Grundrechte dürfen nur durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes und nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden; dies gilt auch für Gefangene1. Durchsuchungen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar2, da das Schamgefühl durch die in nacktem Zustand zu duldende Durchsuchung in besonderem Maße tangiert wird3. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber diese Art von Eingriffen in § 84 Abs. 2 und 3 StVollzG strengeren Voraussetzungen unterworfen als sonstige Durchsuchungen (vgl. § 84 Abs. 1 StVollzG; siehe auch BT-Drs. 7/918, S. 137 f.).

Gesetzeswortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der differenzierten Regelung sprechen dafür, dass maßgebendes Kriterium für das Vorliegen einer Durchsuchung nach § 84 Abs. 2 StVollzG die Entkleidung unter visueller Bewachung durch das Vollzugspersonal ist. Dafür spricht insbesondere § 84 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, der die Durchführung der mit einer Entkleidung verbundenen Durchsuchung ausschließlich in Gegenwart von Bediensteten des gleichen Geschlechts gestattet4. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass – wenngleich jegliche Entkleidung in Anwesenheit von Justizbediensteten das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Gefangenen berührt – die Norm des § 84 Abs. 2 StVollzG dem Wortlaut nach ausschließlich die körperliche Durchsuchung, die mit einer Entkleidung verbunden ist, umfasst, während die Regelung in § 84 Abs. 1 StVollzG für die (einfache) Durchsuchung der Gefangenen, ihrer Sachen und der Hafträume einschlägig ist. Sowohl bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der körperlichen Durchsuchung als auch bei der Bestimmung des Entkleidungsgrades, der zu einer Anwendbarkeit des § 84 Abs. 2 StVollzG führt, ist dem vom Gesetzgeber bezweckten Schutz der Intimsphäre der Gefangenen in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Dabei kann vorliegend offen bleiben, ob bereits die Entkleidung bei bloßer Anwesenheit eines Justizbediensteten und die nachfolgende Durchsuchung der Sachen eines Gefangenen ohne explizite Inspektion seines nackten Körpers unter § 84 Abs. 2 StVollzG fallen5 oder es in einem solchen Fall gerade an dem Merkmal der „körperlichen Durchsuchung“ fehlt. Jedenfalls die explizite visuelle Kontrolle des Körpers des Gefangenen muss jedoch für die Bejahung einer „körperlichen Durchsuchung“ im Sinne des § 84 Abs. 2 StVollzG ausreichen. Zudem ist § 84 Abs. 2 StVollzG hinsichtlich des Entkleidungsgrades mindestens dann einschlägig, wenn die Genitalien des Gefangenen – unabhängig von der zeitlichen Dauer – entblößt werden müssen, da die visuelle Kontrolle dieser Körperteile durch Andere eine der schwerwiegendsten, mit einer Entkleidung verbundenen Beeinträchtigungen des menschlichen Schamgefühls darstellt.
Mit der Annahme, eine körperliche Durchsuchung im Sinne des § 84 Abs. 2 StVollzG liege nur dann vor, wenn der Bedienstete der Anstalt nach der Entkleidung den Gefangenen zunächst auffordere, die Arme zu heben, sich zu bücken, den Mund zu öffnen, sich zu drehen, sich in die Ohren und Nase blicken zu lassen, den Kopf zu senken und die Haare zu schütteln, hat das Landgericht diesen eindeutigen Sinn der vom Gesetzgeber getroffenen differenzierten, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichteten Regelung verkannt. Auch die Annahme, es handele sich jedenfalls – selbst wenn der Beschwerdeführer seine Unterhose herunterziehen müsse und seine unbedeckten Genitalien und seine unbedeckte Rückenansicht kontrolliert würden – nicht um eine mit Entkleidung verbundene Durchsuchung im Sinne von § 84 Abs. 2 StVollzG, lässt sich mit den dargestellten Grundsätzen nicht vereinbaren und die verfassungsrechtlich gebotene Beachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers vermissen. Die vom Landgericht ebenfalls zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Umstände, dass weder Unbefugte im Untersuchungsraum anwesend gewesen seien noch Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass der Beschwerdeführer willkürlich oder diskriminierend behandelt worden sei, sind zwar notwendige, jedoch in keiner Weise hinreichende Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der erfolgten Durchsuchung.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5. März 2015 – 2 BvR 746/13
- vgl. BVerfGE 33, 1, 11; 89, 315, 322 f.[↩]
- vgl. BVerfGK 2, 102, 105[↩]
- vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 07.03.2005 – 2 Ws 37/05, nicht veröffentlicht, S. 6 des Umdrucks[↩]
- vgl. BVerfGK 8, 363, 367[↩]
- so Feest/Köhne, in: Feest/Lesting, StVollzG, 6. Aufl.2012, § 84 Rn. 5; a.A. Arloth, StVollzG, 3. Aufl.2011, § 84 Rn. 4[↩]