Einem pensionierten Gerichtsvollziehrs ist bei 23 nachgewiesenen Untreuedelikte in der aktiven Dienstzeit das Ruhegehalt abzuerkennen, selbst wenn eine Bereicherungsabsicht nicht festgestellt werden konnte.

In einem solchen jetzt vom Verwaltungsgericht Hannover entschiedenen Fall wurde dem Beklagten ist das Ruhegehalt aberkannt, weil er ein schweres Dienstvergehen begangen hat (§ 47 BeamtStG), durch das das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren gegangen ist. Ein Beamter im aktiven Beamtenverhältnis hätte für dieses Dienstvergehen aus dem Dienst entfernt werden müssen (§ 14 Abs. 2 NDiszG).
Nach Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils des Amtsgerichtes Peine1, die nicht offenkundig unrichtig und mithin für das erkennende Verwaltungsgericht im Disziplinarklageverfahren bindend sind (§ 52 Abs. 1 NDiszG), hat der Beklagte in 23 Fällen den strafrechtlichen Tatbestand der Untreue erfüllt.
Der Beklagte hat durch die Untreuedelikte in 23 Fällen gegen seine Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf und zur uneigennützigen Amtsführung verstoßen und ist durch sein Verhalten nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden, die sein Beruf erfordert und nicht gegen Strafgesetze zu verstoßen, § 62 NBG a.F. bzw. nunmehr § 34 BeamtStG.
Er hat die vorgenannten 23 Dienstpflichtverletzungen, die ein einheitliches Dienstvergehen iSd. § 85 NBG darstellten bzw. nunmehr iSd. 47 BeamtStG darstellen, auch schuldhaft begangen. Von einer Schuldunfähigkeit iSd. § 20 StGB ist beim Beklagten nicht auszugehen. Das Amtsgericht Peine hat in dem rechtskräftigen Strafurteil vom 10.09.2008 weder eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB angenommen noch ist es von einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgegangen. Es hat vielmehr den Beklagten als voll schuldfähig angesehen.
Das vom Beklagten begangene Dienstvergehen ist weiterhin von derartigem Gewicht, dass das Ruhegehalt des Beklagten abzuerkennen war.
Gemäß § 14 Abs. 1 NDiszG ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen, wobei das Persönlichkeitsbild einschließlich des bisherigen dienstlichen Verhaltens des Beamten angemessen zu berücksichtigen ist. Nach Absatz 2 Satz 2 des § 14 NDiszG ist dabei einem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt abzuerkennen, wenn er als aktiver Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen. Ein aktiver Beamter ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 NDiszG aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat.
Der Umstand, dass der Beklagte während seiner aktiven Dienstzeit 23 Mal wie vom Strafgericht festgestellt in einem längeren Zeitraum wiederholt nennenswertes Beträge mit einer relativ hohen Gesamtschadenssumme veruntreute, hat sowohl das Vertrauen des Dienstherrn als auch das der Allgemeinheit in den Beklagten vollständig zerstört. Als Beamter im aktiven Beamtenverhältnis wäre der Beklagte nicht mehr tragbar und müsste aus dem Beamtenverhältnis entfernen. Der Dienstherr muss sich immer darauf verlassen können, dass Beamte, die für ihn finanzielle Dinge regeln, dies korrekt tun. Erfolgen Handlungen, wie sie der Beklagte nach dem Strafurteil des Amtsgerichtes Peine begangen hat, ist dieses Vertrauen nicht mehr gerechtfertigt. Und die Öffentlichkeit hat ebenfalls kein Vertrauen mehr in Gerichtsvollzieher, die derart mit ihnen anvertrauten fremden Geldern umgehen.
Milderungsgründe, die dafür sprechen könnten, von der gebotenen Aberkennung des Ruhegehaltes abzusehen und stattdessen nur eine geringfügigere Disziplinarmaßnahme auszusprechen, sind nicht erkennbar.
