Der Bundesgerichtshof hat in drei bei ihm anhängigen Revisionsverfahren die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Schadensersatz in „Thermofenster“-Fällen1 umgesetzt und entschieden, unter welchen Voraussetzungen Käufer von Dieselfahrzeugen in „Dieselverfahren“ den Ersatz eines Differenzschadens vom Fahrzeughersteller verlangen können:

- In einem Verfahren aus Osnabrück2 verlangt der Autokäufer von der beklagten Volkswagen AG Schadensersatz wegen eines von ihr hergestellten VW Passat Alltrack 2.0 l TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 288 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Der Autokäufer erwarb das im Juli 2016 erstmals zugelassene Fahrzeug am 15. November 2017 von einem Händler. Die Abgasrückführung erfolgt bei dem Fahrzeug in Abhängigkeit von der Temperatur (Thermofenster). Ferner ist eine Fahrkurvenerkennung installiert. Der Autokäufer verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag und einen Finanzierungsvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht Osnabrück hat die Klage abgewiesen3. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die dagegen gerichtete Berufung des Autokäufers zurückgewiesen4. Gegen die Zurückweisung der Berufung richtet sich die vom Oberlandesgericht Oldenburg zugelassene Revision des Autokäufers.
- In einem Verfahren aus Bonn5 kaufte der Autokäufer im Mai 2018 von einem Vertragshändler der beklagten Audi AG einen Audi SQ5 Allroad 3.0 TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 896Gen2BiT ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hatte bereits vor Abschluss des Kaufvertrags bei einer Überprüfung des auch in das Fahrzeug des Autokäufers eingebauten Motors eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer sogenannten Aufheizstrategie festgestellt und durch Bescheid vom 1. Dezember 2017 nachträgliche Nebenbestimmungen für die der Beklagten erteilte EG-Typgenehmigung angeordnet. Der Autokäufer verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag mit dem Vertragshändler und einen Finanzierungsvertrag nicht abgeschlossen. Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Bonn hat die Klage abgewiesen6. Das Oberlandesgericht Köln hat die dagegen gerichtete Berufung des Autokäufers zurückgewiesen7. Gegen die Zurückweisung der Berufung richtet sich die vom Oberlandesgericht Köln zugelassene Revision des Autokäufers, mit der er seine zweitinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.
- Im dritten, Stuttgarter Verfahren8 kaufte der Autokäufer im Oktober 2017 von der beklagten Mercedes-Benz Group AG einen Mercedes-Benz C 220 d, der mit einem Motor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Die Abgasrückführung erfolgt bei dem Fahrzeug unter anderem temperaturgesteuert und wird beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert. Weiter verfügt das Fahrzeug über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, bei der die verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt. Der Autokäufer verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag und einen Finanzierungsvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht Stuttgart hat der Klage unter dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung des Autokäufers überwiegend stattgegeben9. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Stuttgart die auf das Recht der unerlaubten Handlung gestützte Klage und darüber hinaus das auf kaufrechtliche Ansprüche gestützte Begehren des Autokäufers abgewiesen10. Mit der vom Oberlandesgericht Stuttgart unter Verweis auf die Frage, ob die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sei, zugelassenen Revision möchte der Autokäufer, der nur noch deliktische Ansprüche geltend macht, die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.
Der Bundesgerichtshof hat auf die Revisionen der Autokäufer die Berufungsurteile in allen drei Verfahren – in der Stuttgarter Sache11 allerdings nicht bezogen auf Ansprüche aus Kaufrecht, die nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens waren – aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Oberlandesgerichte zurückverwiesen, damit die Oberlandesgerichte eine Haftung der beklagten Fahrzeughersteller aus unerlaubter Handlung weiter aufklären. Dabei hat der Bundesgerichtshof im Osnabrücker Verfahren2 bestätigt, dass die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung einem Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen den Fahrzeughersteller nicht entgegengehalten werden kann. Im Bonner Verfahren5 hat er die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer haftungsausschließenden Verhaltensänderung des Fahrzeugherstellers bekräftigt. Außerdem hat er – ausführlich begründet im Osnabrücker Verfahren2 – für eine Haftung der Fahrzeughersteller nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. März 20231 folgende Grundsätze aufgestellt:
Der Unionsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. März 2023 aus dem Gesamtzusammenhang des unionsrechtlichen Regelungsgefüges gefolgert, dass der Käufer beim Erwerb eines Kraftfahrzeugs, das zur Serie eines genehmigten Typs gehört und mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftigerweise erwarten kann, dass die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und insbesondere deren Art. 5 eingehalten ist. Wird er in diesem Vertrauen enttäuscht, kann er von dem Fahrzeughersteller, der die Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat, Schadensersatz nach Maßgabe des nationalen Rechts verlangen.
Zu gewähren ist allerdings, wenn der Fahrzeughersteller den Käufer nicht sittenwidrig vorsätzlich geschädigt hat, in Übereinstimmung mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die zu ändern der Bundesgerichtshof keine Veranlassung hat, nicht großer Schadensersatz. Der Käufer kann auf der Grundlage der § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV im Falle der Enttäuschung seines auf die Richtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung gestützten Vertrauens – anders als bei einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch den Fahrzeughersteller und auf der Grundlage der §§ 826, 31 BGB – nicht verlangen, dass der Fahrzeughersteller das Fahrzeug übernimmt und den Kaufpreis abzüglich vom Käufer erlangter Vorteile erstattet. Ein solcher Anspruch, der im Kern nicht den Vermögensschaden, sondern die freie Willensentschließung des Käufers schützt, kommt nur bei einem im Sinne von §§ 826, 31 BGB arglistigen Verhalten des Fahrzeugherstellers in Betracht. Für § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass ein Schadensersatzanspruch nach dem maßgeblichen nationalen Recht eine Vermögensminderung durch die enttäuschte Vertrauensinvestition bei Abschluss des Kaufvertrags über das Kraftfahrzeug voraussetzt. Da der EuGH bei der Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs auf das nationale Recht verwiesen hat, konnte der Bundesgerichtshof auf die allgemeinen Grundsätze des deutschen Schadensrechts zurückgreifen, die auch bei einem fahrlässigen Verstoß gegen das europäische Abgasrecht einen effektiven und verhältnismäßigen Schadensersatzanspruch gewähren.
Dabei hatte der Bundesgerichtshof davon auszugehen, dass die jederzeitige Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs Geldwert hat. Deshalb erleidet der Käufer eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Unionsrechts versehen ist, stets einen Schaden, weil aufgrund einer drohenden Betriebsbeschränkung oder Betriebsuntersagung die Verfügbarkeit des Fahrzeugs in Frage steht. Zugunsten des Käufers greift der Erfahrungssatz, dass er im Falle der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung das Fahrzeug nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätte.
Das Vorhandensein der Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 als solcher muss im Prozess der Käufer darlegen und beweisen, während die ausnahmsweise Zulässigkeit einer festgestellten Abschalteinrichtung aufgrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen muss.
Stellt der Tatrichter das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung fest, muss der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen, dass er bei der Ausgabe der Übereinstimmungsbescheinigung weder vorsätzlich gehandelt noch fahrlässig verkannt hat, dass das Kraftfahrzeug den unionsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht. Beruft sich der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, gelten dafür die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätze. Kann sich der Fahrzeughersteller von jedem Verschulden entlasten, haftet er nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht. Das deutsche Recht der unerlaubten Handlung setzt für eine deliktische Haftung des Schädigers stets ein Verschulden voraus. Eine verschuldensunabhängige deliktische Haftung können deutsche Gerichte, die auch nach den Vorgaben des EuGH im Rahmen des geltenden nationalen Rechts zu entscheiden haben, nicht anordnen.
Der dem Käufer zu gewährende Schadensersatz muss nach den Vorgaben des EuGH einerseits eine effektive Sanktion für die Verletzung des Unionsrechts durch den Fahrzeughersteller darstellen. Andererseits muss der zu gewährende Schadensersatz – so die zweite Vorgabe des EuGH – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Dem einzelnen Käufer ist daher stets und ohne, dass das Vorhandensein eines Schadens als solches mittels eines Sachverständigengutachtens zu klären wäre oder durch ein Sachverständigengutachten in Frage gestellt werden könnte, ein Schadensersatz in Höhe von wenigstens 5% und höchstens 15% des gezahlten Kaufpreises zu gewähren. Innerhalb dieser Bandbreite obliegt die genaue Festlegung dem Tatrichter, der sein Schätzungsermessen ausüben kann, ohne sich vorher sachverständig beraten lassen zu müssen. Auf den vom Tatrichter geschätzten Betrag muss sich der Käufer Vorteile nach Maßgabe der Grundsätze anrechnen lassen, die der Bundesgerichtshof für die Vorteilsausgleichung auf der Grundlage der Gewähr kleinen Schadensersatzes nach §§ 826, 31 BGB entwickelt hat.
Die Autokäufer werden in allen Verfahren Gelegenheit haben, ihre Anträge anzupassen, soweit sie einen Differenzschaden nach diesen Maßgaben geltend machen wollen. Die Parteien haben nach einer Zurückverweisung der Sachen Gelegenheit, zu den Voraussetzungen einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ergänzend vorzutragen.
Bundesgerichtshof, Urteile vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 – VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22
- EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, NJW 2023, 1111[↩][↩]
- BGH – VIa ZR 335/21[↩][↩][↩]
- LG Osnabrück, Urteil vom 30.06.2021 – 5 O 203/21[↩]
- OLG Oldenburg, Urteil vom 29.09.2021 – 6 U 217/21[↩]
- BGH – VIa ZR 533/21[↩][↩]
- LG Bonn, Urteil vom 29.09.2020 – 7 O 313/19[↩]
- OLG Köln, Urteil vom 14.10.2021 – 18 U 185/20[↩]
- BGH – VIa 1031/22[↩]
- LG Stuttgart, Urteil vom 17.12.2021 – 29 O 286/21[↩]
- OLG Stuttgart, Urteil vom 05.07.2022 – 24 U 314/21[↩]
- BGH – VIa ZR 1031/22[↩]
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