Das Bundesverfassungsgericht hat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) und der AfD-Bundestagsfraktion abgelehnt, der darauf gerichtet war, dem Bundesinnenminister bis auf Weiteres zu verbieten, in seiner Eigenschaft als Minister bestimmte in einem Interview enthaltene Äußerungen zu tätigen und dieses Interview von der Homepage des Ministeriums zu entfernen.

In dem Interview hatte der Bundesinnenminister erklärt, die AfD oder ihre Mitglieder stellten sich gegen den Staat und verhielten sich staatszersetzend.
Das Bundesverfassungsgericht sah kein Rechtsschutzbedürfnis für die Antragsteller, weil die getätigten Aussagen bereits von der Internetseite des Ministeriums entfernt wurden und auch keine Anhaltspunkte für die Absicht einer Wiederholung der getätigten Aussagen von den Antragstellerinnen dargelegt wurden.
Worum ging es?
Seehofer versteht die Aufregung nicht: GroKo arbeitet „störungsfrei“. Ein Interview mit Bundesinnenminister Horst Seehofer zur Großen Koalition (GroKo).“Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie 1000 Mal sagen, sie sind Demokraten. Das haben sie am Dienstag im Bundestag miterleben können mit dem Frontalangriff auf den Bundespräsidenten. Das ist für unseren Staat hochgefährlich. Das muss man scharf verurteilen. Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräsidenten abkanzeln. Das ist staatszersetzend.“
Das Interview kann seit dem 1.10.2018 nicht mehr von der Homepage abgerufen werden. Die Partei Alternative für Deutschland und deren Bundestagsfraktion begehren mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, dass dem Antragsgegner bis auf Weiteres untersagt wird, in seiner Eigenschaft als Bundesminister die besagten Äußerungen zu tätigen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgeichts
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall – auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache1 – einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet2.
Im Organstreitverfahren bedeutet der Erlass einer einstweiligen Anordnung einen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans. Bei Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ist deshalb grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen3. Der Erlass kann allein der vorläufigen Sicherung des streitigen organschaftlichen Rechts der Antragsteller dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird4. Das Verfahren nach § 32 BVerfGG ist nicht darauf angelegt, möglichst lückenlos vorläufigen Rechtsschutz zu bieten5.
Die Zulässigkeit eines Organstreits setzt grundsätzlich voraus, dass die gerügte Maßnahme oder Unterlassung (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) objektiv vorliegt6. Entsprechendes gilt im Verfahren der einstweiligen Anordnung, da es andernfalls an einem „Streitfall“ im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG fehlt7. Für vorbeugenden Rechtsschutz ist demgemäß im Verfahren des § 32 BVerfGG grundsätzlich kein Raum8. Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen allenfalls in Betracht, wenn dem Antragsteller ohne eine (vorläufige) vorbeugende Regelung effektiver Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte9.
Voraussetzung der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist ferner das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts10.
Nach diesen Maßstäben ist für den Erlass einer einstweiligen Anordnung kein Raum.
Ein Organstreit auf Antrag der Antragstellerin zu 2. wäre in der Hauptsache – auf der Grundlage ihres Vorbringens – unzulässig, so dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung schon deshalb ausscheidet. Parlamentsfraktionen sind zwar als notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens11 zur Geltendmachung eigener Rechte befugt, wenn diese in der Verfassung verankert sind12, und sie sind berechtigt, im Organstreit die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung von Rechten des gesamten Parlaments geltend zu machen13. Als im Organstreit verfolgbare eigene Rechte von Fraktionen kommen aber nur solche im innerparlamentarischen Raum in Betracht14. Das Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, das die Antragstellerin zu 2. geltend macht, kann sie deshalb im Organstreit weder als eigenes Recht gegenüber dem Antragsgegner verfolgen, noch steht es dem Bundestag in seiner Gesamtheit zu.
Soweit das Begehren der Antragstellerin zu 1. darauf gerichtet ist, dem Antragsgegner aufzugeben, sein Interview mit der Deutschen Presse-Agentur vom 14.09.2018 von der Homepage des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat zu entfernen, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung, weil diesem Begehren bereits Rechnung getragen ist. Das Interview des Antragsgegners kann seit dem 1.10.2018 von der Homepage des von ihm geführten Ministeriums nicht mehr abgerufen werden. Eine einstweilige Anordnung, die dem Antragsgegner aufgeben würde, das Interview von der Homepage zu entfernen, könnte nicht vollzogen werden15, sondern ginge ins Leere.
