Wertpapierhandel mit Insiderinformationen – und die Beweiswürdigung

Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG aF1 war es verboten, unter Verwendung einer Insiderinformation Insiderpapiere für eigene oder fremde Rechnung oder für einen anderen zu erwerben oder zu veräußern. Dieses wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verbot war nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 WpHG aF (derzeit § 119 Abs. 3 Nr. 1 WpHG nF) strafbewehrt. Durch dieses abstrakte Gefährdungsdelikt sollen die Funktionsfähigkeit des organisierten Kapitalmarktes und die Chancengleichheit der Marktteilnehmer gewährleistet werden2.

Wertpapierhandel mit Insiderinformationen – und die Beweiswürdigung

Die Unrechtskontinuität ist auch nach erstmaliger Inbezugnahme des Art. 14 Buchstabe a der europäischen Marktmissbrauchsverordnung durch § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG aF, normiert durch das Erste Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz 1. FiMaNoG) vom 30.06.20163, gewahrt4.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund gilt für die Beweiswürdigung:

Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatgericht getroffene Feststellung „lebensfremd“ erscheinen mag. Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht (etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes), wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden5.

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Freilich können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl – wie hier aufgrund der auffälligen zeitlichen Nähe der Abverkäufe zur Erkrankung des Probanden und dem Anhalten der Studie, des Umfangs der Veräußerungen und der widerlegten Erklärungsversuche des Angeklagten B. komplex „Me. im Tat“ sowie der Kenntnis vom Übernahmeinteresse ab der zweiten Monatshälfte September 2011 im Tatkomplex „Mi. “ – nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es allerdings in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten6. Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtabwägung eingestellt wurden. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung. Auch wenn keine der Hilfstatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatgericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können7.

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An diesen Maßstäben gemessen hat das Landgericht im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei die die Angeklagten belastenden sowie entlastenden Umstände innerhalb einer Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen. Dabei hat es keinen der festgestellten relevanten Umstände außer Acht gelassen. Es hat insbesondere – anders als die Staatsanwaltschaft meint – den Zweifelssatz auch nicht rechtsfehlerhaft isoliert auf eine Hilfstatsache angewendet:

Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweisregel, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden8, auch nicht auf entlastende Hilfstatsachen9.

Das Landgericht hat im Tatkomplex „Me. “ rechtsfehlerfrei erkannt, dass vor allem der zeitliche Ablauf für das Verwenden von Insiderwissen spricht10. B. s Beweggrund für die massiven Abkäufe gerade im Juli 2008 hat es trotz Widerlegung seiner Einlassung nicht aufzuklären vermocht. Zwar hat es sich auch nicht vom gegenüber der Verwendung von Insidertatsachen alternativen Geschehensablauf, nämlich allein der Umsetzung des Beschlusses von März/April 2008, überzeugt. Indes ist das Landgericht sich bei seiner umfassenden Gesamtwürdigung dieses eingeschränkten Beweiswerts bewusst gewesen. Es hat keineswegs diese Geschehensvariante mangels Widerlegbarkeit für erwiesen erachtet, was rechtsfehlerhaft gewesen wäre11.

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Dass das Landgericht dennoch vernünftige Zweifel nicht zu überwinden vermocht hat, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Das Landgericht hat keinen entscheidungsrelevanten Umstand übersehen; die „Stop-Loss-Order“, aus deren Erteilung auf die Vorstellung des Angeklagten B. von einem deutlichen Verlust zu schließen ist, ist nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch ausreichend mitgewürdigt. Der tatgerichtliche Schluss auf eine Umsetzung der Entscheidung vom März/April 2008 im Juli 2008 ist zwar vielleicht nicht so naheliegend wie das Verwenden von Insiderwissen, bleibt aber möglich.

Der Freispruch im zweiten Tatkomplex „Mi.“ hat ebenfalls Bestand.

Wiederum hat das Landgericht keinen Ermittlungsansatz dafür ge34 funden, wann, von wem und unter welchen Umständen der Angeklagte B. von A. s Übernahmeinteresse erfuhr. Dass es sich von der Umsetzung eines Gesellschaftsbeschlusses im November 2010 zur Reinvestition überzeugt hat, ist ein möglicher Schluss, wenngleich gerade in der Gesamtschau mit dem ersten Tatkomplex das Verwenden von Insiderinformationen näher gelegen hätte. Für den vom Landgericht gezogenen Schluss spricht immerhin, dass die Angeklagten B. und W. insgesamt die Geldsumme reinvestierten, die sie zuvor durch die Abverkäufe im Zeitraum von November 2010 bis Mai 2011 erlöst hatten. Dass die C fe Angeklagten B. GmbH die Aktienkäumittels vom gewährter Darlehen finanzierte, unterbricht entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft den finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Veräußerungserlös und dessen Reinvestierung bei fortlaufenden Geldabund zuflüssen im Unternehmensbereich nicht. Das Landgericht hat nicht aus dem Blick verloren, dass der Angeklagte B. aus seinem beträchtlichen Privatvermögen sogar noch höhere Darlehen zur Verfügung stellte; diesen Umstand hat es rechtsfehlerfrei dahin als entlastend gewürdigt, dass bei Kenntnis vom Übernahmeinteresse die Angeklagten weitere Aktien erworben hätten. Die von der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang angeführte Email vom 26.08.2011, in welcher der Angeklagte B. gegenüber dem Angeklagten W. zu erkennen gab, „offen“ zu sein, „noch weiter aufzustocken“, hat das Landgericht mitgewürdigt. Diese Email belegt nicht mehr, als dass die beiden Angeklagten den Beschluss aus dem November 2010 abändern konnten; dass das Landgericht angenommen hat, dass sie sich bis zu einer solchen Änderung an die Entscheidung gebunden fühlten, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

