Beantragt der Rechtsanwalt gegen seinen Mandanten, nachdem er diesem höhere Rahmengebühren in Rechnung gestellt hat, die Festsetzung der Mindestgebühren, verzichtet er damit auf die weitere Gebührenforderung.

Dem Rechtsanwalt steht damit eine über die festgesetzten gesetzlichen Mindestgebühren hinausgehende Honorarforderung gegen den Mandanten wegen einer mit diesem getroffenen Erlassvereinbarung (§ 397 Abs. 1 BGB) nicht zu.
Dies gilt auch dann, wenn – wie im vorliegend vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – der Rechtsanwalt seine Gebühr bereits zuvor gegenüber dem Mandanten verbindlich auf einen höheren Betrag als die Mindestvergütung festgelegt hat (§ 315 Abs. 1, 2 BGB, § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG).
Bei Rahmengebühren – wie sie hier mit Rücksicht auf die Gebührentatbestände der Nr. 5100, 5109, 5113 VV RVG im Streit stehen – bestimmt der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Damit eröffnet § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG dem Rechtsanwalt ein Leistungsbestimmungsrecht, seine Vergütung nach Maßgabe des § 315 Abs. 1 BGB festzusetzen. Macht der Rechtsanwalt von seinem Leistungsbestimmungsrecht durch Erklärung gegenüber dem Mandanten (§ 315 Abs. 2 BGB) Gebrauch, ist er an die von ihm getroffene Bemessung der Gebühr gebunden1. Hat der Rechtsanwalt das Bestimmungsrecht ausgeübt, kann er davon nachträglich auch nicht zugunsten des Mandanten abweichen2. Im Streitfall hat der Rechtsanwalt durch seine Vergütungsabrechnung sein Ermessen bindend dahin gehandhabt, dass er die Rahmengebühren einschließlich Nebenkostenpauschale und Umsatzsteuer auf einen bezifferten Betrag bestimmt.
Der Anwalt hat sich jedoch im Festsetzungsverfahren durch einen Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) mit dem Mandanten dahin geeinigt, für seine Tätigkeit lediglich die Mindestgebühren zu erheben.
Wenn feststeht oder davon auszugehen ist, dass eine Forderung entstanden ist, verbietet dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben3. In der Kostenabrechnung eines Rechtsanwalts kann im Blick auf eine darüberhinausgehende Honorarforderung das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages zu erkennen sein, wenn mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, dass eine materiellrechtlich wirkende Erklärung abgegeben werden soll4. Ausnahmsweise kommt ein Verzichtsvertrag durch schlüssiges Handeln in Betracht, wenn ein unzweideutiges Verhalten des Gläubigers vorliegt, das vom Erklärungsgegner nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Aufgabe des Rechts verstanden werden kann. Dies kann anzunehmen sein, wenn ein triftiger Grund für einen Verzicht eingreift5.
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger durch die Übermittlung des auf die Mindestgebühr gerichteten Festsetzungsantrags dem Beklagten den Antrag unterbreitet, ihm die über die Mindestgebühr hinausgehende Honorarforderung zu erlassen (§ 397 Abs. 1 BGB). Der konkludente Erlass der weitergehenden Gebührenforderung beruht auf einem triftigen Grund, weil der Rechtsanwalt mit Rücksicht auf § 11 Abs. 8 Satz 1 Fall 1 RVG eine Festsetzung der Mindestgebühr nur beantragen darf, wenn er auf eine zusätzliche Honorarforderung verbindlich verzichtet. Denn dem Rechtsanwalt ist sowohl nach dem Wortlaut der Bestimmung als auch nach dem Willen des Gesetzgebers im Anschluss an die Festsetzung der Mindestgebühr die Verfolgung einer darüber hinausgehenden Honorarforderung versagt.
