Entlassung eines Beamten auf Widerruf

Ein Beamter auf Widerruf kann wegen dauernder Dienstunfähigkeit entlassen werden, ohne dass der Personalrat involviert ist.

Entlassung eines Beamten auf Widerruf

Im hier vom Verwaltungsgericht Hannover entschiedenen Fall ist die Entlassung eines Studienreferendars für die Laufbahn eines Lehrers für rechtmäßig erklärt worden. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Entlassung des Klägers auf § 23 Abs. 1 Nr. 3 BeamtStG gestützt hat. Sie hat damit weder rechtsmissbräuchlich den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des § 23 Abs. 4 S. 1 BeamtStG umgangen, noch eine gebundene Entscheidung getroffen, wo eine Ausübung von Ermessen erforderlich gewesen wäre.

§ 23 Abs. 4 S. 1 BeamtStG ermächtigt zur fakultativen Entlassung von Widerrufsbeamten. Diese Regelung schließt die Anwendung der in § 23 Abs. 1 BeamtStG normierten Entlassungsgründe nicht aus1. Sofern der Tatbestand von § 23 Abs. 1 Nr. 3 BeamtStG vorliegt, ist diese Eingriffsnorm als lex specialis vorrangig vor § 23 Abs. 4 S. 1 BeamtStG anzuwenden. In diesem Fall ist auch § 23 Abs. 4 S. 2 BeamtStG nicht zu beachten, nach dem Widerrufsbeamten die Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung gegeben werden soll. Diese Vorschrift steht systematisch im Zusammenhang mit § 23 Abs. 4 S. 1 BeamtStG. Eine Anwendung auf Entlassungen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BeamtStG wäre sinnwidrig, da bei dauernder Dienstunfähigkeit die Fortsetzung des Vorbereitungsdienstes aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist.

Weiterhin musste die Beklagte den Kläger nicht auf eine Möglichkeit der Personalratsbeteiligung hinweisen. Die Beteiligung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG in der ab dem 01.04.2009 geltenden Fassung (NPersVG n.F.) sieht lediglich vor, dass der Personalrat insbesondere bei der Entlassung von Beamtinnen und Beamten auf Probe oder auf Widerruf nach den § 23 Abs. 3 und 4 und § 30 Abs. 2 BeamtStG mitbestimmt. Die Entlassung nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BeamtStG, nach der Beamtinnnen und Beamte zu entlassen sind, wenn sie dauernd dienstunfähig sind und das Beamtenverhältnis nicht durch Versetzung in den Ruhestand endet, ist im Katalog des § 65 Abs. 1 NPersVG n.F. nicht enthalten.

Eine ergänzende Auslegung oder analoge Anwendung von § 65 Abs. 1 Nr. 11 NPersVG n.F. kommt daneben nicht in Betracht2. Diese Norm schreibt eine Mitbestimmung des Personalrats insbesondere bei vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand vor, sofern die Beamtin oder der Beamte die Beteiligung des Personalrats beantragt; die Dienststelle hat auf das Antragsrecht rechtzeitig hinzuweisen.

Eine ergänzende Auslegung kann nicht mit dem vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 09.12.19993 entwickelten Rechtsgedanken begründet werden. In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht für Bundesbeamte auf Lebenszeit im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm die Entlassung wegen Dienstunfähigkeit gemäß § 35 S. 2 BBG a.F. unter den bundesrechtlichen Beteiligungstatbestand für vorzeitige Versetzungen in den Ruhestand subsumiert, weil diese Entlassung eine Ersatzmaßnahme mit Ausnahmecharakter mit den gleichen materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen wie die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit sei, die den Beamten auf Lebenszeit nur ungleich härter treffe. Diese Argumentation lässt sich – abgesehen von dogmatischen Bedenken – auf die niedersächsische Rechtslage bei Beamtinnen und Beamten auf Widerruf nicht übertragen, da bei diesen im Falle dauernder Dienstunfähigkeit die Entlassung nicht die Ausnahme, sondern die zwingende Rechtsfolge ist. Darüber hinaus ist hier gerade kein förmliches Zwangspensionierungsverfahren vorgeschrieben und das Schutzbedürfnis eines Beamten auf Widerruf ist mit dem eines auf Lebenszeit berufenen Beamten nicht zu vergleichen.