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Mit diesem Argument der Reinvestition aufgrund des Beschlusses vom November 2010 ist revisionsrechtlich nicht durchgreifend bedenklich, dass das Landgericht nicht auszuschließen vermocht hat, dass auch den letzten vier Kaufordern im Oktober 2011 keine neue Entscheidung der beiden geschäftsführenden Gesellschafter zugrunde lag. Mehr als zwei Drittel des Aktienerlöses war bereits vor Oktober 2011 reinvestiert; der Gesellschaftsbeschluss war mithin zum überwiegenden Anteil vor Oktober 2011 vollzogen. Daher erscheint der Schluss, dass die letzten vier Käufe von B. s Insiderwissen unbeeinflusst blieben und nur auf dem nicht mehr modifizierten Entschluss aus dem November 2010 beruhten, noch tragfähig begründet.

Es kann nach alledem offenbleiben, ob zur Anwendbarkeit des deutschen strafbewehrten Insiderhandelsverbots (§ 38 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG aF) Auswirkungen des Handelns mit den Mi. Aktien auf den Freiverkehr der deutschen Börsenplätze hätten besonders festgestellt werden müssen. Denn nach der Legaldefinition gemäß § 12 Satz 1 Nr. 1 WpHG aF waren Insiderpapiere nur solche Finanzinstrumente, die an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen oder in den regulierten Markt oder Freiverkehr einbezogen waren; § 12 Satz 1 Nr. 2 WpHG aF erweiterte den Anwendungsbereich der Finanzinstrumente auf den organisierten Markt eines anderen EU-Mitgliedstaats oder EWR-Vertragsstaats. Mit der Vorschrift des § 38 Abs. 5 WpHG aF, wonach unter anderem dem Verbot eines Insidergeschäfts ein entsprechendes ausländisches Verbot gleichgestellt wurde, sollte das strafbewehrte Verbot des Insiderwertpapierhandels nicht auf die ausländischen Märkte außerhalb der Europäischen Union bzw. außerhalb der EWRVertragsstaaten erweitert werden12.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. Juni 2019 – 1 StR 585/17

  1. wie derzeit nach Art. 14 Buchstabe a der Marktmissbrauchsverordnung ((Verordnung [EU] Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.04.2014 über Marktmissbrauch [Marktmissbrauchsverordnung] und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. L 173 vom 12.06.2014 S. 1[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.2010 – 5 StR 224/09 Rn. 18[]
  3. BGBl. I S. 1514[]
  4. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.05.2018 – 2 BvR 463/17; BGH, Beschluss vom 10.01.2017 – 5 StR 532/16, BGHSt 62, 13, 14 ff.[]
  5. st. Rspr.; BGH, Urteil vom 30.01.2019 – 2 StR 500/18 Rn. 14 mwN[]
  6. BGH, Urteile vom 06.09.2006 – 5 StR 156/06 Rn. 16; vom 11.11.2015 – 1 StR 235/15 Rn. 39; und vom 08.09.2011 – 1 StR 38/11 Rn. 13[]
  7. BGH, Urteil vom 11.11.2015 – 1 StR 235/15 Rn. 43 mwN[]
  8. st. Rspr.; BGH, Urteil vom 16.12 2015 – 1 StR 423/15 Rn. 8 mwN[]
  9. BGH, Urteil vom 21.10.2008 – 1 StR 292/08 Rn. 24 mwN[]
  10. vgl. zum Indizwert des Geschehensablaufs: BGH, Beschluss vom 27.01.2010 – 5 StR 224/09 Rn.20[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 29.03.1983 – 1 StR 50/83 Rn. 68 zur rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung bei einem nicht widerlegten Alibi; vgl. auch BGH, Urteil vom 13.02.1974 – 2 StR 552/73, BGHSt 25, 285, 287[]
  12. vgl. die Gesetzesbegründung zur Vorgängerregelung des § 31 Abs. 2 WpHG aF, eingeführt durch das Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften [Zweites Finanzmarktförderungsgesetz] vom 26.07.1994 [BGBl. I S. 1749] in BT-Drs. 12/6679, S. 57: „Funktionsfähigkeit des europäischen Kapitalmarktes“; vgl. im Übrigen Popp, wistra 2011, 169, 170 ff.[]
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