Frühere strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei der Anspruchseinbürgerung

Dem Vor­hal­te- und Ver­wer­tungs­ver­bot des § 51 Abs. 1 BZRG un­ter­fal­len grund­sätz­lich auch frü­he­re Ver­fol­gungs- und Un­ter­stüt­zungs­hand­lun­gen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG. § 51 Abs. 1 BZRG ist auf Taten, die nicht zu einer straf­recht­li­chen Ver­ur­tei­lung ge­führt haben, nicht an­zu­wen­den.

Frühere strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei der Anspruchseinbürgerung

Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG ist die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, sich von der früheren Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt zu haben.

Der Begriff „Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind“, im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 StAG ist § 4 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes1 entlehnt. Danach sind solche Bestrebungen politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen2. Bestrebungen, die im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 StAG durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sind solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, Gewalt als Mittel der Durchsetzung seiner politischen Belange einzusetzen. Es werden nicht nur gewaltanwendende oder vorbereitende Bestrebungen gegen Personen oder Sachen im Bundesgebiet oder außerhalb des Bundesgebietes gegen Deutsche oder deutsche Einrichtungen erfasst, sondern auch die Anwendung von Gewalt außerhalb des Bundesgebietes gegen Nichtdeutsche. Bei einer exilpolitischen Betätigung muss die Eignung hinzutreten, die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einem ausländischen Staat zu belasten oder zu beeinträchtigen.

Weiterlesen:
Die gemeinsame Antiterror-Verbunddatei von Polizei und Nachrichtendiensten - und das Data-mining

Unterstützen ist jede Handlung des Ausländers, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt. Dies muss für den Ausländer erkennbar sein. Er muss zudem zum Vorteil der genannten Bestrebung handeln wollen3.

Der Ausschlussgrund der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 StAG führt zu einer Vorverlagerung des Sicherheitsschutzes4. Es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht einer solchen Unterstützung. Eines Nachweises, dass es zu einer Unterstützung derartiger Bestrebungen gekommen ist, bedarf es nicht. Ebenso wenig ist erforderlich, dass das Verhalten des Ausländers tatsächlich Erfolg hatte oder für einen Erfolg ursächlich war. Das Verhalten, dessen der Ausländer verdächtig ist, muss für den Fall, dass sich der Verdacht bestätigt, ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG darstellen. Einzelne Unterstützungshandlungen hindern als tatsächliche Anhaltspunkte die Einbürgerung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zudem nur und erst dann, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren. Ob nach diesen Grundsätzen eine tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder Erklärungen zu beurteilen5.

Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG6 steht der Berücksichtigung der Passfälschungen im Rahmen des Ausschlussgrundes des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG im Ergebnis nicht entgegen. Allerdings ist das angefochtene Urteil mit § 51 Abs. 1 BZRG insoweit nicht vereinbar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), als frühere Verfolgungs- oder Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nach Auffassung des Berufungsgerichts bereits tatbestandlich nicht von dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfasst werden. Die Entscheidung beruht indes nicht auf diesem Rechtsverstoß. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit § 51 Abs. 1 BZRG selbstständig tragend ausgeführt, dass die Passfälschertätigkeit auch deshalb nicht von dem Verwertungsverbot erfasst werde, weil sie nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt habe.

Weiterlesen:
Vermittlung von privaten Sportwetten

Die Regelung über den Ausschluss der Einbürgerung in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hat keinen die Anwendbarkeit des Verwertungsverbotes des § 51 Abs. 1 BZRG ausschließenden Charakter. § 51 Abs. 1 BZRG bestimmt, dass die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist.

Der Wortlaut der Norm lässt eine generelle Ausklammerung vergangener Verfolgungs- und Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aus dem Anwendungsbereich des Verwertungsverbots nicht zu. Der zentrale Begriff des Rechtsverkehrs umfasst vielmehr sämtliche Bereiche des Rechtslebens unter Einschluss des Verwaltungs- und damit auch des Staatsangehörigkeitsrechts7.

