§ 198 Abs. 4 S 3 GVG, wonach Wiedergutmachung neben der Entschädigung durch die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer erfolgen kann, räumt dem Betroffenen kein subjektives Recht ein, das er im Klageweg durchsetzen kann.

Das Gericht ist in Grenzen befugt, einzelne Verfahren aus einem größeren Verfahrenskomplex vorzuziehen, um gemeinsame Rechtsfragen vorab zu klären; die Zustimmung der Parteien ist hierfür nicht erforderlich.
Wenn gegen einen überschuldeten Beklagten der Ausgangsverfahren und späteren Kläger der Entschädigungsverfahren eine Vielzahl gleichgerichteter Schadensersatzforderungen aus demselben Komplex sukzessive geltend gemacht werden, wird es oft unbillig sein, für die verzögerte Behandlung jedes einzelnen Ausgangsverfahrens den Regelentschädigungsbetrag (§ 198 Abs. 2 S. 3 GVG) zuzusprechen. Vielmehr kann die Tatsachenvermutung des § 198 Abs 2 S. 1 GVG im Einzelfall mangels messbarer Belastungszunahme beim Betroffenen widerlegt sein, wenn die Entschädigungsklagen Ausgangsverfahren betreffen, die rechtshängig geworden sind, als schon eine Vielzahl anderer Klagen aus demselben Komplex zugestellt waren.
Anlass für das vorliegende Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig waren 10 Entschädigungsanträge wegen unangemessener Dauer eines Rechtsstreits (§§ 198 ff. GVG) im Zusammenhang mit den Klagen geschädigter Anleger der Göttinger Gruppe.
Unangemessene Verfahrensdauer
Für das Oberlandesgericht Braunschweig spricht bereits einiges dafür, dem Land Niedersachsen eine erhebliche Übergangsfrist zuzubilligen, um der in den Jahren 2007 und 2008 beim Landgericht Göttingen eingegangenen „Klageflut“ wegen der Göttinger Gruppe von zumindest 2.441 Verfahren zu begegnen. Es ist zwar anerkannt, dass Personalmangel regelmäßig nicht entschuldigt, weil die Justizverwaltung grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen [1]. Allerdings kann außergewöhnlichen Umständen ausnahmsweise Rechnung getragen werden [2]. Eine solche Ausnahmesituation dürfte hier gegeben sein, weil der schnellen personellen Aufstockung eines kleinen Gerichts – um ein solches handelt es sich bei dem Landgericht Göttingen – Grenzen gesetzt sind. Denn die Justizverwaltung muss Berufsanfänger in einem justizförmigen Verfahren einstellen, auch sind Versetzungen oder Abordnungen von Planrichtern nur eingeschränkt möglich (§§ 30 ff., 37 DRiG).
Darauf kommt es vorliegend jedoch letztlich nicht entscheidend an, weil die Übergangszeit, wie das Land Niedersachsen selbst einräumt, zeitlich begrenzt ist, so dass sich das Land Niedersachsen jedenfalls ab Ende 2009 hierauf nicht mehr berufen kann. Bis zum Jahresende 2009 ist die Verfahrensdauer aber ohnehin nicht unangemessen, weil sich das beklagte Land bis zu diesem Zeitpunkt mit Recht auf den Umstand beruft, dass das Landgericht Göttingen unechte Musterverfahren geführt hat und deshalb die streitgegenständlichen Ausgangsverfahren zurückstellen durfte. Der Bundesgerichtshof hat in den Urteilen vom 14.11.2013 [3]; und vom 23.01.2014 [4] die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 GG) betont und einen Gestaltungsspielraum anerkannt, der die Gerichte in Grenzen berechtigt, einzelne Verfahren vorzuziehen. Es ist deshalb hinzunehmen, dass die 2. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen sechs Verfahren vorzog, um die Rechtsauffassung des Berufungsverfahrens zu berücksichtigen.
Weil das Gericht die Entscheidung, bestimmte Verfahren vorzuziehen, aus eigenem Recht treffen kann, kommt es nicht darauf an, ob das Abwarten in den streitgegenständlichen Ausgangsverfahren – wie vom beklagten Land behauptet – auf einer „konkludenten“ Einigung mit den Parteien des Ausgangsverfahrens beruhte. Dass die Berufungsverfahren den Zeugen S betrafen, weil nur gegen ihn nach Lage der Akten entschieden wurde, hält das Oberlandesgericht ebenfalls nicht für bedeutsam, denn es gab – dies ergibt sich beispielsweise deutlich aus der Anlage K 4 [5], gemeinsame Rechtsfragen, die aus der maßgeblichen Ex-ante-Sicht der 2. Zivilkammer [6] sowohl den Kläger als auch den Zeugen S betrafen.
