Erreicht das gemäß Art. 14 EuZVO durch Einschreiben mit Rückschein zur Zustellung aufgegebene verfahrenseinleitende Schriftstück i. S. d. § 34 Nr. 2 EuGVO den Empfänger tatsächlich nicht, sondern wird das Schriftstück nach Hinterlegung auf dem Postamt und Nichtabholung durch den Adressaten an das versendende Gericht zurückgesandt, so könnte der Adressat höchstens dann behandelt werden, als hätte er das Schriftstück erhalten, wenn eine treuwidrige Zugangsvereitelung vorliegen würde.

Beschränkt sich das Verhalten des Adressaten auf die schlichte Nichtabholung der auf dem Postamt hinterlegten Sendung, könnte darin höchstens dann eine treuwidrige Zugangsvereitelung liegen, wenn dem Adressaten erstens eine Benachrichtigung über die Hinterlegung des Schriftstücks auf dem Postamt zugegangen wäre und wenn zweitens die Benachrichtigung einen Art. 14 Abs. 1 Buchst. d) EuVTVO entsprechenden Hinweis auf den Inhalt der bei der Post lagernden Sendung enthalten hätte.
Im Verfahren über die Anerkennung einer Entscheidung würde die Beweislast für den Zugang einer solchen Benachrichtigung den Antragsteller treffen. Hat der Antragsgegner des Verfahrens über die Anerkennung einer Entscheidung bereits im Urteilsstaat versucht, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung mit der Begründung zu beseitigen, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, so entfaltet die Entscheidung des Gerichts des Urteilsstaates im Verfahren über die Anerkennung der Entscheidung in einem Zweitstaat keine Bindungswirkung.
In einem jetzt vom Oberlandesgericht Stuttgart entschiedenen Fall der Vollstreckbarerklärung eines italienischen Urteils hatte der Antragsgegner unstreitig das – nach Art. 14 der hier anwendbaren EuZVO zunächst ordnungsgemäß zur Zustellung aufgegebene – verfahrenseinleitende Schriftstück nicht erhalten. Dieses ist vielmehr – ohne dass der Antragsgegner Kenntnis von seinem Inhalt genommen hätte – nach Italien zurückgelangt. Der Antragsgenger hat damit vom Verfahren nicht so rechtzeitig und in einer Weise Kenntnis erlangt, dass er sich verteidigen konnte.
Da nicht vorgetragen oder sonst erkennbar ist, dass der Antragsgegner die Einlegung eines möglichen Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung versäumt hätte, ist damit eine Anerkennung der Entscheidung gemäß Art. 34 Nr. 2 EuGVO ausgeschlossen, es sei denn, es läge ein Fall vor, in dem sich der Ag. ausnahmsweise so behandeln lassen müsste, als hätte er das Schriftstück erhalten. Davon ist jedoch nicht auszugehen.
Insoweit liegt zunächst kein Fall der eigentlichen Annahmeverweigerung vor, die es – etwa entsprechend § 179 ZPO – angebracht erscheinen lassen könnte, den Antragsgegner zu behandeln, als habe er das Schriftstück erhalten. Vielmehr ist dem Antragsgegner – höchstens, da er den Zugang einer solchen Benachrichtigung insgesamt bestreitet – vorzuwerfen, dass er auf eine in seinen Briefkasten eingelegte Benachrichtigung über ein bei der Post zur Abholung bereitliegendes Schreiben nicht reagiert hat.
Es ist umstritten, ob dieser Fall dem der Annahmeverweigerung gleichzustellen ist:
Während teils angenommen wird, bei der Zustellung per Einschreiben mit Rückschein sei stets die Aushändigung der Sendung und deren Bestätigung durch Ausfüllung des Rückscheins bzw. einer vergleichbaren Bestätigung über die Aushändigung erforderlich1, gehen andere davon aus, es sei für die Wirksamkeit der Zustellung unerheblich, wenn die Annahme verweigert oder die Sendung trotz Benachrichtigung nicht abgeholt wird2.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart kann die Nichtabholung eines bei der Post hinterlegten Schriftstücks höchstens dann zu Lasten des Adressaten wirken, wenn erstens feststeht, dass eine Benachrichtigung überhaupt hinterlassen wurde und wenn zweitens feststeht, dass die hinterlassene Benachrichtigung auf den Inhalt der hinterlegten Sendung hingewiesen hat. Da vorliegend jedenfalls letzteres nicht der Fall ist, kann offen bleiben, ob die Nichtabholung einer Benachrichtigung überhaupt zu Lasten des Adressaten gehen könnte.