Die Bestimmung kann nicht im Wege einer teleologischen Reduktion dahin eingeschränkt werden, dass die hier in Rede stehenden Handlungen nicht ihrem Anwendungsbereich unterfallen. Dies setzte voraus, dass eine solche Einschränkung nach den vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Regelungszielen geboten ist8. Dies ist hier nicht der Fall.

Die weite Fassung des Verwertungsverbotes spiegelt dessen Zweck wider, den Einbürgerungsbewerber von einem Strafmakel zu befreien und dadurch seine Resozialisierung zu begünstigen. Ziel der von dem Gedanken der Rehabilitation geprägten Regelung war die Schaffung eines umfassenden Verwertungsverbotes, das von allen staatlichen Stellen Beachtung verlangt und von dem nur abschließend aufgezählte Ausnahmen zulässig sein sollen9. Soweit der Gesetzgeber einzelne Bereiche des Rechts ausnehmen wollte, hat er dies abschließend in § 51 Abs. 2 und § 52 BZRG geregelt. Gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG nur berücksichtigt werden, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet. Insbesondere an dieser Ausnahme muss sich auch eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG messen lassen.

Weiterlesen:
Keine Einbürgerung für Salafisten

§ 51 Abs. 1 BZRG ist auf Taten, die nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt haben, weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

Einer unmittelbaren Anwendung des § 51 Abs. 1 BZRG steht entgegen, dass die Vorschrift tatbestandlich eine eingetragene Verurteilung voraussetzt. Nur strafgerichtliche Verurteilungen im Sinne des § 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 BZRG unterliegen gemäß § 45 Abs. 1 BZRG der Tilgung. Mit dem Verwertungsverbot soll der Verurteilte nach Tilgung bzw. Tilgungsreife von dem Makel der Verurteilung befreit und ihm die Resozialisierung erleichtert werden10. Daran fehlt es hinsichtlich der Passfälschertätigkeit.

Einer entsprechenden Anwendung widerstreitet, dass insoweit zwar eine Regelungslücke besteht, diese aber nicht planwidrig ist. Die Anordnung eines Verwertungsverbotes für Taten, die nicht in das Register einzutragen und aus diesem zu tilgen sind, ginge über den gemäß § 3 Nr. 1, § 4 BZRG auf strafrechtliche Verurteilungen beschränkten Rahmen des Gesetzes hinaus. Obgleich dem Gesetzgeber die Problematik seit Jahrzehnten bekannt ist, hat er keine Veranlassung gesehen, den Gedanken der Rehabilitation auch für Taten, die nicht durch eine Verurteilung strafrechtlich geahndet werden, normativ zu verankern. Dessen ungeachtet sind auch die Sachverhalte nicht vergleichbar. Das Bekanntwerden eines Gesetzesverstoßes, der nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung geahndet worden ist, ist nicht in gleicher Weise wie der aus einer Verurteilung herrührende Strafmakel geeignet, die soziale Stellung des Betroffenen zu gefährden11.

Weiterlesen:
Einbürgerung trotz Mehrehe

Das Gericht war auch nicht durch die Unschuldsvermutung gehindert, die Tätigkeit des Klägers als Passfälscher, hinsichtlich derer das Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, bei seiner Überzeugungsbildung zu berücksichtigen.

Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist durch Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts im Range eines Bundesgesetzes und schützt den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren vorausgegangen ist12. Sie schützt hingegen nicht vor Rechtsfolgen, die – wie die Ablehnung der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband – keinen Strafcharakter haben, sondern an ordnungsrechtlichen Zielsetzungen orientiert sind.

Da das Berufungsgericht das Unterstützen von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ohne Verletzung revisiblen Rechts selbstständig tragend auf die Fälschung von Passpapieren gestützt hat, können die Angriffe gegen die ebenfalls als Unterstützungshandlung gewürdigte Teilnahme des Klägers an der versuchten Erstürmung der Parteizentrale der SPD in Köln im Februar 1999 schon deshalb keinen Erfolg haben, weil das angegriffene Urteil nicht auf einem etwaigen Rechtsverstoß im Zusammenhang mit diesen Erwägungen beruhen kann. Denn eine Rechtsverletzung ist im Falle einer kumulativen Mehrfachbegründung nur kausal im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, wenn diese sämtliche Begründungsstränge erfasst oder wenn jeder der Begründungsstränge von einem individuellen Rechtsverstoß betroffen ist13.

