Das Verfahren vor einer Gütestelle – und die Rückwirkung der Verjährungshemmung

Für die Rückwirkung der Verjährungshemmung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 BGB kommt es auch in der seit dem 26.02.2016 geltenden Fassung (lediglich) auf die Veranlassung der Bekanntgabe des Antrags an den Antragsgegner durch die Güte- beziehungsweise Streitbeilegungsstelle an, nicht hingegen auf die tatsächlich an diesen erfolgte Bekanntgabe.

Das Verfahren vor einer Gütestelle – und die Rückwirkung der Verjährungshemmung

Für die Prüfung einer Verjährungshemmung im Hinblick auf den vom Gläubiger am 19.05.2017 bei einer staatlich anerkannten Gütestelle angebrachten Güteantrag ist im Ausgangspunkt die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB  heranzuziehen. 

Seit der Schuldrechtsmodernisierung tritt die Hemmungswirkung eines Güte- beziehungsweise eines Streitbeilegungsantrags gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 BGB grundsätzlich in dem Zeitpunkt ein, zu dem die Güte- beziehungsweise Streitbeilegungsstelle die Bekanntgabe des Antrags an den Antragsgegner veranlasst hat.

Anders als noch im Gesetzesentwurf vorgesehen1, kommt es nach der gesetzlichen Regelung für den Eintritt der Verjährungshemmung gemäß dem ersten Halbsatz nicht auf die (tatsächlich erfolgte) Bekanntgabe des Antrags an den Antragsgegner an, sondern allein auf das aktenmäßig nachprüfbare Vorgehen der Güte- beziehungsweise Streitbeilegungsstelle2. Eine veranlasste, letztlich aber mangels Zugangs erfolglos gebliebene Bekanntgabe ist für die Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 BGB ausreichend, sofern nur die Veranlassung der Bekanntgabe feststeht3.

In Ergänzung hierzu ordnet § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 BGB unter bestimmten Voraussetzungen eine Rückwirkung der Hemmungswirkung auf den Zeitpunkt des Antragseingangs bei der Güte- beziehungsweise Streitbeilegungsstelle an.

In der bis zum 25.02.2016 geltenden und wohl vom Berufungsgericht herangezogenen Fassung knüpfte diese Rückwirkung ebenfalls an die Veranlassung der Bekanntgabe des Antrags durch die Gütestelle an; diese musste hierfür „demnächst“ erfolgen4. Hingegen sieht die seit dem 26.02.2016 geltende und damit im Streitfall maßgebende Fassung des zweiten Halbsatzes (vgl. Art. 6 Nr. 1a, Art. 24 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten vom 19.02.2016, BGBl. I S. 254) eine Rückwirkung vor, „wenn der Antrag demnächst bekannt gegeben wird“.

Die Frage, ob wegen des geänderten Wortlauts im zweiten Halbsatz von § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB eine Rückwirkung der Verjährungshemmung auf den Zeitpunkt des Antragseingangs nur dann eintritt, wenn der Güteantrag dem Antragsgegner auch zugegangen und ihm hierdurch tatsächlich bekanntgegeben worden ist5, hat der Bundesgerichtshof soweit ersichtlich bislang nicht entschieden.

Der Bundesgerichtshof beantwortet die vorliegend entscheidungserhebliche Frage dahingehend, dass es für die Rückwirkung der Verjährungshemmung auch nach der seit dem 26.02.2016 geltenden Fassung von § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 BGB (lediglich) auf die Veranlassung der Bekanntgabe des Güte- beziehungsweise Streitbeilegungsantrags, nicht auf die Bekanntgabe selbst ankommt.