Dass die Kammer die genannten Verfahren vorzog, rechtfertigt ein Zuwarten allerdings nur bis einschließlich Februar 2010. Denn das Oberlandesgericht entnimmt der Hinweisverfügung der 2. Zivilkammer vom 11.11.2009 [7], dass die Kammer die Rechtsfragen nun für geklärt erachtete. Dann gab es keinen Anlass mehr, den weiteren Verlauf der 6 Berufungsverfahren abzuwarten. Diese Bewertung des Oberlandesgerichts beruht darauf, dass der Kammervorsitzende den genannten Hinweis „zur Vorbereitung weiterer durchzuführender mündlicher Verhandlungen und auch im Hinblick auf weitere Schriftsätze“ erteilte [8]. Dabei bezog sich der Kammervorsitzende auf den vorangegangenen Hinweisbeschluss des 3. Oberlandesgerichts (§ 522 Abs. 2 ZPO) in der Sache 3 U 120/08, den sich die Kammer zu eigen machte, und erteilte weitere eigene Hinweise zur Sach- und Rechtslage. Deshalb kann sich das beklagte Land nach dem Hinweis nicht mehr damit verteidigen, dass der Ausgang von Musterverfahren abgewartet werden sollte. Vielmehr verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer – hier waren die Verfahren im Zeitpunkt der Hinweisverfügung bereits seit mehr als 2 Jahren anhängig und knapp 2 Jahre rechtshängig – die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung zu bemühen [9]. Das Oberlandesgericht geht davon aus, dass die streitgegenständlichen Verfahren bis spätestens Ende Februar 2010 hätten gefördert werden müssen. Die Zeit zwischen November 2009 und Februar 2010 ist dem Gericht wegen der Vielzahl der Verfahren zuzubilligen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die gleichzeitige Förderung aller 2.441 Ausgangsverfahren einen erheblichen logistischen Aufwand erfordert und kein Anlass bestand, gerade die 10 streitgegenständlichen Verfahren vorzuziehen.
In den folgenden 18 Monaten von Anfang März 2010 bis Ende August 2011 ist die Verfahrensdauer der streitgegenständlichen Verfahren hingegen unangemessen. Die Kammer durfte in dieser Zeit nicht untätig bleiben. Dass sie in insgesamt 229 anderen Ausgangsverfahren Verhandlungstermine bestimmte, die sie jeweils wegen Ablehnungsgesuchen der Kläger des Ausgangsverfahrens aufhob, ändert in den streitgegenständlichen Verfahren nichts an der Unangemessenheit der Verfahrensdauer. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind hypothetischen Kausalverläufe bei Ansprüchen nach § 198 GVG unbeachtlich [10]. Hier kommt noch hinzu, dass offen ist, ob und ggf. welche prozessualen Maßnahmen die Kläger der Ausgangsverfahren ergriffen hätten, wenn das Gericht die Verfahren gefördert hätte. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Kläger der Ausgangsverfahren auch in den streitgegenständlichen Verfahren Befangenheitsanträge gestellt hätten, bleibt weiterhin unklar, ob deren Behandlung zu einer Verzögerung geführt hätte oder ob hierauf kurzfristig – beispielsweise durch zügige Ablehnung des Gesuchs – hätte reagiert werden können.
Eine unangemessene Verfahrensdauer liegt ab September 2011 allerdings nicht mehr vor. Die Kammer hat in dieser Zeit Prozesskostenhilfegesuche des Klägers bearbeitet, die ab Mitte September 2011 beim Gericht eingegangen sind. Wird ein Prozesskostenhilfegesuch während des rechtshängigen Hauptsacheverfahrens gestellt, führt eine etwa verzögerte Bearbeitung des Prozesskostenhilfegesuchs zwar zur Verzögerung der Hauptsache, so dass der Entschädigungskläger eine Verzögerung des Prozesskostenhilfeverfahrens nicht gesondert geltend machen muss [11]. Die Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist hier aber nicht als i.S.d. § 198 GVG verzögert anzusehen. Dass die Kammer über die Gesuche erst am 02.02.2012 und am 09.02.2012 [12] entschieden hat, ist angesichts des Umfangs der Verfahren noch hinnehmbar. In diesem Zusammenhang kann das Oberlandesgericht wiederum nicht außer acht lassen, dass die Prozesskostenhilfegesuche in sämtlichen Ausgangsverfahren gestellt worden sind und ihre Bearbeitung wegen der Vielzahl der gleichzeitig zu bewältigenden Gesuche einen erheblichen logistischen Aufwand erforderte.
