Prozesskostenhilfe ist auch dann zu gewähren, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt.

Maßstab für die verfassungsrechtliche Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen über Prozess- beziehungsweise Verfahrenskostenhilfeanträge ist Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art.20 Abs. 3 GG, die eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebieten. Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint, wie dies § 114 ZPO (vorliegend in Verbindung mit § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG) vorsieht. Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann dann eingreifen, wenn die angegriffene Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit beruht und die Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht in einer den Unbemittelten benachteiligenden Weise überspannt werden [1]. Das Gebot einer Gleichstellung Unbemittelter wird dann verfehlt, wenn die Prüfung der Erfolgsaussichten dazu führt, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des (Bemittelten ohne Weiteres offenstehenden) Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Hauptsacheverfahren eröffnet nämlich den Beteiligten ungleich bessere Möglichkeiten, ihren Rechtsstandpunkt zu entwickeln, darzustellen und in Auseinandersetzung mit der Gegenseite und den Gerichten zu vertiefen, und so das Gericht zu veranlassen, seine ursprüngliche Rechtsmeinung zu überdenken. Prozesskostenhilfe ist daher auch dann zu gewähren, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt [2].
Daran gemessen hat das Amtsgericht in dem hier entschiedenen Fall die Anforderungen an die Erfolgsaussichten des Antrags des Beschwerdeführers überspannt und damit die Bedeutung des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit verkannt, indem es der Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag Rechtsansichten zugrunde gelegt hat, die nicht als im vom Gericht vertretenen Sinne geklärt angesehen werden können.
Das gilt sowohl für den Fall, dass das Amtsgericht – was nicht ganz zweifelsfrei zu erkennen ist – davon ausgegangen sein sollte, die vom Beschwerdeführer beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sein unterhaltsrechtlicher Bedarf aufgrund der an ihn gezahlten Berufsausbildungsbeihilfe gedeckt sei, jedenfalls soweit es das Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffe.
Diese Auffassung ist zwar einfachrechtlich nicht schlechterdings unvertretbar. Die Rechtslage ist jedoch nicht in diesem Sinne geklärt. Ob eine an einen Unterhaltsberechtigten gezahlte Sozialleistung zu einer Minderung oder Aufhebung der unterhaltsrechtlichen Bedürftigkeit führt, wird vor allem von Charakter und Funktion der jeweiligen Leistung abhängig gemacht. Als subsidiär, also als gegenüber der gesetzlichen Unterhaltspflicht nachrangig und damit nicht im unterhaltsrechtlichen Sinne bedarfsdeckend, gilt eine Sozialleistung dann, wenn der Unterhaltsanspruch von Gesetzes wegen oder im Wege der Überleitung auf den Sozialleistungsträger übergeht [3]. Für die dem Beschwerdeführer nach dem SGB III gezahlte Berufsausbildungsbeihilfe liegt es danach nahe, mit der bisher ergangenen Rechtsprechung zu differenzieren: Wird die Berufsausbildungsbeihilfe als Vorauszahlung geleistet, dürfte es sich um eine nicht bedarfsdeckende subsidiäre Sozialleistung handeln, da gemäß § 68 Abs. 2 SGB III ein Anspruch der oder des Auszubildenden auf Unterhaltsleistungen gegen die Eltern bis zur Höhe des anzurechnenden Unterhaltsanspruchs mit der Zahlung der Berufsausbildungsbeihilfe auf die Agentur für Arbeit übergeht; nur im Falle einer endgültigen Bewilligung dürfte die Berufsausbildungsbeihilfe als bedarfsdeckendes Einkommen der oder des Auszubildenden anzurechnen sein [4].
