Bei der Prüfung eines Mitverschuldens gemäß § 254 Abs. 1 BGB darf ein Verschulden, das nur gesetzlich vermutet wird, nicht berücksichtigt werden (hier: § 832 BGB).
 
Entgegen der Ansicht der Revision muss die Klägerin sich auf den Schadensersatzanspruch nicht gemäß § 254 Abs. 1 BGB eine eigene Aufsichtspflichtverletzung oder eine solche ihres Ehemanns als Mitverschulden anrechnen lassen.
So hat es der Bundesgerichshof in einer akutellen Entscheidung abgelehnt, die Anrechnung einer Aufsichtspflichtverletzung als Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB auf die Verschuldensvermutung des § 832 BGB zu stützen.
Zwar soll eine Verschuldensvermutung nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung auch im Rahmen des § 254 BGB Anwendung finden. Bei den so genannten Verschuldensvermutungen handele es sich um bloße Beweislastregeln und es sei nicht einsichtig, dem Kläger die betreffenden Beweiserleichterungen zwar im Rahmen der Haftungsbegründung zu gewähren, bei der Verteilung des Schadens im Rahmen des § 254 BGB aber zu versagen1. Sinn und Zweck der Verschuldensvermutungen liege darin, dem Begünstigten über etwaige nicht in seine Zuständigkeit fallende Beweisschwierigkeiten hinwegzuhelfen2. Es vermöge nicht zu überzeugen, dass im Rahmen des § 254 BGB eine andere Beweislastregelung gelten solle als bei der Haftungsbegründung3. Ob eine Sphäre einer der Parteien zuzuweisen sei, hänge nicht von deren „Rolle“ als Schädiger oder Geschädigter ab4. Der Richter habe bei der Abwägung die höchste nicht ausgeschlossene Verschuldensintensität zu berücksichtigen5.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können bei der Schadensabwägung nach § 254 BGB indes nur solche Umstände verwertet werden, von denen feststeht, dass sie eingetreten und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sind. Ein Verschulden, das nur gesetzlich vermutet wird, darf daher nicht berücksichtigt werden6. Wird ein Verschulden nur vermutet, so fehlt jeder Anhalt für das Maß dieses Verschuldens, das von der leichtesten Fahrlässigkeit bis zur gröbsten Sorgfaltspflichtverletzung reichen kann. Nur wenn das Maß der Verantwortlichkeit beider Teile feststeht, ist eine sachgemäße Abwägung möglich. Wollte man sie auf Unterstellungen und Vermutungen gründen, so würde man in unzulässiger Weise Gewisses mit Unbekanntem vergleichen und zu keinem gerechten Ergebnis gelangen7.
Nach dieser Rechtsprechung sind Verschuldensvermutungen nur für den Haftungsgrund relevant. Daran wird festgehalten. Auf die Frage, ob die Verschuldensvermutung des § 832 BGB bei einer Schädigung des Aufsichtspflichtigen durch den Aufsichtsbedürftigen überhaupt Anwendung findet, kommt es nicht an. Ein Mitverschulden des Aufsichtspflichtigen gemäß § 254 Abs. 1 BGB kommt – wie vom Berufungsgericht angenommen – nur in Betracht, wenn eine Aufsichtspflichtverletzung feststeht und der Aufsichtspflichtige aus tatsächlichem Verschulden haftet, ohne dass eine entsprechende Anwendung des § 840 Abs. 2 BGB erforderlich ist.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. März 2012 – VI ZR 3/11
- vgl. Belling/Riesenhuber, ZZP 108 (1995), 455, 465 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., § 10 XII 3; Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 584 f.; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb.2005, § 254 Rn. 122; Staudinger/Belling, BGB, Neubearb.2008, § 831 Rn. 40[↩]
- Looschelders, aaO[↩]
- Staudinger/Schiemann, aaO[↩]
- vgl. Lange/Schiemann, aaO[↩]
- vgl. Belling/Riesenhuber, aaO; Looschelders, aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 16.10.1956 – VI ZR 162/55, NJW 1957, 99 f.; vom 08.01.1963 – VI ZR 35/62, VersR 1963, 285, 286; vom 23.11.1965 – VI ZR 158/64, VersR 1966, 164, 165; vom 10.01.1995 – VI ZR 247/94, VersR 1995, 357; vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05, VersR 2007, 263 Rn. 15; ebenso Erman/Ebert, BGB, 13. Aufl., § 254 Rn. 84; MünchKomm-BGB/Oetker, 5. Aufl., § 254 Rn. 110; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., § 254 Rn. 112; Unberath in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 254 Rn. 53[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.10.1956 – VI ZR 162/55, aaO, 100[↩]