Der Wortlaut von § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB ist nicht eindeutig. Einerseits deuten die Begriffe „Veranlassung der Bekanntgabe“ im ersten Halbsatz und „bekannt gegeben“ im zweiten Halbsatz auf inhaltliche Unterschiede hin. Andererseits bildet der erste Halbsatz nach dem Aufbau den Grundtatbestand der in Nummer 4 getroffenen Regelung, der durch den zweiten Halbsatz wie die Worte „schon“ und „demnächst“ nahelegen lediglich durch zeitliche Merkmale modifiziert sein könnte.

Aus der Gesetzgebungsgeschichte ergibt sich jedoch, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung von dem Erfordernis eines tatsächlichen Zugangs des Güteantrags beim Antragsgegner sowohl für den Eintritt der Verjährungshemmung als auch für deren Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Antragseingangs abgesehen hat und hiervon auch später nicht abrücken wollte.

Im Gesetzgebungsverfahren zur Modernisierung des Schuldrechts hat sich der Gesetzgeber eingehend mit den für den Eintritt (Halbsatz 1) und die Rückwirkung (Halbsatz 2) der Verjährungshemmung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB maßgeblichen Voraussetzungen befasst.

Der Gesetzentwurf sah für beide Fälle noch eine Anknüpfung an „die Bekanntgabe“ des Güteantrags vor und wich ausweislich der Begründung bewusst von der Vorgängerregelung des § 209 Abs. 2 Nr. 1a BGB aF ab, welche schon die Einreichung („Anbringung“) des Güteantrags in ihren verjährungsrechtlichen Wirkungen der Klageerhebung gleichstellte. Er hielt es für maßgeblich, dass wie bei der Klage mit der Zustellung der Klageschrift gemäß § 253 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nur solche Rechtsverfolgungsmaßnahmen verjährungsrechtliche Wirkungen entfalten sollten, die dem Schuldner bekannt würden. An die „Zustellung als förmliche Art der Bekanntgabe“ habe indes bei dem Güteantrag nicht angeknüpft werden können, da eine solche nicht vorgeschrieben sei6.

Abweichend hiervon empfahl der Rechtsausschuss, sowohl für den Eintritt als auch für die Rückwirkung der Verjährungshemmung auf die „Veranlassung der Bekanntgabe“ des Güteantrags abzustellen. Er sah in der Anknüpfung des Entwurfs an die Bekanntgabe eine Gefahr für die Praxistauglichkeit der Hemmungsregelung. Eine Bekanntgabe des Güteantrags durch förmliche Zustellung sei nicht vorgeschrieben, weshalb sie formlos, etwa durch einfachen Brief, möglich sei. Dann sei aber zu besorgen, dass der Schuldner den Erhalt des Briefs bestreite, was in der Praxis kaum zu widerlegen sei und die Hemmungsregelung untauglich werden ließe. Der Rechtsausschuss sah es daher als sachgerecht an, für den Eintritt der Hemmung ebenso wie für deren Rückwirkung auf die (demnächst erfolgende) Veranlassung der Bekanntgabe abzustellen2. Dieser Empfehlung ist der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung gefolgt.

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB durch das Gesetz vom 19.02.2016 von dieser Gewichtung der Interessen von Gläubiger und Schuldner im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der Hemmungsregelung hätte abrücken wollen, lassen sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen.

Die Neufassung sollte lediglich den Anwendungsbereich der Vorschrift erweitern. Sie wurde dementsprechend auf „alle eingerichteten oder anerkannten Verbraucherschlichtungsstellen erstreckt“7. Mit den Voraussetzungen für den Eintritt und die Rückwirkung der Verjährungshemmung befasst sich die Entwurfsbegründung dagegen nicht. Soweit dort eine Bekanntgabe des Güteantrags an den Antragsgegner erwähnt wird, erfolgt dies lediglich als Beispiel für das von § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 Buchst. b BGB verlangte Einvernehmen des Antragsgegners hinsichtlich der Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens.

Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen, ebenso wie systematische Gesichtspunkte, dafür, dass die Rückwirkung der verjährungshemmenden Wirkung des Güteantrags wie in der vorherigen Fassung des zweiten Halbsatzes des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB – lediglich von der im ersten Halbsatz dieser Vorschrift genannten „Veranlassung der Bekanntgabe“ abhängig ist, nicht hingegen von einem tatsächlichen Zugang des Antrags beim Antragsgegner.

Die in § 204 Abs. 1 BGB aufgeführten Hemmungstatbestände bezwecken insbesondere den Schutz des Gläubigers davor, dass sein Anspruch verjährt, nachdem er ein förmliches Verfahren mit dem Ziel der Durchsetzung des Anspruchs eingeleitet hat8. Diesen Normzweck hat der Gesetzgeber für § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB im Zusammenhang mit der Änderung der Vorschrift durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten vom 19.02.2016 nochmals ausdrücklich betont. Die Neufassung sollte in Umsetzung der mitgliedstaatlichen Verpflichtung aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2013/11/EU vom 21.05.20139 sicherstellen, dass (auch) diejenigen Parteien, die an dem Verfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle teilnehmen, nicht durch den Ablauf von Verjährungsfristen während des Verfahrens an der gerichtlichen Durchsetzung ihres Anspruchs gehindert werden7.

Dieser durch § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 BGB bezweckte Schutz des Gläubigers wird durch die Regelung des zweiten Halbsatzes zur Rückwirkung der Verjährungshemmung erweitert. Die dort enthaltene Bestimmung ist Folge der vom Gesetzgeber vorgenommenen Angleichung der verjährungsrechtlichen Wirkungen eines Güteantrags an die einer Klage, wie sich aus den oben genannten Erwägungen in der Entwurfsbegründung zur Schuldrechtsmodernisierung und dem dortigen ausdrücklichen Verweis auf § 270 Abs. 3 ZPO aF als Vorgängerregelung zu § 167 ZPO ergibt6. Wie bei der Zustellung der Klage gemäß § 167 ZPO soll der Gläubiger auch bei einem Güteantrag nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 BGB vor verjährungsrechtlichen Nachteilen bewahrt werden, die sich durch von ihm nicht beeinflussbare Verzögerungen innerhalb des Geschäftsbetriebs der Gütestelle ergeben10. Da bei der Anrufung einer Güte- oder Streitbeilegungsstelle eine förmliche Zustellung nicht zwingend vorgegeben ist, sondern die Ausgestaltung dieser Verfahren etwa nach § 15a Abs. 5 EGZPO dem Landesrecht überlassen bleibt, kommt es anders als im Fall einer Klage lediglich auf die Veranlassung einer formlosen Bekanntgabe an11.

Diesem Schutzzweck des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB zugunsten des Gläubigers liefe es zuwider, würde der Eintritt einer Rückwirkung der Verjährungshemmung von der Bekanntgabe des Güteantrags an den Antragsgegner abhängig gemacht. Ihr Eingreifen hinge im Fall des Bestreitens von dem seitens des Antragstellers anders als bei der Zustellung einer Klage praktisch nicht zu führenden Nachweis eines tatsächlich erfolgten Zugangs des Güteantrags beim Antragsgegner ab. Ein solches Ergebnis hat der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform ausdrücklich abgelehnt.

Zudem erschiene eine Regelung sinnwidrig, die, obwohl sie den Antragsteller vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des Geschäftsbetriebs der Gütestelle schützen soll, ihre Rechtsfolge von einem Zugang des Antrags abhängig machte, an dem es aus vom Antragsteller gleichfalls nicht zu vertretenden und auch nicht aus der Sphäre der Gütestelle stammenden Gründen fehlen kann. Das gilt insbesondere, wenn die Vorschrift im Übrigen auf einen Zugang gerade nicht abstellt. Vielmehr spricht der Vergleich mit der Regelungstechnik für Eintritt und Rückwirkung bei der Verjährungshemmung durch eine Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB in Verbindung mit § 253 Abs. 1, § 167 ZPO), an der sich der Gesetzgeber bei § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB maßgeblich orientiert hat6, dafür, dass sich das Erfordernis „demnächst“ als Voraussetzung der Rückwirkung in beiden Vorschriften auf das nach dem jeweiligen Tatbestand für den Eintritt der Verjährungshemmung maßgebliche Tatbestandsmerkmal bezieht. Bei der Klage ist das gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Zustellung, beim Güteantrag gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 BGB die Veranlassung der Bekanntgabe. Die missverständliche Formulierung in § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 BGB in der ab dem 26.02.2016 geltenden Fassung ist damit als Redaktionsversehen zu werten.