Außerdem erhöhte sich der Bearbeitungsaufwand der Kammer zusätzlich, als die jeweiligen Kläger der Ausgangsverfahren ihre Klagen mit Schriftsatz vom 20.12 2011 erweiterten und ergänzend die Feststellung beantragten, dass der Kläger und der Zeuge S verpflichtet seien, ihnen zukünftig noch entstehende Schäden zu ersetzen. Die Kammer musste sich nun parallel zum Prozesskostenhilfegesuch in den Streitstoff der Klageerweiterung einarbeiten, diese zustellen und die Klageerwiderungen der Gegenseite zur Kenntnis nehmen.
Mit Ausnahme eines Verfahrens hat die Kammer zudem in sämtlichen verfahrensgegenständlichen Sachen auf den 29.02.2012 Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Dass sie diesen – nach Eingang eines Ablehnungsgesuchs – dann aufgehoben hat, ist nicht zu beanstanden, weil das Entschädigungsgericht grundsätzlich nicht prüft, ob die Richter im Ausgangsverfahren richtig entschieden haben [13] und Anhaltspunkte für eine schlechterdings unvertretbare Verfahrensweise der Kammer nicht vorliegen.
Zügig hat dann das Oberlandesgericht gearbeitet, indem es auf die Beschwerde des Klägers die prozesskostenhilfebewilligenden Entscheidungen in den vorliegenden Verfahren am zwischen dem 15.05.2012 und dem 11.06.2012 getroffen hat. Dass die Kammer die Prozesskostenhilfe zuvor abgelehnt hatte, ist ihr nicht vorzuwerfen, weil auch insoweit der Grundsatz gilt, dass das Entschädigungsgericht nicht prüft, ob die Ausgangsverfahren richtig bearbeitet wurden [14]. Es entspricht weiterhin straffer Verfahrensführung, dass die Kammer nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Prozesskostenhilfebewilligung terminiert und am 11.07.2012 sowie am 15.08.2012 mündlich verhandelt hat.
Schließlich ist auch keine Entschädigung für den Zeitraum nach den Verhandlungsterminen vom 11.07.2012 und 15.08.2012 zuzusprechen. Es ist für Zwecke des § 198 GVG nicht zu beanstanden, dass das Landgericht Göttingen in den Ausgangsverfahren nach der mündlichen Verhandlung vom 11.07.2012 einen Auflagen- und Beweisbeschluss verkündet hat. Das Oberlandesgericht hat nicht zu untersuchen, ob dem Landgericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist, als es sich gegen den Willen der Parteien des Ausgangsverfahrens entschieden hat, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um das Konzept der Gesellschaften der „Göttinger Gruppe“ zu untersuchen [15].
Verzögerungsbedingter Nachteil
Soweit die Verfahrensdauer als unangemessen lang anzusehen ist, scheidet ein Anspruch nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG dennoch aus, weil dem Kläger hierdurch in den streitgegenständlichen zehn Ausgangsverfahren jedenfalls kein Nachteil entstanden ist. Ein immaterieller Nachteil wird zwar gemäß § 198 Abs. 2 S. 1 GVG vermutet, wenn die Verfahrensdauer unangemessen lange gedauert hat. Die Tatsachenvermutung des § 198 Abs. 2 S. 1 GVG ist jedoch widerleglich [16]. Sie ist hier widerlegt, weil die Klagen in den 10 streitgegenständlichen Ausgangsverfahren erst am 17. und 18.01.2008 zugestellt wurden und zu diesem Zeitpunkt bereits Schadensersatzforderungen im Gesamtumfang von 10.777.752, 53 € geltend gemacht waren. Die Zustellung der Klagen in den 10 Ausgangsverfahren, die den streitgegenständlichen Entschädigungsverfahren zugrunde liegen, führte deshalb zu keiner spürbaren Mehrbelastung mehr.
Wird für die unangemessene Dauer einer Vielzahl gleichgerichteter Ausgangsverfahren Entschädigung verlangt, ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts für den Beginn des Verfahrens auf den Zeitpunkt der Zustellung der Klage (§ 261 ZPO) abzustellen, wenn der Beklagte des Ausgangsverfahrens später nach § 198 GVG vorgeht. Es ist anerkannt, dass der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu berücksichtigende Zeitraum unterschiedlich sein kann und davon abhängt, welcher Verfahrensbeteiligte Ansprüche geltend macht [17]. Verfolgt ein Beklagter eines Zivilverfahrens als Entschädigungskläger Ansprüche nach § 198 GVG, ist maßgeblich auf die Zustellung der Klage des Ausgangsverfahrens abzustellen, weil er erst dadurch Kenntnis von dem Gerichtsverfahren erlangt.
