Zum Umfang der erkennungsdienstlichen Behandlung eines rückfallgefährdeten Sexualstraftäters nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 Nds. SOG hat jetzt das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg im Rahmen einer PKH-Beschwerde Stellung genommen:

Auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. SOG in seinem derzeitigen Wortlaut kann eine erkennungsdienstliche Maßnahme lediglich noch zur Verhütung von Gefahren und nicht mehr zur Vorsorge für eine etwaige spätere Strafverfolgung angeordnet werden1. Die anzufertigenden erkennungsdienstlichen Unterlagen müssen also zur Abwehr einer ggf. zukünftig vom Betroffenen ausgehenden Gefahr geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinne sein.
Dass in dem hier vom OVG Lüneburg entschiedenen Fall bei dem Kläger eine latente Rückfallgefahr für die Begehung von Sexualdelikten zu Lasten von Kindern besteht, ist in dem auf der Grundlage des sog. K.U.R.S.- Erlasses (Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern2) für den Kläger erstellten, sorgfältigen und umfassenden Risikoprofil der K.U.R.S – Beauftragten im Prognosezentrum des Landes Niedersachsen bei der JVA Hannover vom Juni 2010 zutreffend ausgeführt worden.
Jedenfalls die Anfertigung von Lichtbildern sowie die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale einschließlich Messungen erscheinen auch geeignet sowie im Übrigen verhältnismäßig, um den Kläger in bestimmten Situationen von der andernfalls drohenden Begehung weiterer einschlägiger Straftaten abzuhalten. Zum einen können diese Unterlagen dazu dienen, dass die Polizeibehörden mit ihrer Hilfe im Rahmen der §§ 12, 44 Nds. SOG gezielt gefährdete Personen oder Institutionen vor dem Kläger warnen, soweit er beispielsweise – wie in der Vergangenheit – eine ehrenamtliche Tätigkeit aufnimmt, für die von ihm kein „erweitertes“ Führungszeugnis verlangt worden ist3, und dabei (unbeaufsichtigten) Kontakt mit Kindern hat oder haben kann. Zu anderen können die Unterlagen auch Kindern oder Eltern vorgelegt werden, die sich nach einer ihnen auffällig erscheinenden Kontaktaufnahme des Klägers ihnen bzw. ihren Kindern gegenüber selbst gezielt an die Polizei wenden, und der Polizei wiederum nach einer an Hand etwa der Lichtbilder erfolgten Identifizierung des Klägers weitere anlassabhängige Verhütungsmaßnahmen, wie sie beispielhaft in Teil B der Anlage 2 des o. a. K. U. R. S. – Erlasses angeführt sind, bis hin zur Observation des Klägers ermöglichen.
Hingegen ist von der Beklagten nicht dargelegt worden und auch für das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht jedenfalls gegenwärtig nicht zu erkennen, wie darüber hinaus Finger- und Handflächenabdrücke insoweit gezielt zur Straftatenprävention dienen sollen.
Soweit sich die Polizeibehörde stattdessen allgemein auf die abschreckende Wirkung auch dieser erkennungsdienstlichen Maßnahme beruft, überzeugt dieser Gesichtspunkt zumindest in der vorliegenden Fallgestaltung eines als rückfallgefährdet eingestuften und deshalb nach dem wiederholt genannten Erlass ohnehin engmaschig überprüften Sexualstraftäters wenig. Denn eine wesentliche, zusätzliche Abschreckungswirkung dürfte von der vorsorglichen Abnahme der bezeichneten Abdrücke kaum ausgehen, zumal keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass evtl. zukünftige Opfer des behinderten Klägers diesen nicht auch ohne diese Abdrücke zumindest mit Hilfe der anderen von ihm anzufertigenden erkennungsdienstlichen Unterlagen identifizieren könnten, der Kläger also im Wiederholungsfall ohnehin mit seiner Entdeckung und Bestrafung rechnen muss.
Die anordnende Behörde hat im Rahmen des ihr in § 15 Nds. SOG eingeräumten Ermessens in dem Bescheid grundsätzlich darzulegen, inwieweit eine erkennungsdienstliche Anordnung ausschließlich zur Verhütung von Gefahren notwendig ist4. Eine solche Darlegung war allerdings hier ausnahmsweise nicht erforderlich, da das der Beklagten als Polizeibehörde zustehende Ermessen vorliegend gebunden war. Denn nach Teil A der Anlage 2 zum K.U.R.S. – Erlass ist grundsätzlich eine Vervollständigung bzw. Aktualisierung der erkennungsdienstlichen Unterlagen vorzunehmen, d. h. die zuständige Polizeibehörde hat bei rückfallgefährdeten Sexualstraftätern das ihr insoweit zustehende Ermessen immer in diesem Sinne zu betätigen. Angesichts der hohen Bedeutung der zu schützenden körperlichen und seelischen Gesundheit von Kindern ist diese Ermessensleitlinie nicht zu beanstanden.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 1. Juni 2011 – 11 PA 156/11