Haftung bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen im öffentlichen Straßenverkehr

Bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen im öffentlichen Straßenverkehr kommt ein Haftungsausschluss nach den für gefährliche Sportarten entwickelten Grundsätzen jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Schädiger grob fahrlässig gehandelt hat oder haftpflichtversichert ist. Die auf 5.000 € begrenzte Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 KfzPflVV steht dem nicht entgegen. Sie genügt auch nicht, um die Annahme eines konkludent vereinbarten Haftungsverzichts zu begründen.

Haftung bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen im öffentlichen Straßenverkehr

Eine bewusste Selbstgefährdung kann grundsätzlich nicht als rechtfertigende Einwilligung in die als möglich vorgestellte Rechtsgutsverletzung aufgefasst werden. Das sogenannte „Handeln auf eigene Gefahr“ ist darum in der Regel nur als Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen1. Ein vollständiger Haftungsausschluss kann sich aber aus dem Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB ergeben2. Das ist insbesondere für sportliche Kampfspiele und andere sportliche Wettbewerbe mit nicht unerheblichem Gefahrenpotenzial anerkannt, die typischerweise auch bei Einhaltung der Wettbewerbsregeln oder geringfügiger Regelverletzung die Gefahr gegenseitiger Schadenszufügung begründen3. Hier verstößt der geschädigte Wettbewerber gegen das Verbot des treuwidrigen Selbstwiderspruchs, wenn er einen anderen Wettbewerber wegen eines Schadens in Anspruch nimmt, den dieser ohne gewichtige Regelverletzung verursacht hat. Denn die Teilnehmer eines solchen Wettbewerbs nehmen dessen Risiken nicht nur bewusst in Kauf, sie sind auch alle in gleicher Weise von ihnen betroffen, so dass es weitgehend vom Zufall abhängt, ob sie durch das Verhalten anderer Wettbewerber zu Schaden kommen oder anderen selbst einen Schaden zufügen.

Diese Grundsätze gelten nicht nur für organisierte Kraftfahrzeugrennen und ähnliche Veranstaltungen4. Sie werden von der Rechtsprechung auch auf vergleichbare Aktivitäten im privaten Bereich wie das Fahrrad- oder Motorradfahren im Pulk5 oder im Gelände6 erstreckt. Ob sie auch für verbotene Kraftfahrzeugrennen im öffentlichen Straßenverkehr (§ 29 Abs. 1 StVO) anwendbar sind7, ist allerdings umstritten8 und höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Ein Haftungsausschluss kommt aber auch bei derartigen Rennen allenfalls dann in Betracht, wenn sich die Teilnehmer zumindest konkludent auf bestimmte, für alle Teilnehmer verbindliche Regeln geeinigt haben9. Denn die entschädigungslose Inkaufnahme von Verletzungen bei sportlichen Kampfspielen findet ihre innere Rechtfertigung nicht nur in der – bei Kraftfahrzeugrennen stets vorhandenen – Gefahrexponierung, sondern auch darin, dass dem Spiel bestimmte, für jeden Teilnehmer verbindliche Regeln zu Grunde liegen, die von vornherein feststehen, unter denen somit die Teilnehmer zum Spiel antreten und die insbesondere durch das Verbot so genannter „Fouls” auch auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Spieler ausgerichtet sind10.

Solche Regeln haben die Parteien im hier entschiedenen Fall jedenfalls nicht ausdrücklich vereinbart. Ob sie sich stillschweigend bestimmten Regeln unterworfen haben und ob dies die Anwendung der dargestellten Grundsätze rechtfertigt, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn selbst wenn diese Grundsätze auf das spontan verabredete Beschleunigungsrennen anwendbar wären, käme ein Haftungsausschluss nicht in Betracht.