Insbesondere kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, dass ihm im Strafprozess eine Bereicherungsabsicht nicht nachzuweisen war und das Strafurteil entsprechend keine diesbezüglichen Tatsachenfeststellungen getroffen hat. Auch das Verwaltungsgericht geht – obwohl der Dienstherr gewichtige Indizien für eine Bereicherungsabsicht dargelegt hat – zu Gunsten des Beklagten davon aus, dass ihm jedenfalls eine Bereicherungsabsicht hinsichtlich der abgeurteilten 23 Fälle nicht nachzuweisen sein dürfte. Darauf, ob der Beklagte letztendlich Gelder tatsächlich für sich verbraucht hat oder nicht, kommt es nicht mehr an. Auch wenn der Verbleib der veruntreuten Gelder nicht mehr aufgeklärt werden kann, so ist doch festzustellen, dass durch die Untreuehandlungen des Beklagten sowohl die Schuldner (die immer noch als säumige Zahler galten, obwohl die Schulden längst beglichen waren) als auch die Gläubiger (denen das Geld, das ihnen zustand und von dem womöglich auch ihre wirtschaftliche Existenz mit abhing, vorenthalten wurde) und dem Land Niedersachsen (das gegenüber den Geschädigten schadensersatzpflichtig wurde und tatsächlich auch Schadenersatz in beträchtlicher Höhe leisten musste) geschädigt wurden. Gerade von Gerichtsvollziehern, die mit staatlichen Hoheitsrechten ausgestattet, für die Gläubiger Zahlungsforderungen und andere Handlungen vollstrecken müssen, wird in der Öffentlichkeit ein besonders korrektes Verhalten hinsichtlich finanzielle Dinge erwartet. Handlungen, wie sie nach dem Strafurteil vom Beklagten begangen wurden, werfen entsprechend ein extrem schlechtes Licht auf den Berufsstand der Gerichtsvollzieher im besonderen und der Beamtenschaft im Allgemeinen und sind geeignet, das Vertrauen in die Justizverwaltung nachhaltig zu erschüttern. Hinzu kommt, dass so, wie der Beklagte verfahren ist, jedenfalls die konkrete Gefahr bestanden hat, dass doch Gelder versehentlich auf das eigene Konto fließen und dort möglicherweise – weil der Beklagte den Überblick verloren hat – dann doch für persönliche Zwecke verwendet wurden. Dieses Risiko ist der Beklagte zumindest grobfahrlässig eingegangen.
Zwar kann nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 19872 von der disziplinaren Höchstmaßnahme abgesehen werden, wenn es an einem uneigennützigen Motiv fehlt. Auch in einer Reihe weitere Entscheidungen hatte sich das BVerwG mit der Frage des fehlenden Eigennutzes auseinandergesetzt und sich dann gegen die Höchstmaßnahme ausgesprochen. Bereits in seinem Urteil vom 22. Oktober 19803 hatte das BVerwG zugunsten des damals angeschuldigten Beamten eingestellt, dass er „jedenfalls nicht aus egoistischen Motiven“ gehandelt habe. Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Juni 19954 heißt es, das Bundesverwaltungsgericht habe „beim Fehlen eines materiell-egoistischen Aspekts grundsätzlich von der Dienstentfernung abgesehen“, weil es hierbei im Vergleich zu Zugriffsdelikten zu einer minderschweren Belastung des beamtenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses komme, im Urteil vom 7. November 19955 wird diese Rechtsprechung fortgeführt.
Der hier zu entscheidende Fall unterscheidet sich jedoch im wesentlichen Punkte von den zitierten Fällen des Bundesverwaltungsgerichts. Im Urteil vom 7. November 19955 ging es um einen Postbeamten, der bei einer Umtauschaktion Briefmarken in kleinen Mengen statt gegen neue Marken gegen Bargeld eingetauscht hatte und zudem in einigen Fällen auch ungültige Briefmarken zum Tausch angenommen hatte. Hierin hatte wegen des Fehlens eigennütziger Motive das Bundesverwaltungsgericht das Gewicht des Dienstvergehens als gemindert angesehen.