Gemäß der außer Kraft getretenen Regelung des § 19 Abs. 1 BRAGO wurde die gesetzliche Vergütung, die dem Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten zustand, auf seinen Antrag durch das Gericht des ersten Rechtszuges festgesetzt. § 19 Abs. 8 BRAGO schrieb ausdrücklich vor, dass dieses Verfahren bei Rahmengebühren nicht galt. Im Widerspruch zu dem Wortlaut dieser Bestimmung ließen einzelne Gerichte eine Festsetzung von Rahmengebühren zu, wenn der Rechtsanwalt die Gebühr gegenüber dem Auftraggeber verbindlich auf die Mindestgebühr bestimmt hatte6. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Normzweck des § 19 Abs. 8 BRAGO, die Billigkeitskontrolle dem streitigen gerichtlichen Verfahren vorzubehalten, nicht berührt sei, wenn der Rechtsanwalt endgültig und verbindlich nur die Mindestgebühr des gesetzlichen Gebührenrahmens beanspruche und deshalb eine Billigkeitskontrolle ausscheide7. Infolge des endgültigen Verzichts des Rechtsanwalts auf seine weitergehende Forderung sei eine Verfahrenszersplitterung nach Festsetzung der Mindestgebühr durch die Verfolgung der Restforderung im Klageweg nicht zu befürchten8. Teils wurde allein in dem Antrag auf Festsetzung der Mindestgebühr die verbindliche und endgültige Festlegung auf die Mindestgebühr erblickt9, teils von dem Rechtsanwalt zusätzlich die ausdrückliche Erklärung verlangt, dass er von seinem Auftraggeber nur die Mindestgebühr verlange und sich Nachforderungen nicht vorbehalte10.
Der Gesetzgeber des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes hat diese gerichtliche Praxis aufgegriffen. In Anlehnung an die vorbezeichnete Rechtsprechung sieht § 11 Abs. 8 Satz 1 RVG abweichend von § 19 Abs. 8 BRAGO nunmehr vor, dass eine Rahmengebühr festgesetzt werden kann, wenn entweder die Mindestgebühren geltend gemacht werden oder der Auftraggeber der Höhe der Gebühren ausdrücklich zugestimmt hat. Der mangels einer Einigung der Parteien hier allein in Betracht kommende erste Fall des § 11 Abs. 8 Satz 1 RVG gilt nach dem Wortlaut der Regelung „nur“, wenn die Mindestgebühren geltend gemacht werden. Die Bestimmung setzt also – wie auch dem Willen des Gesetzgebers zu entnehmen ist – voraus, dass „lediglich“ die Mindestgebühren verlangt werden11. Bei dieser Sachlage führt die Auslegung des § 11 Abs. 8 Satz 1 Fall 1 RVG unter Berücksichtigung von Wortlaut, Gesetzesmaterialien sowie Sinn und Zweck der Regelung zu dem Ergebnis, dass der Rechtsanwalt die Mindestgebühr nur beanspruchen kann, wenn die Geltendmachung einer darüber hinausgehenden Gebühr rechtlich ausgeschlossen ist12.
Zur Vermeidung einer Nachforderung wird angenommen, dass der Rechtsanwalt durch den Antrag auf Festsetzung der Mindestgebühr sein Bestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1, 2 BGB, § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG abschließend wahrgenommen hat und deswegen nicht berechtigt ist, eine weitergehende Gebührenforderung durchzusetzen. Diese Auslegung stellt sicher, dass die Mindestgebühr nicht als Sockelbetrag eines weitergehenden Gebührenanspruchs festgesetzt werden kann13.
