Sicherungsverwahrung – und der erstmals erlebte längere Strafvollzug

Die Wirkungen eines erstmals erlebten längeren Strafvollzugs und von in diesem Rahmen (möglicherweise) wahrgenommenen Therapieangeboten können zwar im Einzelfall wesentliche gegen die Anordnung der Maßregel sprechende Gesichtspunkte darstellen1. Ein Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 (und Abs. 3) StGB eingeräumten Ermessens aber nur dann in Betracht, wenn bereits zum Zeitpunkt des Urteilserlasses die Erwartung begründet ist, der Täter werde hierdurch eine Haltungsänderung erfahren, so dass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann2.

Sicherungsverwahrung – und der erstmals erlebte längere Strafvollzug

Im Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug können indes nicht genügen3. Solche möglichen Veränderungen sind, sofern sie eingetreten sind, erst im Rahmen der obligatorischen Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu berücksichtigen.

Es gibt keine gesicherte Vermutung dahingehend, dass eine langjährige, erstmalige Strafverbüßung stets zu einer Verhaltensänderung führen wird4.

Es ist daher stets zu prüfen, , ob zumindest konkrete Anhaltspunkte für einen Behandlungserfolg vorliegen5.

Der Umtand, dass der Angeklagte nach Auffassung der Strafkammer „den ersten Schritt“ gemacht habe, ist nicht geeignet, die in ständiger Rechtsprechung verlangte gesicherte Erwartung zu begründen, die unter Ermessensgesichtspunkten ein Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnte6.

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Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Bundesgerichtshof nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte7.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 4 StR 275/15

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 09.12 2010 – 5 StR 421/10, StV 2011, 276[]
  2. BGH, Urteil vom 28.03.2012 – 2 StR 592/11, NStZ-RR 2012, 272 [Ls.]; Beschlüsse vom 16.12 2014 – 1 StR 515/14, NStZ-RR 2015, 73; und vom 11.08.2011 – 3 StR 221/11[]
  3. vgl. BGH, Urteile vom 15.10.2014 – 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511; vom 28.05.1998 – 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; und vom 22.01.1998 – 4 StR 527/97, NStZ-RR 1998, 206[]
  4. BGH, Beschluss vom 04.08.2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 272[]
  5. vgl. BGH, Urteile vom 03.02.2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; und vom 19.07.2005 – 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337, 338; Beschlüsse vom 16.12 2014 – 1 StR 515/14, NStZ-RR 2015, 73; und vom 28.03.2012 – 2 StR 592/11, NStZ-RR 2012, 272 [Ls.][]
  6. vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 15.10.2014 – 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511[]
  7. vgl. auch BGH, Urteil vom 11.07.2013 – 3 StR 148/13 mwN, insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt[]
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