Demgegenüber handelt es sich im Fall des Beklagten des vorliegenden Verfahrens nicht nur um eine Reihe kleinerer Bagatellvorgänge, die wenn überhaupt, nur zu einem geringen Schaden beim Dienstherrn geführt haben. Der Beklagte des vorliegenden Verfahrens hat hinsichtlich beträchtlicher Summen jeweils eine Untreue begangen und dabei nicht nur seinem Dienstherrn, sondern zusätzlich Schuldner und Gläubiger erheblich geschädigt. Auch wenn dem Beklagten keine Bereicherungsabsicht nachgewiesen werden konnte, hat er doch zumindest auch mit eigennützigen Motiven gehandelt. Denn er hat sich durch die zumindest sehr nachlässige Arbeitsweise an sich notwendige Arbeiten und Mühen erspart, er hat ferner seine Überlastung (mit der Folge, dass möglicherweise ein Teil seines Bezirks in andere Hände gegangen und dadurch Einnahmeverluste entstanden wären) nicht angezeigt. Schließlich hat er durch sein Handeln zumindest erhebliche Verdachtsmomente für eine private Verwendung der Gelder geliefert. Dies alles sind Umstände, die völlig anders liegen als die im zuletzt genannten Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts, und die geeignet sind, einen endgültigen Vertrauensverlust zwischen ihm und seinem Dienstherrn herbeizuführen
Im Urteil vom 13. Juni 19954 war Grundlage der Entscheidung des Gerichts, dass der dortige Beamte die durch das Dienstvergehen erzielten Einnahmen zum Ausgleich von Kassenfehlbeträgen verwendete. Es handelt sich auch hier um eine Fallkonstellation, die mit dem vorliegenden Fall des Beklagten nicht vergleichbar ist. Entsprechendes gilt hinsichtlich des dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 19876 zugrundeliegenden Sachverhalts. Hier war der angeschuldigte Beamte zum Teil schuldunfähig und zum anderen Teil lag eine erheblich verminderte Schuldunfähigkeit vor. Der Beklagte ist jedoch, wie noch ausgeführt werden wird, auch nicht vermindert schuldunfähig. Der vom Bundesverwaltungsgericht am 22. Oktober 19803 entschiedene Fall lässt sich mit dem des Beklagten ebenfalls nicht vergleichen, kam es dabei doch nicht zu einer so beträchtlichen Schädigung des Dienstherrn und Verlustes des Vertrauens in der Öffentlichkeit wie beim Beklagten. Zudem meinte das BVerwG weiter, dass einem Arzt ohne wesentliche Verwaltungserfahrung die Bedeutung eines von ihm verfassten Vermerks nicht in vollem Umfange klar gewesen sein könnte. Dem Beklagten mussten indes aufgrund seiner Ausbildung zum Gerichtsvollzieher die Konsequenzen seiner Handlungen jedoch bewusst sein.
Der Beklagte kann sich im Weiteren nicht auf eine verminderte Schuldunfähigkeit berufen. Zwar ist eine erhebliche verminderte Schuldfähigkeit grundsätzlich als Milderungsgrund anerkannt7.
Eine verminderte Schuldunfähigkeit – und mithin schon gar nicht eine erheblich geminderte Schuldunfähigkeit – liegt beim Beklagten aber nicht vor. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BVerwG insoweit nicht von einer Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils auszugehen. Unabhängig von den Feststellungen im Strafurteil, dass keine verminderte Schuldfähigkeit vorliegt, vermag die Kammer ebenfalls nicht festzustellen, dass für die hier in Rede stehenden Handlungen von einer verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten auszugehen ist. Aufgrund des widerspruchsfreien und überzeugenden Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie D. steht für das erkennende Gericht fest, dass beim Beklagten hinsichtlich der o.g. 23 Dienstpflichtverletzungen nicht von einer verminderten Schuldunfähigkeit auszugehen ist. Der Gutachter hat festgestellt, dass der Beklagte sich seines Handelns durchgängig bewusst gewesen ist. Der Beklagte hat danach weder unter einer krankhaften seelischen Störung noch in einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung gehandelt.