In einer anderen, noch älteren Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht für den Fall einer Entlassung eines niedersächsischen Beamten auf Probe wegen Dienstunfähigkeit auch keine entsprechenden Erwägungen angestellt und eine Mitbestimmung nach der vergleichbaren Vorschrift des § 78 Abs. 1 Nr. 6 NPersVG a.F. nicht in Betracht gezogen sowie eine Mitbestimmungspflichtigkeit nach § 78 Abs. 1 Nr. 8 NPersVG a.F. (der Vorgängervorschrift des § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG n.F.) ohne weitere Ausführungen verneint4.

Eine auf die Generalklausel des § 64 Abs. 1 NPersVG n.F. i.V.m. § 64 Abs. 3 S. 1 NPersVG n.F. gestützte ergänzende Auslegung ist ebenfalls ausgeschlossen. Ihr steht § 64 Abs. 3 S. 2 NPersVG n.F. entgegen, demzufolge die §§ 65 bis 67 und 75 die dort aufgeführten Sachverhalte abschließend regeln. Es ist anzunehmen, dass § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG n.F. den Sachverhalt „Entlassung von Probe- und Widerrufsbeamten“ regelt und die Beteiligung auf die dort genannten Konstellationen beschränkt. Auch der Kläger argumentiert nicht, durch § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG n.F. werde nur ein Ausschnitt dieses Sachverhaltes geregelt, sondern der Gesetzgeber habe den gesamten Sachverhalt regeln wollen und nur versehentlich die Entlassung von Widerrufsbeamten wegen Dienstunfähigkeit nicht mit einbezogen.

Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung von § 65 Abs. 1 Nr. 11 NPersVG n.F. liegen nicht vor. Auch wenn eine analoge Anwendung von Regelungen im Bereich der Sperrwirkung nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein mag5, fehlt es hier jedenfalls an einer zweifelsfrei bestehenden planwidrigen Regelungslücke. Für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke werden vom Kläger lediglich Hinweise, nicht aber tragfähige Belege benannt.

Aus dem Umstand, dass der im Gesetzesentwurf aus Januar 1993 für § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG a.F. vorgesehene Nachsatz „wenn sie ihre Entlassung nicht selbst beantragt haben“ mit dem Hinweis gestrichen wurde, die Entlassung auf Antrag sei in § 38 NBG a.F. geregelt, kann nicht zwangsläufig der Schluss gezogen werden, der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift alle Tatbestände erfassen wollen, die eine Entlassung gegen den Willen des Beamten ermöglichen. Die Interpretation der Beklagten, die Streichung habe lediglich redaktionelle Gründe gehabt, ist nicht weniger plausibel. Wenn der Gesetzgeber sämtliche Entlassungen gegen den Willen des Beamten einer Mitbestimmung hätte unterstellen wollen, hätte es näher gelegen, nicht einzelne Entlassungsnormen zu nennen, sondern den Beteiligungstatbestand so zu formulieren wie in § 78 Abs 1 Nr. 4 BPersVG in der mindestens seit 1974 geltenden Fassung: „Entlassung von Beamten auf Probe oder auf Widerruf, wenn sie die Entlassung nicht selbst beantragt haben“. Der Begründung für den Entwurf ist lediglich zu entnehmen, dass die Bestimmung der bisherigen Regelung entspreche6. Das trifft zwar nicht zu, weil der genannte Nachsatz in der Vorgängerregelung gerade nicht vorhanden war. Es ist auch durchaus möglich, dass damit eine Anknüpfung an die umfassendere bundesrechtliche Regelung beabsichtigt war, denn sowohl im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung als auch im einleitenden Teil zu den §§ 64ff. wurde hervorgehoben, dass ein Rückstand gegenüber dem Niveau des Bundespersonalvertretungsgesetzes und den Personalvertretungsgesetzen anderer Länder, insbesondere Schleswig-Holsteins und Nordrhein-Westfalens, aufgeholt werden sollte7. Da dies aber keinen Niederschlag in der Begründung zu der konkreten Norm gefunden hat, ist ein möglicher entsprechender Wille nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht worden.