Soweit das Begehren der Antragstellerin zu 1. darauf gerichtet ist, dem Antragsgegner in seiner Funktion als Bundesinnenminister eine Wiederholung der im Interview vom 14.09.2018 getätigten Äußerungen in sonstiger Weise zu verbieten, betrifft der Antrag künftige Handlungen des Antragsgegners und ist damit auf die von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 64 ff. BVerfGG und mithin auch von § 32 BVerfGG grundsätzlich nicht umfasste Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtet. Dabei ist auf der Grundlage des Vorbringens der Antragstellerinnen auch nicht ersichtlich, dass die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung erfordert.
Dem steht bereits entgegen, dass es an konkreten Anhaltspunkten dafür fehlt, dass der Antragsgegner beabsichtigt, die angegriffenen Äußerungen unter Rückgriff auf die Autorität seines Regierungsamtes zu wiederholen. Hiervon kann angesichts der Löschung dieser Äußerungen auf der Homepage des Ministeriums nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Die Antragstellerinnen haben zwar vorgetragen, dass das Interview des Antragsgegners vom 14.09.2018 von der Homepage des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat nur entfernt worden sei, damit der Antragsgegner die angegriffenen Äußerungen auf allen anderen, noch nicht verbotenen Kanälen umso öfter wiederholen könne. Dabei handelt es sich aber um eine bloße Mutmaßung, die mit keinerlei Tatsachen unterlegt ist. Auch aus dem Umstand, dass das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat die Interview-Aussagen und deren vorübergehende Veröffentlichung auf der Homepage des Ministeriums als mit dem Neutralitätsgebot vereinbar ansieht, ergibt sich nichts anderes. Dabei handelt es sich um die Betonung eines Rechtsstandpunktes vor dem Hintergrund eines möglichen Hauptsacheverfahrens. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass der Antragsgegner seine angegriffenen Aussagen unter Einsatz der Autorität seines Regierungsamtes zu wiederholen gedenkt, ohne die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. Oktober 2018 – 2 BvQ 90/18
- vgl. BVerfGE 3, 267, 277; 11, 339, 342; 16, 236, 238; 35, 193, 195; 71, 350, 352; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 89, 344, 345; 92, 130, 133; 118, 111, 122; 145, 348, 356 Rn. 28; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 104, 23, 27; 108, 34, 41; 118, 111, 122; 145, 348, 356 f. Rn. 29; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 89, 38, 44; 96, 223, 229; 98, 139, 144; 108, 34, 41; 118, 111, 122[↩]
- vgl. BVerfGE 94, 166, 216[↩]
- vgl. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 64 Rn. 15 f., Januar 2017[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2004 – 1 BvQ 38/03, Rn. 2[↩]
- vgl. Barczak, in: ders., Hrsg., BVerfGG, 2018, § 32 Rn. 12; Walter, in: ders./Grünewald, BeckOK, BVerfGG, Stand: 1.06.2018, § 32 Rn.20[↩]
- vgl. BVerfGE 131, 47, 52; 134, 366, 391 Rn. 34; BVerfG, Beschlüsse vom 11.03.1999 – 2 BvQ 4/99, Rn. 11; und vom 12.10.2017 – 2 BvQ 66/17, Rn. 3[↩]
- vgl. BVerfGE 23, 33, 39 f.; 23, 42, 48 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 2, 143, 160; 20, 56, 104; 43, 142, 147; 140, 115, 138 Rn. 56[↩]
- vgl. BVerfGE 70, 324, 350 f.; 124, 161, 187; 139, 194, 220 Rn. 96[↩]
- vgl. BVerfGE 45, 1, 28 f.; 67, 100, 125; 68, 1, 69; 140, 115, 138 f. Rn. 56[↩]
- vgl. BVerfGE 91, 246, 250 f.; 100, 266, 270; 124, 161, 187[↩]
- vgl. BVerfGE 23, 33, 39; 23, 42, 48[↩]