Sieht sich ein Betroffener einer Vielzahl gleichgerichteter Schadensersatzforderungen aus demselben Komplex ausgesetzt, kann er nicht für jedes etwa verzögert betriebene Ausgangsverfahren den Regelentschädigungsbetrag des § 198 Abs. 2 S. 3 GVG verlangen. Werden die Ansprüche sukzessive geltend gemacht, kann der Regelentschädigungsbetrag nur bei dem ersten Ausgangsverfahren angesetzt werden. Bei Folgeverfahren aus demselben Komplex, die später rechtshängig werden, ist es zunächst geboten, den für das erste Verfahren angesetzten Betrag nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG zu reduzieren, wobei allerdings eine Reduktion auf null unzulässig ist (hierzu: Ott in Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 227).Die Ausgangsverfahren sind zwar einzeln zu betrachten und die Belastung des Entschädigungsklägers erhöht sich auch mit der Zustellung weiterer Klagen, die Belastungserhöhung wird jedoch mit jedem weiteren Ausgangsverfahren geringer, bis sie ab einem bestimmten Zeitpunkt, der hier Ende 2007 erreicht ist, nicht mehr messbar ist.
Für die Annahme einer mit jedem Folgeverfahren degressiv abnehmenden Belastung streitet insbesondere ein Vergleich der Entschädigungssummen, die vorliegend im Raum stehen, mit jenen, die von den Gerichten bei schwersten Beeinträchtigungen körperlicher und seelischer Art zugesprochen werden. Würde man eine rein isolierte Betrachtung auf der Grundlage des Regelentschädigungsbetrags (§ 198 Abs. 2 S. 3 GVG) vornehmen, errechnet sich bei allen 2.441 in den Jahren 2007 und 2008 eingegangenen Ausgangsverfahren, für die der Kläger das Mandat zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen erteilt hat, ein Jahresentschädigungsbetrag von 2.929.200, – € (2.441 x 1.200, – €). Schon dieser Jahresbetrag übersteigt die Entschädigungssummen erheblich, die die Gerichte bei schwersten Beeinträchtigungen körperlicher und seelischer Art nach § 253 BGB zusprechen. Soll ein angemessenes Verhältnis zu diesen Entschädigungsbeträgen gewahrt bleiben, darf der Gesamtbetrag der Entschädigung, der nach § 198 GVG zuzusprechen ist, auch bei schwersten Verfahrensverzögerungen nach Auffassung des Oberlandesgerichts jedenfalls keine sechsstellige Summe erreichen.
Zum Zeitpunkt der Zustellung der Klagen der Anleger in den streitgegenständlichen Ausgangsverfahren hat sich die mit der Geltendmachung weiterer Schadensersatzforderungen verbundene Beeinträchtigung des Klägers schon so stark reduziert, dass durch diese Verfahren kein messbarer immaterieller Nachteil mehr herbeigeführt wird. Der Nachteil erschöpft sich bei den vorliegenden Ausgangsverfahren vielmehr in der bloßen Ungewissheit über den Verfahrensausgang. Diese Ungewissheit mit der ihr eigenen Belastung für den rechtsschutzsuchenden Bürger führt allein indes nicht dazu, dass stets ein Nachteil anzunehmen ist. Dies wäre mit der gesetzlichen Konzeption als widerlegliche Vermutung nicht zu vereinbaren [18]. Ein weiterer Nachteil ist nicht erkennbar: Bei Zustellung der Klagen am 17. und 18.01.2008 waren bereits 386 Schadensersatzklagen im Gesamtumfang von 10.777.752, 53 € rechtshängig. Ob sich dieser Betrag durch weitere Verfahren noch erhöhen würde, spielte für den Kläger keine signifikante Rolle mehr. Denn seine Vermögensverhältnisse erlaubten es ihm schon nicht, diesen Betrag zu begleichen. Er schuldete dem Land Berlin sowohl Steuern als auch steuerliche Nebenleistungen und verfügte demgegenüber über kein nennenswertes Vermögen. Die Steuerschuld, die bis zum 24.08.2007 bereits eine Höhe von 10.284.173, 56 € erreicht hatte, konnte von dem Kläger nicht bedient werden. Vollstreckungsversuche des Landes Berlin schlugen fehl. Weil gegen ihn Ansprüche auf eine unerlaubte Handlung gestützt werden, kann der Kläger nicht einmal vorbringen, dass er bei einer schnelleren Entscheidung zügiger das Restschuldbefreiungsverfahren hätte durchführen können (§ 302 Nr. 1 InsO).
Soweit der Kläger dagegen vorbringt, er werde bei einer solchen Betrachtungsweise wegen seiner Vermögenslosigkeit rechtlos gestellt, trifft das nicht zu. Es ist anerkannt, dass die Vermögensverhältnisse bei der Entscheidung nach § 198 GVG eine Rolle spielen können [19]. Außerdem wird der Kläger schon deshalb nicht rechtlos gestellt, weil er wegen der zeitlich vorangehenden Verfahren Entschädigung verlangen kann, nur die Gesamthöhe der Entschädigung wird durch die Berücksichtigung der chronologisch abnehmenden Belastung auf ein angemessenes Maß reduziert. Weil der Kläger bereits bei Zustellung der ersten Klagen in den Ausgangsverfahren überschuldet war, kann vorliegend auch nicht argumentiert werden, dass erst die Forderungen aus den streitgegenständlichen Ausgangsverfahren die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers überstiegen und ihn deshalb besonders belastet hätten.
Eine andere Entscheidung (Fortbestehen der tatsächlichen Vermutung und Annahme eines Nachteils) ist auch nicht deshalb zu treffen, weil der Kläger im April 2009 unstreitig einen Herzinfarkt erlitten hat. Zwar kann ein solcher Herzinfarkt seine Ursache in einer Gesamtbelastung haben, die wiederum – nicht ausschließbar – durch anhängige Rechtsstreitigkeiten hervorgerufen sein kann. Hierfür war die unangemessene Verfahrensdauer jedoch nicht kausal, weil das Verfahren jedenfalls bis Ende Februar 2010 angemessen betrieben wurde, der Herzinfarkt aber bereits im April 2009 aufgetreten ist. Außerdem kommt es für die psychische Beeinträchtigung des Klägers jedenfalls nicht mehr auf die streitgegenständlichen Verfahren an, weil die Belastung, die den Herzinfarkt ausgelöst haben mag, möglicherweise auf chronologisch vorangehenden Verfahren, nicht aber auf den im aktuellen Rechtsstreit relevanten zehn Ausgangsverfahren beruhte. Weil die streitgegenständlichen Verfahren den Kläger – wie ausgeführt – von Anfang an nicht belastet haben, konnte durch sie im späteren Zeitpunkt, in dem die Verfahrensdauer unangemessen wurde, keine Belastung mehr eintreten.
Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer
Hat ein Verfahrensbeteiligter – wie hier – infolge der Dauer eines Gerichtsverfahrens keinen Nachteil erlitten, findet keine Wiedergutmachung durch Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 4 S. 1 GVG statt [20]. Das Oberlandesgericht bemerkt deshalb lediglich ergänzend, dass eine solche Feststellung bei Annahme eines Nachteils in den streitgegenständlichen Fällen jedenfalls ausreichend wäre, weil den konkreten 10 Ausgangsverfahren keine besondere Bedeutung zukommt [21].
Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 – 6 SchH 1/13
- BVerfG NJW 2000, 797; BVerfG, Beschluss vom 13.08.2012, 1 BvR 1098/1119; BFH, Urteil vom 17.04.2013, X K 3/12 43[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.08.2012, 1 BvR 1098/1119[↩]
- BGH, III ZR 376/12 44[↩]
- BGH, III ZR 37/13 39[↩]
- Bd. IV Bl. 62[↩]
- dazu: BGH, Urteil vom 14.11.2013, III ZR 376/12 43[↩]
- Bd. IV Bl. 10 ff.[↩]
- vgl. Bd. IV Bl. 10 f.[↩]
- BFH, Urteil vom 20.11.2013, X K 2/12 40, 44[↩]
- BFH, Urteil vom 20.11.2013, X K 2/12 38[↩]
- OLG Frankfurt, Urteil vom 08.05.2013, 4 EntV 18/12 35[↩]
- LG Gö 14 (2) O 389/07[↩]
- OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.08.2012 – 4 SchH 4/12 16[↩]
- OLG Stuttgart, a.a.O.[↩]
- vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.[↩]
- BFH, Urteil vom 20.11.2013, X K 2/12 24; Ott in Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 152[↩]
- Ott in Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 60[↩]
- BFH, Urteil vom 20.11.2013, X K 2/12 28[↩]
- vgl. Ott in Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 162[↩]
- BFH, Urteil vom 20.11.2013, X K 2/12 42[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 17.04.2013, X K 3/12 59; Ott in Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 162[↩]