Überplanung einer Gemengelage – und der Lärmschutz

Bei der Überplanung einer Gemengelage aus Wohnbebauung und Sportanlage darf zur Bewältigung des Nutzungskonflikts unter Rückgriff auf die Immissionsrichtwerte der 18. BImSchV ein Mittelwert gebildet werden. Im Wege einer Feinsteuerung können Überschreitungen des Mittelwerts nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls den lärmbetroffenen Anwohnern zumutbar sein.

Überplanung einer Gemengelage – und der Lärmschutz

Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Der Bebauungsplan hat grundsätzlich die von ihm selbst geschaffenen oder ihm sonst zurechenbaren Konflikte zu lösen, indem die von der Planung berührten Belange zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Die Planung darf nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden oder die – wie hier – gerade planerisch bewältigt werden sollen, zu Lasten Betroffener letztlich ungelöst bleiben1. Das gilt namentlich für Immissionskonflikte (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB; BVerwG, Urteil vom 17.10.2019 – 4 CN 8.18, BVerwGE 166, 378 Rn. 25). Betrifft der Bebauungsplan Sportanlagen, kann für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Immissionen auf die Achtzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Sportanlagenlärmschutzverordnung – 18. BImSchV) zurückgegriffen werden. Diese gilt zwar nicht unmittelbar, hat für die Bauleitplanung aber mittelbare rechtliche Bedeutung2. Sie ist vorliegend dem Grunde nach anwendbar. Nach den für das Bundesverwaltungsgericht bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist das überplante Freibadgelände eine Sportanlage im Sinne von § 1 Abs. 2 der 18. BImSchV. Maßgeblich ist gemäß § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB die im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan geltende Fassung der Bekanntmachung vom 18.07.19913.

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Im hier entschiedenen Fall ist das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg4 im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin bei der Bewältigung des Nutzungskonflikts anstelle der für reine Wohngebiete geltenden Immissionsrichtwerte (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 der 18. BImSchV) die um 5 dB(A) höheren Werte für allgemeine Wohngebiete (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 der 18. BImSchV) ansetzen durfte.

Anders als etwa die TA Lärm (vgl. dort Nr. 6.7) enthält die 18. BImSchV keine Regelung für sog. Gemengelagen, in denen bauliche Nutzungen von unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit zusammentreffen. Ungeachtet dessen können faktische Vorbelastungen in einer Gemengelage von Wohnen und Sportanlage zu einer Verringerung des Schutzanspruchs des Wohnens führen. Das gewachsene Nebeneinander konfliktträchtiger Nutzungen hat grundsätzlich zur Folge, dass sich das regelhaft vorgegebene Zumutbarkeitsmaß verändert5. Der Ausgleich der widerstreitenden Interessen schlägt sich in der sog. Mittelwert-Rechtsprechung nieder, die auch im Bereich der 18. BImSchV anerkannt ist6. Der Mittelwert ist nicht das arithmetische Mittel zweier Richtwerte und darf nicht mit einer bloßen rechnerischen Interpolation verwechselt werden. Zu seiner Ermittlung ist eine wertende, gewichtende Betrachtung der Umstände des Einzelfalls anzustellen7. Die von der Antragsgegnerin angesetzten Mittelwerte hat das Oberverwaltungsgericht mit Blick auf die Entstehung der Bebauung im Plangebiet nicht beanstandet.

Im Einklang mit Bundesrecht steht auch die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass die Überschreitungen des Mittelwerts in der mittäglichen Ruhezeit an Tagen mit bis zu 1 500 Besuchern nicht nach § 5 Abs. 2 der 18. BImSchV gerechtfertigt sind.

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§ 5 Abs. 2 der 18. BImSchV ist keine allgemeine Öffnungsklausel für Überschreitungen der Immissionsrichtwerte in Freibädern in den Ruhezeiten. Die dort geregelte Privilegierung von Freibädern erschöpft sich darin, die Anordnung von Betriebszeiten in der Zeit von 7.00 bis 22.00 Uhr auszuschließen. Das Bundesverwaltungsgericht hat schon zur Privilegierung von Altanlagen in § 5 Abs. 1 der 18. BImSchV a. F. (jetzt § 5 Abs. 4 der 18. BImSchV) entschieden, dass diese Vorschrift keine generelle Erhöhung der Richtwerte erlaubt8. Entsprechendes gilt für die Privilegierung in § 5 Abs. 2 der 18. BImSchV.