Das Gericht hat die Anforderungen an die Erfolgsaussichten des Antrags des Beschwerdeführers aber auch dann objektiv überspannt und damit die Bedeutung des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit verkannt, wenn es davon ausgegangen sein sollte, die an den Beschwerdeführer gezahlte Berufsausbildungsbeihilfe habe das rechtliche Bedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung entfallen lassen. Auch insoweit kann die Rechtslage nicht als im vom Gericht zugrunde gelegten Sinne geklärt angesehen werden.
Vielmehr ist nach der Spezialregelung des § 246 Abs. 1 FamFG, wonach das Gericht die Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt durch einstweilige Anordnung abweichend von § 49 FamFG regeln kann, ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden in Unterhaltssachen nicht erforderlich. Sinn und Zweck dieser Ausnahmevorschrift ist die Annahme, dass einem Anspruch auf laufenden Unterhalt die Eilbedürftigkeit immanent ist, da dieser der Deckung des laufenden Lebensunterhalts dient [5]. Zudem sollte die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens – anders als noch vor dem Inkrafttreten des FamFG – grundsätzlich entbehrlich werden. Der Gesetzgeber wollte eine vereinfachte Erledigung von Unterhaltsverfahren erreichen und die Gerichte entlasten [6]. Nach der Intention des Gesetzgebers sollten die Rechte des Unterhaltsschuldners (allein) dadurch gesichert werden, dass er nach § 52 FamFG die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens erzwingen und gemäß § 54 FamFG die Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung des Eilverfahrens beantragen kann [7]. Der nicht erfüllte Unterhaltsanspruch des Gläubigers reicht daher als Anordnungsgrund aus [8]. Dass gleichwohl das rechtliche Bedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung entfiele, wenn der Unterhaltsberechtigte Sozialleistungen bezieht, liegt nicht nahe und kann jedenfalls nicht als geklärt gelten.
Zwar entspricht es allgemeiner Auffassung, dass jede einstweilige Anordnung auf Unterhalt neben dem Bestehen eines Unterhaltsanspruchs auch ein besonderes Regelungs- beziehungsweise Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt. Dieses fehlt nach der bisher im Schrifttum vertretenen Auffassung jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen und ist immer dann schon gegeben, wenn – wie auch vorliegend – zwischen den Beteiligten des Unterhaltsverhältnisses Streit über die Höhe des Unterhalts besteht und der Unterhaltspflichtige dem Unterhaltsverlangen nicht nachkommt [9]. Die Rechtslage kann darum gerade nicht in dem Sinne als geklärt angesehen werden, dass das Rechtsschutzbedürfnis für die einstweilige Anordnung von Unterhalt durch den Bezug von Sozialleistungen entfiele.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. September 2015 – 1 BvR 1125/14
- vgl. BVerfGE 81, 347, 356 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.02.2004 – 1 BvR 1715/02 23 f.[↩]
- vgl. Born, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl.2012, § 1602 Rn. 27[↩]
- vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 24.11.1987 – 8 UF 106/87, SchlHA 1988, S. 53; OLG Oldenburg, Urteil vom 30.06.1988 – 14 UF 195/87, BeckRS 2010, 26302; jeweils zu der vergleichbaren Vorgängervorschrift des § 40 AFG[↩]
- vgl. Pasche, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Aufl.2013, § 246 Rn. 5[↩]
- vgl. Pasche, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Aufl.2013, § 246 Rn. 2[↩]
- vgl. Pasche, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Aufl.2013, § 246 Rn. 5; BT-Drs. 16/6308, S. 260[↩]
- allgemeine Auffassung; vgl. Schmitz, in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl.2011, Rn. 403; Pasche, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Aufl.2013, § 246 Rn. 5; Giers, in: Keidel, FamFG, 18. Aufl.2014, § 246 Rn. 4[↩]
- vgl. Schmitz, in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl.2011, Rn. 403; Giers, in: Keidel, FamFG, 18. Aufl.2014, § 246 Rn. 4; Borth/Grandel, in: Musielak/Borth, FamFG, 4. Aufl.2013, § 246 Rn. 8[↩]