Ehrverletzende Äußerungen gegenüber Behördenvertretern – die „rechtssichere“ Anwendung der Reichsrassengesetze

Beleidigung oder grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit? Mit dieser Frage bei ehrverletzenden Äußerungen gegenüber Behördenvertretern hatte sich das Oberlandesgericht Hamm zu befassen.

Ehrverletzende Äußerungen gegenüber Behördenvertretern – die „rechtssichere“ Anwendung der Reichsrassengesetze

Anlass hierfür bot die folgende, von einem Fernsehbericht des WDR über die Abschiebehaft eines serbischen Ehepaares inspirierte eMail an das Ausländeramt des Märkischen Kreises:

Sehr geehrte Damen und Herren,

nach dem Erleben des heutigen WDR-Beitrages muss ich sachlich feststellen, daß Ihre Amtsvorgänger die Reichsrassengesetze gegen die Juden rechtssicherer angewandt haben. Man sollte doch erwarten, daß die rechtssicheren Handlungen, die jedem damaligen Judenschänder seinen Beamtenstatus erhielten, auch noch von Ihnen beherrscht werden. Aber zu Ihrer Beruhigung: Ehe dem deutschen Beamten ein Rechtsbruch nachgewiesen würde, drehte sich die Erde rückwärts.

Weiter so bis zum Ruhestand.

Und Kopf hoch, selbst Roland Freislers Witwe wurde im Nachhinein die Altersversorgung aufgebessert.“

Das Amtsgericht Altena hatte den Absender wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 60, – € verurteilt1. Auf dessen Sprungrevision hob das Oberlandesgericht Hamm das amtsgerichtliche Urteil auf und sprach den Angeklagten frei:

Nicht zu beanstanden ist für das Oberlandesgericht Hamm zunächst die von dem Amtsgericht vorgenommene Einordnung des Inhalts der E-Mail des Angeklagten als ehrkränkende, beleidigende Meinungsäußerung und die Annahme, dass sie sich gegen einen abgrenzbaren Kreis der bei der Ausländerbehörde des Märkischen Kreises tätigen Mitarbeiter und nicht gegen die Behörde als Institution gerichtet habe.

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Jedoch fallen auch – wie hier vorliegende – polemische, drastische und ehrverletzende Formulierungen einer Meinungsäußerung in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Werturteile sind von Art 5 Abs.1 S.1 GG geschützt, ohne dass es darauf ankommt , ob die Äußerung „wertvoll“ oder „wertlos“, „richtig“ oder „falsch“, emotional oder rational begründet ist2.

Bei der Auslegung und Anwendung der §§ 185, 193 StGB verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG daher grundsätzlich eine alle wesentlichen Umstände berücksichtigende Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des bzw. der Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten3.

Im Rahmen dieser verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung tritt die Meinungsfreiheit allerdings dann regelmäßig hinter dem Ehrschutz zurück, ohne dass es einer konkreten, näheren Abwägung bedarf, wenn es sich um herabsetzende Äußerungen handelt, die eine Schmähung der angegriffenen Person darstellen oder deren Menschenwürde antasten. Wegen des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik jedoch eng auszulegen. Eine Schmähung liegt nicht bereits wegen der herabsetzenden Wirkung einer Äußerung für Dritte vor, selbst wenn es sich um eine überzogene oder ausfällige Kritik handelt. Vielmehr nimmt eine herabsetzende Äußerung erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache – jenseits von polemischer und überspitzter Kritik – , sondern, die Diffamierung der Person im Vordergrund steht4. Eine solche als Schmähung einzuordnende Äußerung hat regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzustehen. Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik erfordert jedoch regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung5.

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Zwar hat das Amtsgericht noch genügende Feststellungen zu Anlass und Kontext der in Rede stehenden Äußerung getroffen; die Einordnung der Äußerung als Schmähkritik durch das Amtsgericht ist hingegen rechtlich nicht haltbar. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte mit seiner E-Mail auf einen zuvor am selben Tag gesendeten Fernsehbericht des WDR über die Abschiebung eines serbischen Ehepaares, in dem „angebliche Missstände bei der Abschiebepraxis“ der zuständigen Ausländerbehörde des Märkischen Kreises thematisiert worden sind, reagiert. Schon durch die Bezugnahme in der Einleitung seiner E-Mail zielte die Äußerung des Angeklagten damit zumindest auch auf eine Auseinandersetzung in der Sache. Durch diese Bezugnahme und angesichts der Tatsache, dass Inhalt des Fernsehberichtes des WDR „angebliche“ Missstände in der Abschiebepraxis gewesen sind und der Angeklagte den Mitarbeitern der Ausländerbehörde des Märkischen Kreises daraufhin Rechtsbruch vorwarf, ist die Wertung des Amtsgerichts, dass sich seine Äußerungen fern jedes sachlichen Anliegens in der Diffamierung von Personen erschöpft, unzutreffend.