Zum einen gelten die dargestellten Grundsätze nur für nicht versicherte Risiken. Denn der Grund für die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens liegt bei fehlendem Versicherungsschutz gerade darin, dass dem schädigenden Teilnehmer der sportlichen Veranstaltung ein besonderes Haftungsrisiko zugemutet wird, obwohl der Geschädigte die besonderen Risiken der Veranstaltung in Kauf genommen hat und ihn die Rolle des Schädigers ebenso gut hätte treffen können. Sind die bestehenden Risiken durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt, besteht weder ein Grund für die Annahme, die Teilnehmer wollten gegenseitig auf etwaige Schadensersatzansprüche verzichten, noch erscheint es als treuwidrig, dass der Geschädigte den durch die Versicherung gedeckten Schaden geltend macht11. Der bestehende Versicherungsschutz wirkt damit anspruchserhaltend12. Das gilt auch hier. Denn der Risikoausschluss nach § 2b Abs. 3 b AKB a.F. (jetzt: A.1.5.2 und A.2.16.2 AKB 2008) i.V.m. § 4 Nr. 4 KfzPflVV betrifft nur die Beteiligung an behördlich genehmigten Rennveranstaltungen. Nicht genehmigte Rennen sind dagegen versichert. Die Teilnahme an solchen Rennen ist lediglich eine Obliegenheitsverletzung nach § 2b Abs. 1d AKB a.F. (jetzt: D.2.2 AKB 2008) i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 KfzPflVV, die als solche nur das Innenverhältnis betrifft. Zudem ist der durch sie begründete Regressanspruch gegen den Teilnehmer eines nicht genehmigten Rennens gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 KfzPflVV auf einen Höchstbetrag von 5.000 EUR beschränkt. Dieses begrenzte Haftungsrisiko vermag die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens nicht zu rechtfertigen13. Denn es ist ebenso zumutbar wie der mögliche Verlust des Schadensfreiheitsrabatts14. Auf die Frage, ob das Beschleunigungsrennen überhaupt unter § 2b Abs. 1d AKB a.F. fällt, kommt es deshalb nicht entscheidend an.

Zum anderen würde jedenfalls das gravierende Fehlverhalten des Beklagten nicht von einem Haftungsausschluss erfasst. Nach den dargelegten Grundsätzen stünde das Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens seiner Inanspruchnahme nur entgegen, wenn er die geltend gemachten Schäden ohne schwerwiegende Regelverletzung verursacht hätte. Bei gewichtigen Regelverstößen oder grob fahrlässigem Verhalten schließt es die Haftung nicht aus15. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus16. Ein solcher Verstoß fällt dem Beklagten zur Last. Nach Feststellungen ist er mit einer Geschwindigkeit von mindestens 220 km/h auf die linke Spur gewechselt, als sich das nur unwesentlich langsamere Fahrzeug des Klägers in etwa auf gleicher Höhe befand. Dies hatte zur Folge, dass für einen kurzen Moment alle drei Fahrzeuge auf den zwei zur Verfügung stehenden Spuren nebeneinander fuhren und der Abstand zu dem Fahrzeug des Klägers nur noch 30 cm betrug. Damit hat der Beklagte die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt nicht nur in ungewöhnlich hohem Maß verletzt. Sein Verhalten ist auch subjektiv nicht entschuldbar. Denn nach den auch insoweit bindenden Feststellungen des Landgerichts beruhte es nicht auf einem einfachen Fahrfehler, sondern auf dem bewussten Entschluss, die andernfalls erforderliche Bremsung zu vermeiden. Es offenbart damit ein schlechthin unentschuldbares Maß an Rücksichtslosigkeit. Zudem bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger und der Beklagte konkludent auf die Zulässigkeit eines solchen extrem gefährlichen Verhaltens geeinigt hätten. Der Umstand, dass der Kläger den Opel Astra schon beim Start des Beschleunigungsrennens erkennen konnte, genügt dafür nicht. Da es bei dem von ihnen verabredeten Rennen nicht um das schnellstmögliche Erreichen eines bestimmten Ziels, sondern nur um die Beschleunigung der beiden nebeneinander fahrenden Wagen ging, kann auch nicht unterstellt werden, dass sie sich stillschweigend dem bei organisierten Rennveranstaltungen anwendbaren Regelwerk unterworfen hätten, wonach die besonderen Sorgfaltspflichten bei einem Überholvorgang nicht den Überholenden treffen, sondern der Überholte ein Vorbeifahren ohne jede Behinderung zu ermöglichen hat17. Das Verhalten des Beklagten wäre deshalb auch nicht von den – möglicherweise konkludent vereinbarten – Regeln gedeckt, sondern als gewichtiger Regelverstoß zu qualifizieren.