Wenn der Rechtsanwalt – wie im Streitfall – sein Bestimmungsrecht (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG, § 315 Abs. 1 BGB) durch das Verlangen einer über die Mindestgebühr hinausgehenden Rahmengebühr bereits ausgeübt hat, ist in dem nachfolgenden Antrag auf Festsetzung der Mindestgebühr ein Angebot auf Erlass einer etwaigen weiteren Gebührenforderung zu erblicken. Diese Würdigung beruht auf dem Umstand, dass der Rechtsanwalt durch den Antrag auf Festsetzung der Mindestgebühr nach Maßgabe des § 11 Abs. 8 Satz 1 Fall 1 RVG eine etwaige zusätzliche Gebührenforderung uneingeschränkt aufgibt.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Rechtsanwalt vielfach durch Übersendung einer die Mindestgebühr übersteigenden Rechnung von seinem Bestimmungsrecht bereits vor dem Antrag auf Festsetzung der Mindestgebühr gegenüber dem Mandanten verbindlich Gebrauch gemacht haben wird. Beantragt der Rechtsanwalt ungeachtet seiner höher berechneten Gebührenforderung anschließend die Festsetzung der Mindestgebühr, muss mit Rücksicht auf die Regelung des § 11 Abs. 8 Satz 1 Fall 1 RVG ebenfalls sichergestellt werden, dass der Mandant keine zusätzliche Inanspruchnahme zu befürchten hat. Wurde das Bestimmungsrecht des § 315 Abs. 1, 2 BGB, § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bereits eingesetzt, verwirklicht sich dieser Verzicht rechtlich in dem an den Mandanten gerichteten Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages (§ 397 Abs. 1 BGB).
Bereits unter der Geltung des § 19 Abs. 8 BRAGO, der seinem Wortlaut nach eine Festsetzung von Rahmengebühren generell ausschloss, wurde gleichwohl die Festsetzung der Mindestgebühr gestattet, weil in diesem Antrag ohne die Notwendigkeit einer weiteren Erklärung die verbindliche und endgültige Festlegung auf die Mindestgebühr im Sinne eines Gebührenverzichts zu erkennen war14. Soweit im Rahmen des § 19 Abs. 8 BRAGO die Festsetzung der Mindestgebühr von einem ausdrücklichen Verzicht auf eine weitere Gebührenforderung abhängig gemacht wurde15, kann an diesem Erfordernis jedenfalls nach Einführung des § 11 Abs. 8 Satz 1 Fall 1 RVG nicht festgehalten werden. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nunmehr in Abkehr von § 19 Abs. 8 BRAGO auf der Grundlage von § 11 Abs. 8 Satz 1 Fall 1 RVG die Festsetzung der Mindestgebühr ausdrücklich gestattet16. Darum muss sich der Rechtsanwalt an dem Inhalt der Vorschrift, welche nach Wortlaut und Gesetzesmaterialien die Festsetzung der Mindestgebühr an den Verzicht auf eine weitergehende Forderung knüpft, festhalten lassen. Infolge der mit der Neuregelung im Vergleich zu dem Altrecht verbundenen Ausräumung rechtlicher Unklarheiten über die bindende Beschränkung des anwaltlichen Gebührenanspruchs auf die beantragten Mindestgebühren17 führt eine nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung nunmehr zu dem Ergebnis, dass allein in dem Antrag auf Festsetzung der Mindestgebühr ein an den Mandanten gerichtetes Angebot auf Erlass einer weitergehenden Gebührenforderung (§ 397 Abs. 1 BGB) liegt.
Zwar kann aus der Abrechnung von Gebühren unter Bezugnahme auf ein Abkommen des Deutschen Anwaltvereins nicht ohne weiteres der Schluss auf einen Verzicht auf weitere Gebührenforderungen hergeleitet werden18. Im Unterschied hierzu bringt die Vorschrift des § 11 Abs. 8 Satz 1 Fall 1 RVG nach ihrem Regelungszusammenhang unmissverständlich den Willen des Rechtsanwalts zum Ausdruck, mit dem Antrag auf Festsetzung der Mindestgebühr dem Mandanten eine weitere Gebührenforderung zu erlassen. Die gesetzliche Regelung hat darum eine entsprechende allgemeine Verkehrssitte herausgebildet19. Andernfalls würde der Gesetzeszweck des § 11 Abs. 8 Satz 1 RVG, auf die Vermeidung von Gebührenrechtsstreitigkeiten hinzuwirken, geradezu in sein Gegenteil verkehrt, weil der Rechtsanwalt zunächst die Mindestgebühr als Sockelbetrag beanspruchen und sodann die weitere Gebühr im Prozessweg verfolgen könnte.