Zunächst ist kein Grund ersichtlich, warum derjenige Adressat eines gerichtlichen Schriftstücks, den dieses nicht erreicht hat und dem auch keine Benachrichtigung über die Hinterlegung eines solchen Schriftstücks zugegangen ist, behandelt werden sollte, als wäre ihm das Schriftstück zugegangen; es erscheint vielmehr als selbstverständliche Voraussetzung für eine derartige Fiktion, dass der Adressat (zumindest) darüber informiert war, dass ein Schriftstück zur Abholung bereit lag. Fraglich kann daher allein sein, wen die Beweislast trifft, wenn wie vorliegend streitig ist, ob eine Benachrichtigung zugegangen ist.
Dazu ist zu bedenken, dass die EuZVO für das gerichtliche Schriftstück selbst gerade die Dokumentation des Empfangs durch Rückschein fordert. Es erschiene als systematischer Bruch, sollte demgegenüber der Empfänger auf der Vorstufe hierzu als negative Tatsache beweisen müssen, dass er keine Benachrichtigung über die Hinterlegung einer Sendung erhalten hat. Wenn der europäische Gesetzgeber die Vermutung ordnungsgemäßen Ablaufs des Zustellungsvorgangs für den Zugang des zu übersendenden Schriftstücks selbst nicht als tragfähig erachtet – und daher einen dokumentierten Beleg über die körperliche Übergabe des Schriftstücks verlangt -, ist nicht erkennbar, warum eine solche Vermutung für den Zugang einer Benachrichtigung über die Hinterlegung bei der Post gelten sollte, obwohl die Folgen für den Prozess(verlust) in beiden Fällen dieselben wären.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart muss daher im Rahmen des Art. 34 Nr. 2 EuGVO der Absender, der sich auf die Nichtabholung einer hinterlegten Sendung trotz Benachrichtigung beruft, den Zugang der Benachrichtigung beweisen.
Vorliegend bestreitet der Antragsgegner den Zugang einer Benachrichtigung und der Antragsteller kann ihre gegenteilige Behauptung allein durch Vorlage des – vielleicht – als „ben“ zu lesenden Vermerks auf dem Briefumschlag und den Vermerk „nicht abgeholt“ belegen. Ob das ohne weitere Anhaltspunkte, etwa entsprechende Angaben des betreffenden Zustellers, zum Beweis einer Benachrichtigung genügen könnte, erscheint zweifelhaft.
Die Frage kann jedoch offenbleiben, so das OLG Stuttgart, weil jedenfalls nicht nachgewiesen ist, dass die Benachrichtigung die erforderliche Qualifikation gehabt hätte.
Anknüpfungspunkt, den Adressaten einer nicht zugegangenen Sendung zu behandeln, als sei ihm die Sendung zugegangen, kann allein die Erwägung sein, dass der Adressat den Zugang treuwidrig verhindert hat; dementsprechend sanktioniert im nationalen Recht § 179 ZPO die unberechtigte Annahmeverweigerung als einen Fall der dolosen Zugangsvereitelung3.
Die schlichte Nichtabholung bei der Post zur Abholung bereitliegender Sendungen stellt jedoch noch keine treuwidrige Zugangsvereitelung dar. Die darin zunächst nur liegende Nachlässigkeit erscheint vielmehr erst bei Hinzutreten weiterer Umstände treuwidrig, etwa dann, wenn aufgrund bestehender Beziehungen mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen zu rechnen ist4. Für derartige Umstände ist hier jedoch nichts vorgetragen oder sonst erkennbar. Allein die vom Antragsteller behauptete Lieferung von Waren im Jahr 2007 genügt insoweit jedenfalls nicht, nachdem keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Antragsgegner hieraus konkret im fraglichen Zeitraum mit der Zustellung gerichtlicher Schriftstücke hätte rechnen müssen.
Liegen sonstige Umstände nicht vor, wäre der Vorwurf treuwidriger Zugangsvereitelung damit nur diskutabel, wenn die im Briefkasten hinterlassene Benachrichtigung einen Hinweis auf den Inhalt der bei der Post lagernden Sendung enthalten hätte. Das ist vom Bundesgerichtshof für den Zugang von Vertragserklärungen entschieden5 und insbesondere beruht Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO) auf dieser Erwägung. Dieser sieht die Zustellung ohne tatsächlichen Zugang des Schriftstücks ausdrücklich vor (was im Übrigen ein Indiz sein könnte, dass diese Möglichkeit nach der EuZVO gerade überhaupt nicht besteht, lässt jedoch nach Absatz 1 lit. d) die Hinterlegung eines zuzustellenden Schriftstücks beim Postamt unter Hinterlassung einer Benachrichtigung (nur) dann zur Zustellung genügen, wenn in der Benachrichtigung das Schriftstück eindeutig als gerichtliches Schriftstück bezeichnet oder darauf hingewiesen wird, dass die Zustellung durch die Benachrichtigung als erfolgt gilt und damit Fristen zu laufen beginnen; diese Form der Zustellung ist gemäß Art. 14 Abs. 3 lit a) EuVTVO durch die Zustellungsperson zu bescheinigen.