Das vorgenannte Gutachten hat der Beklagte nicht zu erschüttern vermocht. Die Diagnosen „Burn-Out-Syndrom, depressive Verstimmung und Alkoholabusus belegen für sich genommen keine eingeschränkte Schuldfähigkeit. Auch dann ist es grundsätzlich für einen Beamten immer noch erkennbar, dass eine Veruntreuung eine erhebliche Dienstpflichtverletzung darstellt. Die Einholung eines weiteren Gutachtens oder die Vernehmung der behandelnden Ärztin Frau G.als sachverständige Zeugin kommt nach alledem auch zur Frage der verminderten Schuldfähigkeit nicht in Betracht.
Im Übrigen ist in der Rechtsprechung auch anerkannt, dass der Milderungsgrund „Verminderte Schuldfähigkeit“ in Fällen, in denen grundsätzlich wegen endgültiger Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn die Entfernung bzw. bei Ruhestandsbeamten die Aberkennung der Ruhebezüge auszusprechen ist, nur untergeordnete Bedeutung zuzumessen ist. Denn das Maß der Beeinträchtigung des Dienstverhältnisses ist letztlich nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Ist das Verhältnis auf Grund dem Beamten subjektiv zurechenbaren Verhaltens zerstört, ist der betroffene Beamte untragbar geworden und kann aus dem Dienst entfernt werden, auch wenn ihm der Milderungsgrund verminderter Schuldfähigkeit zuzubilligen ist8. Das ist angesichts des Umfangs und der Schwere der begangenen Untreuetaten hier der Fall.
Nach alledem kann hier offen bleiben, ob der Beklagte außer in den vor dem Strafgericht abgeurteilten 23 Untreuetaten in weiteren fünf Fällen ebenfalls jeweils eine Untreue begangen hat oder nicht. Ebenso wenig braucht entschieden zu werden, wie die vorgeworfene Barabhebungen von zusammen 1.979,70 € vom Dienstkonto, der Vorwurf, eingehende Zahlungen nur verspätet an die Gläubiger weitergeleitet zu haben, die vorgeworfene Nicht-Herausgabe von dienstlichen Akten, die Führung des Dienstkontos auch auf den Namen der Ehefrau und der Vorwurf, einen Ring weder verwertet noch herausgegeben zu haben, zu bewerten sind. Darauf kommt es nicht mehr an. Die vom Strafgericht ausgeurteilten 23 Fälle der Untreue reichen aus, um die Disziplinarmaßnahme „Aberkennung des Ruhegehalts“ auszusprechen. Es bedarf mithin keiner Beweiserhebung mehr zur Frage der getrennten Verwahrung von Pfandsachen und ob der oben angesprochene Ring bzw. dessen Erlös nun an die Gläubiger herausgegeben wurden oder nicht.
Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 13. Dezember 2010 – 18 A 2079/10
- AG Peine, Urteil vom 10.10.2008 – 25 Ds 17 Js 27957/04[↩]
- BVerwG, Urteil vom 23.09.1987 – 1 D 16/87[↩]
- BVerwG, Urteil vom 22.10.1980 – 1 D 51/79[↩][↩]
- BVerwG, Urteil vom 13.06.1995 – 1 D 21/94[↩][↩]
- BVerwG, Urteil vom 07.11.1995 – 1 D 1/95[↩][↩]
- BVerwG vom 23.09.1987 – 1 D 16/97[↩]
- BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 – 2 C 59/07[↩]
- vgl. z. B. BVerwG, Urteil vom 14.10.97 – 1 D 60.96; weitere Bsp. bei Köhler/Ratz, BDG, A.I.4 Rn. 35, S. 89 f.[↩]