Die stationär befestigte Videokamera während einer Demo

Aus Sicht eines sog. verständigen Dritten entfaltet auch eine fest installierte Kameratechnik zur Überwachung der Örtlichkeit eine Abschreckungswirkung für potenzielle Versammlungsteilnehmer. Für die Polizei ist es möglich und zumutbar, für den kurzen Zeitraum des Durchzugs einer friedlichen Demonstration die Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen auf den außerhalb des Demonstrationsgeschehens liegenden Bereich zu beschränken. Das gilt aber nur dann, wenn bei einer Demonstration keine tatsächlichen Anhaltspunkte bestehen, die die Annahme rechtfertigen, dass von den Versammlungsteilnehmern selbst eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung ausgeht.

Die stationär befestigte Videokamera während einer Demo

Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Leipzig in dem hier vorliegenden Fall festgestellt, dass das Anfertigen von Bild- und Tonaufnahmen durch eine stationär befestigte Videokamera am Connewitzer Kreuz in Leipzig während einer friedlichen Demonstration am 6. April 2019 rechtswidrig war.

Als Vertreterin der „Initiative Mieter*innen“ zeigte die Klägerin unter dem 28. März 2019 eine Versammlung für den 6.4.2019, 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr unter dem Motto „Steigenden Mieten die rote Karte zeigen – Für bezahlbaren Wohnraum für alle – Gemeinsam gegen Mietwahnsinn und Verdrängung!“, an, für die etwa 100 Personen erwartet wurden. Die Demonstrationsstrecke führte über einen Teilbereich des Connewitzer Kreuzes, welcher seit dem Jahr 2003 mittels einer stationären an einem Mast befestigten Kamera videoüberwacht wird. Der von der schwenkbaren Kamera im Regelbetrieb abgedeckte Bereich umfasst die unmittelbare Umgebung des Connewitzer Kreuzes mit den angrenzenden Straßenmündungen. Die im Vorfeld der Demonstration geäußerte Bitte der Klägerin, während der Versammlung die stationäre Kamera auszuschalten, lehnte die Polizei ab. Damit war die Klägerin nicht einverstanden und hat Feststellungsklage erhoben.

In seiner Urteilsbegründung hat das Verwaltungsgericht Dresden ausgeführt, dass der Beklagte durch die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen rechtswidrig in das Versammlungsrecht der Demonstrationsteilnehmer gemäß Art. 8 GG eingegriffen habe. Art. 8 GG garantiert mit der inneren Versammlungsfreiheit die individuelle Entschlussfassung, an der kollektiven Meinungsbildung in freier Selbstbestimmung teilzunehmen. Diese Entschlussfassung müsse freibleiben von Unsicherheit, Angst und Einschüchterungseffekten. Denn wer damit rechnen muss, dass seine Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, werde möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Dresden entfalte – aus Sicht eines sog. verständigen Dritten – auch eine fest installierte Kameratechnik zur Überwachung der Örtlichkeit eine Abschreckungswirkung für potenzielle Versammlungsteilnehmer.

Außerdem sei es der Polizei möglich und zumutbar gewesen, für den kurzen Zeitraum des Durchzugs der friedlichen Demonstration die Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen auf den außerhalb des Demonstrationsgeschehens liegenden Bereich des Connewitzer Kreuzes zu beschränken. Bei einem Auftreten von Straftaten im zeitweilig nicht videoüberwachten Bereich habe die vorhandene Kameratechnik ohne weiteres und ohne zeitliche Verzögerung wieder eingesetzt werden können.

Weiterhin ist vom Verwaltungsgericht Dresden betont worden, dass eine andere Rechtslage dann gegeben sei, wenn bei einer Demonstration tatsächliche Anhaltspunkte bestünden, die die Annahme rechtfertigen, dass von den Versammlungsteilnehmern selbst eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung ausgehe. In diesem Fall sei die Anfertigung von Videoaufzeichnungen der Versammlung, anders als in vorliegendem Fall, bereits nach § 20 Abs. 1 SächsVersG gestattet. Soweit individualisierbare Aufnahmen von einem gewaltbereiten Störer gefertigt würden, könnte dieser sich im Übrigen ohnehin nicht auf den Schutz der Versammlungsfreiheit berufen.

Aus diesen Gründen ist der Feststellungsklage stattgegeben worden.

Verwaltungsgericht Dresden, Urteil vom 15. Juli 2020 – 1 K 737/19

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