Das mit der Übermittlung des Festsetzungsantrags zugegangene Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages hat der Mandant angenommen. Ein Zugang der Annahmeerklärung gegenüber dem Rechtsanwalt war gemäß § 151 Satz 1 Fall 1 BGB entbehrlich20. Den Annahmewillen hat der Mandant nach außen betätigt, indem er den gegen ihn ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss hingenommen hat.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. Juli 2013 – IX ZR 306/12
- BGH, Urteil vom 04.12.1986 – III ZR 51/85, NJW 1987, 3203; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 20. Aufl., § 14 Rn. 4; Jungbauer in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 5. Aufl., § 14 Rn. 118; Lutje/von Seltmann, Beck OK RVG, § 11 Rn. 116; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Rn. 1096[↩]
- BGH, aaO[↩]
- BGH, Urteil vom 15.01.2002 – X ZR 91/00, WM 2002, 822, 824; vom 18.09.2012 – II ZR 178/10, WM 2012, 2231 Rn. 22[↩]
- BGH, Urteil vom 07.03.2006 – VI ZR 54/05, NJW 2006, 1511 Rn. 9, 10[↩]
- BGH, Urteil vom 19.11.1956 – II ZR 110/55, DB 1957, 210; vom 20.05.1981 – IVb ZR 570/80, FamRZ 1981, 763; RG, SeuffA 78, 24 Nr. 12; RGRK-BGB/Weber, 12. Aufl., § 397 Rn. 23; MünchKomm-BGB/Schlüter, 5. Aufl., § 397 Rn. 3[↩]
- vgl. die Nachweise bei von Eicken in Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 19 Rn.19[↩]
- OLG Hamburg, AnwBl 1963, 56; OLG Braunschweig, FamRZ 1997, 384; OVG Lüneburg, MDR 1997, 107; OLG Koblenz, MDR 2000, 1033; LG Osnabrück, JurBüro 1995, 648; LG Hagen, Rpfleger 1998, 41[↩]
- OLG Braunschweig, aaO; OLG Koblenz, aaO; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl., § 19 Rn. 13[↩]
- OLG Koblenz, aaO S. 1033 f[↩]
- OLG Braunschweig, aaO S. 384 f; LG Hagen, Rpfleger 1998, 41[↩]
- BT-Drucks. 15/1971, 189[↩]
- vgl. Gerold/Schmidt/MüllerRabe, RVG, 20. Aufl., § 11 Rn. 93[↩]
- LAG Hessen, RVGreport 2006, 381; Gerold/Schmidt/MüllerRabe, aaO Rn. 94; Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl. § 11 Rn. 34; Bischof in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, aaO § 11 Rn. 77; Schneider in Schneider/Wolf, AnwkRVG, 6. Aufl., § 11 Rn. 111; Burhoff/Schmidt, aaO Rn. 530; Lutje/von Seltmann, Beck OK RVG, § 11 Rn. 116; Hansens in Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2. Aufl., Teil 4 Rn. 144[↩]
- OLG Koblenz, MDR 2000, 1033 f; LG Osnabrück, JurBüro 1995, 648[↩]
- OLG Braunschweig, FamRZ 1997, 384 f; LG Hagen, Rpfleger 1998, 41; von Eicken in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 19 Rn.19[↩]
- BT-Drucks. 15/1971, S. 189[↩]
- vgl. KG, JurBüro 1991, 829, 832[↩]
- BGH, Urteil vom 07.03.2006 – VI ZR 54/05, NJW 2006, 1511 Rn. 11[↩]
- vgl. BGH, aaO Rn. 12[↩]
- vgl. MünchKomm-BGB/Schlüter, 5. Aufl. § 397 Rn. 3; Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, 3. Aufl., § 397 Rn. 16; RGRK-BGB/Weber, 12. Aufl., § 397 Rn. 24[↩]