Die Zumutbarkeit der Mittelwertüberschreitungen bei mehr als 1 500 Besuchern lässt sich entgegen der Auffassung der Revision nicht auf § 5 Abs. 5 der 18. BImSchV stützen.

Ein „seltenes Ereignis“ im Sinne dieser Regelung kommt zwar nicht nur bei Sportveranstaltungen, sondern auch an Tagen mit aus sonstigen Gründen außergewöhnlichem Besucherandrang in Betracht9. Die Würdigung der Besonderheit und Außergewöhnlichkeit der Betriebssituation im Einzelfall ist indessen Sache des Tatsachengerichts. Das Oberverwaltungsgericht hat die von dem Bebauungsplan zugrunde gelegte Schwelle für die Annahme „besonderer“ Umstände – mehr als 1 500 Besucher bei schönem Wetter – gebilligt. Es hat aber die auf der Bildung eines Durchschnittswerts beruhende Prognose der Antragsgegnerin beanstandet, die nach Nr. 1.5 des Anhangs zur 18. BImSchV zulässige Zahl von seltenen Ereignissen an höchstens 18 Kalendertagen eines Jahres werde eingehalten. Hieran ist das Bundesverwaltungsgericht gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).

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Die angefochtenen Urteile verletzen jedoch Bundesrecht, soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Mittelwerte verbindlich einzuhalten und Überschreitungen nur hinzunehmen sind, wenn sie nach Maßgabe der 18. BImSchV zulässig sind.

Die in § 2 Abs. 2 der 18. BImSchV festgelegten Immissionsrichtwerte sind gebietsbezogen und insoweit Ausdruck einer typisierenden Betrachtungsweise des Verordnungsgebers. Sie beruhen auf einer abstrakt-generellen Abwägung der in einem Baugebiet (vgl. §§ 2 bis 11 BauNVO) miteinander konkurrierenden Nutzungsinteressen und bestimmen das Maß zumutbarer Lärmimmissionen und damit die Schutzwürdigkeit der Nachbarschaft nach der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets, nach dem Gebietscharakter insgesamt10. Eine Regelung für Gemengelagen, bei denen Immissionskonflikte nicht durch die räumliche Zuordnung der verschiedenen Nutzungen gesteuert werden können, fehlt. Zur Bewältigung solcher atypischen Fälle ist das Richtwertsystem daher nur bedingt geeignet. Der Richtwertcharakter der Erheblichkeitsschwellen lässt aber innerhalb einer gewissen Bandbreite Raum für Abweichungen11. Diese Offenheit schlägt sich in der Mittelwert-Rechtsprechung nieder, erschöpft sich darin aber entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht. Der Mittelwert wird zwar anhand der konkreten Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebiets festgelegt. Er beruht aber gleichfalls auf einer gebietsbezogenen Typisierung. Um den Besonderheiten eines bestehenden Nebeneinanders von Sportanlagen und schutzwürdiger Wohnbebauung hinreichend Rechnung zu tragen, ist die Anwendung des Mittelwerts daher einer die konkrete Situation in den Blick nehmenden ergänzenden Abwägung im Sinne einer Feinsteuerung durch die Gemeinde zu unterziehen. Das kann dazu führen, dass auch weitere Überschreitungen des Mittelwerts hinzunehmen sind oder der Mittelwert – wie schon der Immissionsrichtwert12 – nicht ausgeschöpft werden darf. Das Oberverwaltungsgericht hätte somit bei dem Befund, dass die Überschreitungen des von der Antragsgegnerin angesetzten Mittelwerts nicht gemäß § 5 der 18. BImSchV zulässig sind, nicht stehen bleiben dürfen. Vielmehr hätte es prüfen müssen, ob sie sich im Wege einer Feinsteuerung gleichwohl rechtfertigen lassen.