Auch die Systematik und das Gebot widerspruchsfreier Auslegung der verschiedenen europäischen Rechtsakte auf dem Gebiet der Zustellung gerichtlicher Schriftstücke werden damit ein starkes Argument dafür, dass eine Benachrichtigung mit anschließender Nichtabholung auch im Rahmen des Art. 14 EuZVO – soll sie die persönliche Übergabe unter Unterzeichnung eines Rückscheins überhaupt ersetzen können – jedenfalls nur dann ausreichen kann, wenn sie in der in Art. 14 EuVTVO beschriebenen Weise qualifiziert ist.
Es ist jedoch bereits nicht vorgetragen, dass im vorliegenden Fall – in Abweichung vom üblichen Verfahren der Post – eine diesen Anforderungen genügende qualifizierte Benachrichtigung hinterlassen worden wäre. Dies erscheint überdies ausgeschlossen, da die erforderlichen Informationen dem Äußeren des zuzustellenden Schriftstücks nicht zu entnehmen sind und deshalb dem Zustelldienst nicht bekannt gewesen sein können.
Liegen bereits die jedenfalls zu fordernden Mindestanforderungen an eine Benachrichtigung nicht vor, kann offenbleiben, ob eine diesen Anforderungen genügende Benachrichtigung im Rahmen des Art. 14 EuZVO – der diese Möglichkeit im Gegensatz zu Art. 14 EuVTVO immerhin gerade nicht nennt – überhaupt genügen kann, zu Lasten des Adressaten den Zugang eines Schriftstücks zu fingieren, das er nie erhalten hat und auf dessen Grundlage er u. U. endgültig und ohne weitere Rechtsbehelfe den Prozess verliert oder ob nicht – mit Schlosser6 – verlangt werden muss, dass der Empfänger entsprechend den Vorgaben über eine Zustellung im Wege des Einschreibens mit Rückschein das Schriftstück tatsächlich erhält und dies quittiert.
Der Verweigerung der Anerkennung steht nicht entgegen, dass das Landesgericht Bozen im Verfahren über die Aussetzung der Vollstreckbarkeit der Auffassung war, die Zustellung sei ordnungsgemäß erfolgt. Dessen Entscheidung bindet das erkennende Gericht nicht.
Bei dem in Italien geführten Verfahren über die Aussetzung der Vollstreckbarkeit und dem hiesigen handelt es sich um verschiedene Verfahren, bei denen eine Entscheidung im einen Verfahren keine Bindungswirkung für das jeweils andere entfaltet. Während das italienische Gericht die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der ergangenen Entscheidung nach nationalem italienischem Recht – gegebenenfalls unter Heranziehung unmittelbar geltender europäischer Rechtsakte – zu prüfen hatte, besteht die vorliegend ausgeübte Prüfungskompetenz der Gerichte des Vollstreckungsstaates nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO ausdrücklich neben jener; die Argumentation der Antragstellers, wonach die Entscheidung des Gerichts im Ausgangsverfahren die Gerichte des Vollstreckungsstaates binde, liefe auf einen vollständigen Leerlauf des Art. 34 Nr. 2 EuGVO hinaus, da stets – ausdrücklich oder inzident – die Gerichte im Ausgangsverfahren zu prüfen haben, ob die Zustellung (ordnungsgemäß) erfolgt ist.
Insoweit liegen die Dinge auch in einem entscheidenden Punkt anders als in der vom Oberlandesgericht Stuttgart entschiedenen Konstellation des Art. 46 EuGVO im Beschluss vom 26. Februar 20107: Dort war das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass eine vorläufige Entscheidung gerade des ausländischen Berufungsgerichts – das später endgültig über die Begründetheit der Berufung zu entscheiden hat – über die Aussetzung der Vollstreckbarkeit während des laufenden Berufungsverfahrens (keine rechtliche Bindungs-, jedoch) Indizwirkung für die im Rahmen des Art. 46 EuGVO durch die Gerichte des Vollstreckungsstaates gleichfalls zu treffende Prognose über die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens im Erststaat habe. Darum geht es hier nicht.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 31. März 2010 – 5 W 62/09
- so namentlich Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 14 EuZVO Rn. 5[↩]
- Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., Art. 14 EuZVO Rn. 3 unter Berufung auf LG Trier, NJW-RR 2003, 287 = IPRax 2004, 249; offenlassend Heidrich, EuZW 2005, 743[↩]
- vgl. nur MünchKommZPO/Häublein, 3. Aufl., § 179 Rn. 1 mit § 178 Rn. 11[↩]
- vgl. BGH NJW 1998, 976 m. zahlreichen Nachweisen zur Rspr.[↩]
- vgl. wiederum BGH NJW 1998, 976[↩]
- a. a. O.[↩]
- OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.2.2010 – 5 W 68/09[↩]