Weiterlesen:
Verfassungsbeschwerde für öffentliche Petition an den Bundestag

Der Kläger hat auch nicht im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft gemacht, dass er sich von der früheren Unterstützung der in Rede stehenden Bestrebungen abgewandt hat. An das SichAbwenden im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG werden keine strengeren Beweisanforderungen als an den Ausschlussgrund selbst gestellt. Denn die Glaubhaftmachung bezeichnet ein herabgesetztes Beweismaß. Hinsichtlich der an die Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen sind Art, Gewicht, Dauer, Häufigkeit und Zeitpunkt des einbürgerungsschädlichen Verhaltens zu beachten. Die Anforderungen sind in der Regel umso höher, je stärker das Gewicht des einbürgerungsschädlichen Verhaltens ist und je näher dieses Verhalten zeitlich an die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag heranreicht. Es ist eine Gesamtschau der für und gegen eine Abwendung sprechenden Faktoren vorzunehmen. Allein der Umstand, dass die Unterstützungshandlungen schon mehrere Jahre zurückliegen, genügt nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und daher künftig eine Verfolgung oder Unterstützung von – wie hier – sicherheitsgefährdenden Bestrebungen durch ihn auszuschließen ist. Der Ausländer muss in jedem Fall einräumen oder zumindest nicht bestreiten, in der Vergangenheit eine Bestrebung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt zu haben. Er muss aber nicht seine in der Vergangenheit liegenden Handlungen bedauern, als falsch bzw. irrig verurteilen oder ihnen abschwören14.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. März 2012 – 5 C 1.11

  1. in der Fassung vom 20.12.1990, BGBl I S. 2954[]
  2. vgl. Berlit, in: GKStAR § 11 StAG Rn. 119, 121 und 131 f.[]
  3. stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 – 5 C 24.08, BVerwGE 135, 320 Rn. 16[]
  4. vgl. BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.[]
  5. BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 – 5 C 20.05, BVerwGE 128, 140 Rn.19 und Beschluss vom 27.01.2009 – 5 B 51.08[]
  6. in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.09.1984, BGBl I S. 1229, 1985 I S.195, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.2011, BGBl I S. 2714[]
  7. vgl. zum Ausländerrecht BVerwG, Urteil vom 05.04.1984 – 1 C 57.81, BVerwGE 69, 137, 143 = Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 6 S. 12 f.; ferner Götz/Tolzmann – Bundeszentralregistergesetz, 4. Aufl.2000, § 51 Rn. 21[]
  8. vgl. BVerwG, Urteil vom 09.02.2012 – 5 C 10.11[]
  9. Götz/Tolzmann a.a.O. § 51 Rn. 4[]
  10. BR-Drs. 676/69 S. 24 und BT-Drs. VI/1550 S. 21, jeweils zu § 49 BZRG a.F.[]
  11. BVerwG, Urteile vom 03.12.1973 – 1 D 62.73, BVerwGE 46, 205, 206 f. und vom 26.03.1996 – 1 C 12.95, BVerwGE 101, 24, 30 = Buchholz 402.5 WaffG Nr. 76 S. 30; vgl. ferner BGH, Urteil vom 06.12.1972 – 2 StR 499/72 – BGHSt 25, 64, 65 und Beschluss vom 08.03.2005 – 4 StR 569/04 – NStZ 2005, 397 f.[]
  12. BVerfG, Beschluss vom 29.05.1990 – 2 BvR 254/88 und 2 BvR 1343/88, BVerfGE 82, 106, 114 f.[]
  13. BVerwG, Urteil vom 21.09.2000 – 2 C 5.99, Buchholz 237.1 Art. 86 BayLBG Nr. 10 S. 12 f. m.w.N.[]
  14. vgl. Berlit a.a.O. Rn. 152 und 158; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl.2010, § 11 Rn. 17 ff. jeweils m.w.N.[]
Weiterlesen:
Beschränkung der Anspruchsgrundlagen für die Einbürgerung