Die mangels Vorliegens einer Schmähkritik demnach unter Berücksichtigung aller wesentlichen Einzelumstände vorzunehmende konkrete Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten fällt vorliegend zugunsten der Meinungsfreiheit aus.

Zwar ist der Ehrschutz und das Persönlichkeitsrecht der bei der Ausländerbehörde des Märkischen Kreises tätigen Mitarbeiter in massiver Weise angegriffen bzw. verletzt worden. Denn in seiner E-Mail nimmt der Angeklagte zwar auch auf den Inhalt des WDR-Berichtes Bezug, eine nähere Auseinandersetzung mit dem Inhalt des WDR-Berichtes erfolgt jedoch nicht. Vielmehr steht der ehrverletzende Charakter der E-Mail im Vordergrund. Gerade der vom Angeklagten vorgenommene Vergleich der Mitarbeiter des Ausländeramtes des Märkischen Kreises mit den Amtsvorgängern der NS-Diktatur, welche „Judenschänder“ gewesen seien, und die damit gezogene Parallele zu den Gräueltaten der NS-Diktatur, greift in massiver Weise in den Ehrschutz der Mitarbeiter der Ausländerbehörde ein.

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Dennoch überwiegt bei Zugrundelegung der Maßstäbe der maßgeblichen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung im Rahmen der hier vorzunehmenden Abwägung die Meinungsfreiheit.

Für den Vorrang der Meinungsfreiheit spricht, dass nach dem Inhalt des Fernsehberichtes des WDR Anlass zu – auch scharfer – Kritik gegeben war. In einem solchen Fall ist der Umfang dessen, was an Meinungsäußerung noch gerechtfertigt ist, erheblich größer6. Dabei fallen auch scharfe und übersteigerte Äußerungen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Bei Beiträgen zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage gilt die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede7.

Bei der Beurteilung der Schwere der zweifellos vorliegenden Ehrverletzung und ihrer Gewichtung im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ist zudem von Bedeutung, ob die betroffenen Mitarbeiter der Ausländerbehörde persönlich angegriffen und womöglich sogar namentlich genannt wurden8. Vorliegend hat der Angeklagte mit dem Inhalt seiner E-Mail jedoch keine einzelnen Personen, sondern allgemein die Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Märkischen Kreises ansprechen wollen. Zudem ist der Inhalt der E-Mail nicht unbeteiligten Dritten zugänglich gemacht worden, was ebenfalls bei der Abwägung zu berücksichtigen ist.

Auch ist zu bedenken, dass der Inhalt der E-Mail des Angeklagten zwar beleidigend, jedoch angesichts der gewählten Formulierungen nicht derart ehrverletzend ist, dass der Ehrschutz überwiegen würde. Vielmehr dürfen im „Kampf um das Recht“ auch scharfe, polemische und übersteigerte Äußerungen getätigt werden, um eine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn die Kritik auch anders formuliert hätte werden können9. Bei Beiträgen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage – wie hier der Abschiebung von Ausländern – muss Kritik an staatlichen Maßnahmen, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, hingenommen werden, weil anderenfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte10.

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Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 14. August 2014 – 2 RVs 28/14

  1. AG Altena, Urteil vom 22.04.2014 – 2 Cs – 674 Js 163/13 – 101/13[]
  2. vgl BVerfG, Beschluss vom 05.03.1992, NJW 1992, 2815[]
  3. vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.08.2005, NJW 2005, 3274[]
  4. vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.08.2005, a.a.O.; Beschluss vom 05.12 2008, NJW 2009, 749[]
  5. vgl. BVerfG, a.a.O.[]
  6. vgl. Thür. OLG, Beschluss vom 04.07.2001, NJW 2002, 1890[]
  7. vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.03.1992, NJW 1992, 2815[]
  8. vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.03.1992, a.a.O.[]
  9. vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03.06.2004, NStZ-RR 2006, 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012, NStZ-RR 2012, 244[]
  10. ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 82, 272[]