Ein konkludent vereinbarter Haftungsverzicht kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden18. Die spontane Verabredung zu einem Beschleunigungsrennen genügt dafür nicht. Weitere Umstände, die auf einen entsprechenden Parteiwillen schließen lassen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Diesem Schluss stehen vielmehr dieselben Gründe entgegen wie dem Haftungsausschluss wegen selbstwidersprüchlichen Verhaltens. Denn zum einen war das Fahrzeug der Beklagten gegen Haftpflicht versichert, was die Annahme eines konkludent vereinbarten Haftungsverzichts in aller Regel ausschließt19. Das auf 5.000 EUR begrenzte Haftungsrisiko des Beklagten ändert daran nichts20. Zum anderen würde sich auch eine stillschweigend vereinbarte Haftungsbeschränkung jedenfalls nicht auf das grobe Fehlverhalten des Beklagten erstrecken. Denn auf eine so weitgehende Vereinbarung hätte sich der Kläger billigerweise nicht einlassen müssen.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 23. Februar 2012 – 9 U 97/11

  1. grundlegend BGH, NJW 1963, 655, 656 ff.[]
  2. BGH, a.a.O. 657; vgl. auch NJW 1986, 1865, 1866; NJW-RR 1995, 857, 858; 2006, 672, 674; VersR 2006, 416[]
  3. vgl. nur BGH, NJW 1975, 109 ff.; 2003, 2018, 2019 f.; 2008, 1591, 1592; 2010, 537, 538[]
  4. vgl. BGH, NJW 2003, 2018, 2020; 2008, 1591, 1592; NJW-RR 2009, 812; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 408; OLG Saarbrücken, VersR 1992, 248[]
  5. OLG Zweibrücken, VersR 1994, 1366; OLG Stuttgart, NJW-RR 2007, 1251; OLG Brandenburg, NJW-RR 2008, 340[]
  6. OLG Celle, VersR 1980, 874 ff.[]
  7. so OLG Hamm, NZV 1997, 515; LG Duisburg, NJW-RR 2005, 105, 106; zustimmend etwa König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 29 StVO Rdn. 7 und Wessel, VersR 2011, 569, 576[]
  8. ablehnend etwa MünchKomm-BGB/Wagner, 5. Aufl., § 823 Rdn. 553 sowie – für verbotene Gefährdungen im Allgemeinen – OLG Hamm, NJW 1997, 949, 950 und OLG Köln, NJW-RR 1993, 1498, 1499[]
  9. vgl. OLG Hamm, NZV 1997, 515 und LG Duisburg, NJW-RR 2005, 105, 106, aber auch OLG Zweibrücken, OLG Stuttgart, OLG Brandenburg und OLG Celle, jeweils a.a.O.[]
  10. vgl. vor allem BGH, NJW-RR 1995, 857, 858; 2006, 672, 674 und – für Autorennen – NJW 2003, 2018, 2019[]
  11. BGH, NJW 2008, 1591, 1592 f.[]
  12. BGH, NJW 2010, 537, 538[]
  13. ebenso Wessel, VersR 2011, 569, 576; vgl. auch die Empfehlungen des 49. Deutschen Verkehrsgerichtstags zu stillschweigenden Haftungsbeschränkungen, zitiert bei Born, NZV 2011, 120, 122[]
  14. zu diesem BGH, NJW 2008, 1591, 1592[]
  15. vgl. nur BGH, NJW 2003, 2018, 2019 und OLG Hamm, NJW 1997, 949, 950[]
  16. vgl. nur BGH, NJW-RR 2009, 812, 813[]
  17. dazu OLG Düsseldorf, DAR 2000, 566 f.[]
  18. vgl. nur BGH, NJW 2009, 1482, 1483[]
  19. vgl. nur BGH, a.a.O.[]
  20. vgl. die Empfehlungen des 49. Deutschen Verkehrsgerichtstags, a.a.O.[]