Ausgehend hiervon hat der Güteantrag des Gläubigers im hier entschiedenen Fall bereits mit dem Eingang bei der Gütestelle die Verjährung gehemmt, weil die Gütestelle die Bekanntgabe an den Schuldner vier Kalendertage nach dem Eingang und damit „demnächst“ veranlasst hat (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 BGB).

Die sechsmonatige Nachlauffrist des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB hat nicht vor dem Zeitpunkt begonnen, zu dem die Gütestelle die Bescheinigung über das Scheitern des Güteverfahrens ausgestellt hat. Denn für den Beginn dieser Frist kommt es auf die Bekanntgabe der Verfahrenseinstellung an den Antragsteller an12. Die Ausstellung der Bescheinigung erfolgte nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts am 21.08.2017, so dass die sechsmonatige Nachlauffrist frühestens am 21.02.2018 abgelaufen gewesen wäre. Die bereits am 16.01.2018 bei Gericht eingegangene und am 29.01.2018 zugestellte Klage ist damit rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist erfolgt und hat die Verjährung erneut gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. Mai 2022 – VIII ZR 50/20

  1. vgl. hierzu BT-Drs. 14/6040, S. 114[]
  2. vgl. BT-Drs. 14/7052, S. 181[][]
  3. vgl. BeckOGK-BGB/Meller-Hannich, Stand: 1.03.2022, § 204 Rn.190; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 16. Aufl., § 204 Rn. 17; BeckOK-BGB/Henrich, Stand: 1.02.2022, § 204 Rn. 31[]
  4. vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17.01.2017 – VI ZR 239/15, BGHZ 213, 281 Rn. 18[]
  5. in diesem Sinne Steike/Borowski, VuR 2017, 218, 221; dies. in Borowski/Röthemeyer/Steike, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2. Aufl., § 204 BGB Rn. 8 und 11; BeckOGK-BGB/Meller-Hannich, aaO Rn.192.1; jurisPK-BGB/Lakkis, Stand: 1.05.2020, § 204 Rn. 92; weiterhin lediglich auf die Veranlassung der Bekanntgabe abstellend BeckOK-BGB/Henrich, aaO Rn. 32; Erman/Schmidt-Räntsch, aaO; MünchKomm-BGB/Grothe, 9. Aufl., § 204 Rn. 40[]
  6. vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 114[][][]
  7. vgl. BT-Drs. 18/5089, S. 80[][]
  8. vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 112 und 113 [zu Nr. 1][]
  9. ABl. Nr. L 165, S. 63[]
  10. vgl. BGH, Urteile vom 22.09.2009 – XI ZR 230/08, BGHZ 182, 284 Rn. 15; vom 17.01.2017 – VI ZR 239/15, BGHZ 213, 281 Rn. 18 [jeweils zu § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB aF][]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2009 – XI ZR 230/08, aaO Rn. 14[]
  12. vgl. hierzu BGH, Urteile vom 28.10.2015 – IV ZR 405/14, NJW 2016, 236 Rn. 26 ff.; vom 25.05.2016 – IV ZR 211/15, VersR 2016, 907 Rn.19; vom 17.01.2017 – VI ZR 239/15, BGHZ 213, 281 Rn.20[]

Bildnachweis: