Eine ärztliche Behandlung, die der Täter ohne Approbation vornimmt, kann nach den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Maßstäben eine sexuelle Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB sein, auch wenn die Behandlung medizinisch indiziert war und für sich genommen lege artis vorgenommen wurde. Ein Behandlungsverhältnis gemäß § 174c Abs. 1 StGB setzt keine Approbation des Täters voraus.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind sexuelle Handlungen zum einen solche, die bereits objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Zum anderen können sogenannte ambivalente Tätigkeiten, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Insoweit ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt. Dazu gehören auch die Zielrichtung des Täters und seine sexuellen Absichten. Der notwendige Sexualbezug kann sich mithin etwa aus der den Angeklagten leitenden Motivation ergeben, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen1.
Im juristischen Schrifttum wird vertreten, dass medizinisch indizierte und lege artis vorgenommene Behandlungsmaßnahmen keine sexuellen Handlungen darstellen2. Dabei sind die näheren Einzelheiten umstritten, etwa zum Erfordernis einer umfassenden Patientenaufklärung3 oder zum Rückgriff auf die Regeln, die zur Rechtfertigung von Körperverletzungen im Zusammenhang mit ärztlichen Eingriffen entwickelt wurden4.
Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen näheren Voraussetzungen medizinisch indizierte und ärztlich regelrecht durchgeführte Handlungen grundsätzlich als sexuelle Handlungen ausscheiden, hat der Bundesgerichtshof noch nicht abschließend beantwortet5. Sie bedurfte für die hier zu treffende Entscheidung weiterhin keiner allgemeinen Klärung.
Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Täter eine Behandlung als Arzt vornimmt, obwohl er keine ärztliche Approbation (mehr) hat, ist eine sexuelle Handlung nicht generell ausgeschlossen, sondern anhand der von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätze zu prüfen. Von diesen Grundsätzen abzuweichen, die eine für den jeweiligen Einzelfall sachgerechte und nach allgemeinen Kriterien nachvollziehbare Abgrenzung ermöglichen, besteht zumindest dann kein Anlass, wenn es an der für eine ärztliche Tätigkeit vorausgesetzten Erlaubnis fehlt und mithin die Behandlung bereits deshalb nicht regelgerecht durchgeführt ist (s. § 2 Abs. 1 BÄO, § 1 Abs. 1 HeilPrG)6.
Nach diesen Maßstäben nahm der Angeklagte im hier entschiedenen Fall sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin vor:
Zum Zeitpunkt der Tat hatte er seine Approbation bereits verloren. Darauf, dass er von der Erfolglosigkeit seiner dagegen eingelegten Verfassungsbeschwerde erst nach der Tat erfuhr, kommt es nicht an. Die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde, die einen außerordentlichen Rechtsbehelf nach Abschluss des Rechtsweges darstellt, berührt die Wirksamkeit der zuvor getroffenen Entscheidung prinzipiell nicht7.
Die längerdauernde Berührung des Schamhügels unter der Bekleidung stellt wenigstens eine ambivalente Handlung dar, die nach dem Sachzusammenhang einen Sexualbezug aufweist. Ein solcher liegt nach dem äußeren Erscheinungsbild bei einem Berühren primärer Geschlechtsorgane regelmäßig nahe8. Dies gilt nach den konkreten Umständen selbst dann, wenn ein solches Vorgehen, wie von der Strafkammer nicht ausgeschlossen, bei einer osteopathischen Behandlung fachgerecht sein könnte; denn der Angeklagte schlug der erst 14jährigen Geschädigten die „Behandlung“ von sich aus spontan vor, klärte über deren besonders persönlichkeitssensiblen Verlauf nicht auf (allgemein zur ärztlichen Aufklärungspflicht § 8 Satz 2 ff. MBO-Ä, § 630c Abs. 2 Satz 1, § 630e BGB) und handelte, um sich sexuell zu erregen. Hinzu kommt als weiterer Kontext, dass der Angeklagte die Geschädigte am Vortag mehrfach gestreichelt sowie geküsst hatte und sich im Anschluss hypothetisch über eine Verabredung äußerte9.
Die Handlung war schließlich von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB. Als erheblich sind solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen10. Dies ergibt sich nach dem bereits aufgezeigten Gesamtbild vor allem angesichts des für die Geschädigte überraschenden, mehrere Minuten dauernden und unmittelbaren körperlichen Kontakts mit einem Geschlechtsorgan11.
Für die Tatsache, dass die Geschädigte dem sich ohne Approbation als Arzt Gerierenden wegen einer körperlichen Krankheit zur Behandlung anvertraut war, ist es nicht maßgeblich, ob das Opfer dem Täter fremdbestimmt überantwortet wird oder ob es sich von sich aus in die Behandlung begeben hat12. Dass die Nebenklägerin noch minderjährig war und ihre Eltern in die Behandlung nicht eingebunden waren, ist insofern ebenso ohne Belang, da eine rechtsgeschäftliche Beziehung nicht erforderlich ist13. Überdies reicht aus, dass die Nebenklägerin subjektiv ersichtlich von einem Behandlungsbedarf ausging und eine fürsorgerische Tätigkeit des Angeklagten entgegennahm14.
Ein Behandlungsverhältnis gemäß § 174c Abs. 1 StGB setzt weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach der Gesetzesgenese15 eine wirksame Approbation des Angeklagten als Arzt voraus. Mithin kommt es hier nicht darauf an, dass dem Angeklagten die Approbation bereits vor der Tat entzogen worden war16.
Der vermeintliche Arzt handelt unter Missbrauch des Behandlungsverhältnisses, indem er die sich daraus ergebende Vertrauensstellung bewusst zu sexuellem Kontakt ausnutzt17.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. April 2020 – 3 StR 44/20
- BGH, Urteil vom 29.08.2018 – 5 StR 147/18, BGHR StGB § 184b Abs. 1 Kinderpornographische Schriften 2 Rn. 15; s. auch BGH, Urteil vom 10.03.2016 – 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173 Rn. 6; Beschluss vom 06.06.2017 – 2 StR 452/16, StV 2018, 231; jeweils mwN[↩]
- s. etwa LK/Roggenbuck, StGB, 12. Aufl., § 184g Rn. 6; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 174c Rn. 17; aA Zauner, Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174c StGB, 2004, S. 103; s. auch BT-Sonderausschuss für die Strafrechtsreform, 6. Wahlperiode, Protokolle S.2008; Laubenthal in Festschrift Streng, 2017, S. 87, 92; ders., Handbuch Sexualstraftaten, 2012, Rn. 108[↩]
- in diesem Sinne Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 174c Rn. 16; vgl. auch MünchKomm-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 174c Rn. 29; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 174c Rn. 6b; SKStGB/Wolters, 9. Aufl., § 184h Rn. 8; dagegen LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 174c Rn. 17[↩]
- so SSW-StGB/Wolters, 4. Aufl., § 184h Rn. 5; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 184h Rn. 8; AnwK-StGB/Lederer, 3. Aufl., § 184h Rn. 6[↩]
- zu § 174 StGB aF ausdrücklich offenlassend BGH, Urteil vom 16.01.1959 – 4 StR 444/58, BGHSt 13, 138, 142; zu Scheinuntersuchungen und medizinisch sinnlosen Behandlungen BGH, Urteile vom 10.03.2016 – 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173; vom 14.03.2012 – 2 StR 561/11, BGHR StGB § 178 Abs. 1 Sexuelle Handlung 9 Rn. 22[↩]
- zur Bedeutung der Approbation auch BGH, Urteil vom 23.12.1986 – 1 StR 598/86, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Werkzeug 1; Beschluss vom 25.01.2012 – 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95 Rn. 62[↩]
- vgl. allgemein etwa BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, 212 f. mwN[↩]
- vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 15.10.1987 – 4 StR 420/87, BGHSt 35, 76, 78; – in Bezug auf § 184i StGB – BGH, Beschluss vom 13.03.2018 – 4 StR 570/17, BGHSt 63, 98 Rn. 37; BT-Drs. 18/9097 S. 30; s. zudem VG Berlin, Beschluss vom 27.10.2004 – 90 A 4.04 18 mwN[↩]
- vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.02.2019 – OVG 90 H 2.18, GesR 2019, 375, 379 f.[↩]
- BGH, Urteile vom 10.03.2016 – 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173 Rn. 8; vom 21.09.2016 – 2 StR 558/15, BGHR StGB § 184h Nr. 1 Erheblichkeit 2 Rn. 14 mwN[↩]
- s. BGH, Urteil vom 21.09.2016 – 2 StR 558/15, aaO Rn. 15[↩]
- s. BT-Drs. 13/8267 S. 6 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2011 – 3 StR 318/11, BGHR StGB § 174c Anvertraut 1 Rn. 11; Beschluss vom 29.06.2016 – 1 StR 24/16, BGHSt 61, 208 Rn.19[↩]
- BGH, Urteil vom 01.12.2011 – 3 StR 318/11, aaO Rn. 11[↩]
- vgl. BT-Drs. 13/8267 S. 7; 13/2203 S. 4; 15/350 S. 16[↩]
- ggf. enger für § 174c Abs. 2 StGB: BGH, Beschluss vom 29.09.2009 – 1 StR 426/09, BGHSt 54, 169 Rn. 8 ff.; kritisch dazu Gutmann/Tibone/Schleu/Thorwart, MedR 37 [2019], 18, 20[↩]
- s. BT-Drs. 13/8267 S. 7; BGH, Beschluss vom 29.06.2016 – 1 StR 24/16, BGHSt 61, 208 Rn. 22[↩]
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- Arzt: Darko Stojanovic