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Die Entscheidungen stellen sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Wie dargelegt können sich bei der Überplanung einer Gemengelage auch Überschreitungen des Mittelwerts im Rahmen einer situationsbezogenen Feinabstimmung als zumutbar erweisen und das Ergebnis gerechter Abwägung sein. Ein einfaches „Wegwägen“ solcher Überschreitungen scheidet jedoch aus. Für ihre Rechtfertigung gelten hohe Anforderungen. Sie sind nur hinnehmbar, soweit alle naheliegenden und verhältnismäßigen Möglichkeiten der Lärmreduktion im Benehmen mit der Immissionsschutzbehörde ermittelt, erwogen und ggf. ausgeschöpft sind. Dabei sind etwa technische und bauliche Schallschutzmaßnahmen an der Sportanlage ebenso in den Blick zu nehmen wie Umgestaltungen der An- und Abfahrtswege und Parkplätze (vgl. auch § 3 der 18. BImSchV). Die Rechtfertigungslast für ein Absehen von lärmreduzierenden Maßnahmen steigt mit dem Gewicht der Mittelwertüberschreitungen. Je schwerwiegender diese nach ihrer Höhe, Art, Dauer, Häufigkeit und der Anzahl der betroffenen schutzwürdigen Gebäude sind, desto eher müssen Maßnahmen zur Lärmminderung vorgesehen werden, sofern der dafür erforderliche finanzielle Aufwand angemessen ist. Abstrakte Vorgaben lassen sich insofern nicht treffen. Es bedarf einer Prüfung des Einzelfalls13.

Diesen Anforderungen wird die Abwägung im Bebauungsplan nicht gerecht. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat die Antragsgegnerin naheliegende Lärmminderungsmaßnahmen schon nicht ausreichend erwogen. Das betrifft neben der Errichtung von Lärmschutzwänden insbesondere die Reduzierung des Verkehrsaufkommens. Vermisst hat das Oberverwaltungsgericht u. a. Überlegungen zur Festsetzung verkehrsberuhigender Maßnahmen für die vom Besucherverkehr betroffenen Straßen und zu einer Erweiterung des Parkplatzes … unter Aufgabe sonstiger – wenn nicht sogar aller – Parkmöglichkeiten für Besucher im Wohngebiet.

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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. Mai 2022 – 4 CN 2.20

  1. BVerwG, Urteil vom 12.09.2013 – 4 C 8.12, BVerwGE 147, 379 Rn. 17 m. w. N.[]
  2. BVerwG, Urteil vom 12.08.1999 – 4 CN 4.98, BVerwGE 109, 246 <249>[]
  3. BGBl. I S. 1588, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 09.02.2006, BGBl. I S. 324[]
  4. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.11.2019 – 2 A 9.16 und 2 A 10.16[]
  5. stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 12.12.1975 – 4 C 71.73, BVerwGE 50, 49; vom 18.05.1995 – 4 C 20.94, BVerwGE 98, 235; und vom 23.09.1999 – 4 C 6.98, BVerwGE 109, 314 <322>[]
  6. vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2004 – 3 S 2548/02 – juris; Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2021, § 2 der 18. BImSchV Rn. 32[]
  7. vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18.12.1990 – 4 N 6.88, Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 50 S. 33; vom 02.11.2017 – 4 B 58.17 – BRS Bd. 85 Nr. 136 <2017> S. 899; und vom 07.06.2019 – 8 B 36.18 4 ff.[]
  8. BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 – 4 C 6.98, BVerwGE 109, 314 <321>[]
  9. OVG NRW, Urteil vom 19.04.2010 – 7 A 2362/07 87[]
  10. vgl. BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 – 4 C 6.98, BVerwGE 109, 314 <321>[]
  11. BVerwG, Beschluss vom 06.02.2003 – 4 BN 5.03, Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 116 S. 70[]
  12. vgl. BVerwG, Urteil vom 12.08.1999 – 4 CN 4.98, BVerwGE 109, 246 <250>[]
  13. vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.05.2004 – 4 BN 24.04, Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 121 S. 108 f.[]
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