Dass die niedersächsische Regelung den Beteiligungsstandard des Bundes und sämtlicher anderer Bundesländer unterschreitet, ohne dass der Gesetzgeber sich dazu explizit geäußert hat, kann ebenfalls nicht belegen, dass es sich dabei lediglich um ein Versehen handelt. Gegen die Annahme eines Versehens ist anzuführen, dass die durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachen vom 20.03.19728 eingeführte Regelung in § 78 Abs. 1 lit. h NPersVG (später § 78 Abs. 1 Nr. 8 NPersVG) nicht nur unverändert in § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG in der Fassung vom 02.03.19949 übernommen, sondern bei der Anpassung von § 65 NPersVG an die Neuregelungen des Beamtenstatusgesetzes erneut nur Bezug auf §§ 23 Abs. 3 und 4, 30 Abs. 2 BeamtStG genommen wurde.

Schließlich ist eine Anwendung von § 65 Abs. 1 Nr. 11 NPersVG n.F. auch nicht deshalb geboten, weil – wie der Kläger meint – die vormaligen §§ 37 und 40 NBG in dem neuen § 23 BeamtStG unentwirrbar miteinander verschmolzen sind. Es wurde bereits erörtert, dass sich die Vorgabe aus § 23 Abs. 4 S. 2 BeamtStG gerade nicht auf Entlassungen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BeamtStG bezieht.

Die Tatbestandsvoraussetzungen einer Entlassung nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BeamtStG lagen vor. Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 BeamtStG sind Beamtinnen und Beamte zu entlassen, wenn sie dauernd dienstunfähig sind und das Beamtenverhältnis nicht durch Versetzung in den Ruhestand endet.

Die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit kommt nur bei Beamten auf Lebenszeit (§ 26 BeamtStG) und bei Beamten auf Probe (§ 28 BeamtStG) in Betracht, war also für den Kläger als Beamten auf Widerruf ausgeschlossen.

Die Beklagte ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Kläger dauernd dienstunfähig war. Dienstunfähig ist nach § 26 Abs. 1 S. 1, 2 BeamtStG i.V.m. § 43 Abs. 2 NBG, wer wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Als dienstunfähig kann auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist von sechs Monaten die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 NBG ist die Dienstunfähigkeit aufgrund einer ärztliche Untersuchung festzustellen; darüber hinaus können auch andere Beweise erhoben werden. Die Feststellung der Dienstunfähigkeit obliegt dem Dienstvorgesetzten, für den das vorgeschriebene ärztliche Gutachten dabei eine in medizinischer Hinsicht wesentliche Entscheidungsgrundlage, jedoch nicht das einzige und allein ausschlaggebende Beweismittel ist10.

Der Kläger war zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten bereits über 17 Monate durchgehend krankgeschrieben gewesen. Die Beklagte ist auf der Basis der vorhandenen amtsärztlichen Gutachten und der bekannten Tatsachen auch davon ausgegangen, dass keine Aussicht bestand, dass er innerhalb von sechs Monaten ab ihrer Entscheidung wieder voll dienstfähig werden würde. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass die Amtsärztin in ihrem Gutachten nicht explizit Stellung zu einer derartigen Prognose genommen hat. Dennoch ließ sich auf der Grundlage ihrer Ausführungen eine entsprechende Vorhersage treffen.

Die Rechtsfolge der Entlassung war damit zwingend. Die Entlassungsfrist hat die Beklagte zutreffend gemäß § 32 Abs. 2 S. 1 NBG n.F. bestimmt.

Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 6. September 2011 – 2 A 2502/09

  1. vgl. Reich, BeamtStG, 1. Aufl. 2009, § 23 Rn. 27[]
  2. vgl. VG Hannover, Urteil v. 12.01.2010 – 2 A 1032/10; ohne weitere Begründung ebenfalls Dembowski u.a., NPersVG, § 64 Rn. 7, 35 § 65 Rn. 7; a.A. VG Göttingen, Beschl. v. 12.10.2007, 3 B 366/07; Fricke u.a., NPersVG, § 65 Rn. 53[]
  3. BVerwG, Urteil vom 09.12.1999 – 2 C 4.99, BVerwGE 110, 173 ff.[]
  4. BVerwG, Urt. v. 06.04.1989 – 2 C 83/86, NVwZ-RR 1989, 560 f[]
  5. vgl. dazu Nds. OVG, Beschl. v. 19.03.1997, PersR 1998, 165[]
  6. LT-Drs 12/4370, S. 148[]
  7. LT-Drs 12/4370, S. 84, 146[]
  8. Nds. GVBl. S. 145 ff.[]
  9. Nds. GVBl. S. 95 ff.[]
  10. vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 02.10.2007 – 5 ME 121/07, NVwZ-RR 2008, 483 ff. m.w.N.[]