; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 220; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 244 Rn. 56[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 06.03.2018 – 3 StR 342/17, StraFo 2018, 388, 389; vom 03.12.2015 – 2 StR 177/15, NStZ 2016, 365; vom 18.03.2015 – 2 StR 462/14, NStZ 2015, 599, 600; vom 23.05.2012 – 5 StR 174/12, NStZ-RR 2012, 353, 354; vom 11.04.2007 – 3 StR 114/07, StraFo 2007, 331; Urteil vom 12.10.1976 – 1 StR 549/76 3; KK-StPO/Krehl, 8. Aufl., § 244 Rn. 143[↩]
- zum Begriff des Beruhens vgl. BGH, Urteil vom 01.07.2021 – 3 StR 518/19, NZWiSt 2021, 478 Rn. 94[↩]
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