Keine Wiedereinsetzung wegen vorzeitiger Geburt

Eine vorzeitige Geburt rechtfertigt nach einem Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für eine hierdurch versäumte Frist.

Keine Wiedereinsetzung wegen vorzeitiger Geburt

Hat der Betroffene die Frist zur Klage gegen eine zurückweisende Einspruchsentscheidung versäumt, so hängt die Möglichkeit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, davon ab, ob ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird. Bei Anwendung des § 56 FGO dürfen deshalb die Anforderungen daran nicht überspannt werden, was der Betroffene veranlasst haben oder vorbringen muss, um Wiedereinsetzung zu erhalten1. Krankheit entschuldigt die Fristversäumung nur, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwerwiegend ist, dass weder die Wahrung der Frist noch die Bestellung eines Vertreters möglich war2.

Die Klägerin war durch die vorzeitige Geburt nicht daran gehindert, gegen die Einspruchsentscheidung innerhalb der gesetzlichen Frist von vier Wochen Klage zu erheben. Denn sie war nicht durch eine plötzlich und unvorhersehbar aufgetretene schwerwiegende Erkrankung an der Fristwahrung gehindert. Bei normalem Verlauf ist die Geburt eines Kindes zwar keine Krankheit. Gleichwohl ist die werdende Mutter durch die Dauer der Geburt3 kurzfristig an der Wahrnehmung ihrer Pflichten gehindert. Anders verhält es sich nur dann, wenn es sich um eine Geburt mit Komplikationen bzw. durch diese verursachte schwere psychische Störungen der Mutter handelt. Das Vorliegen solcher Umstände hat die Klägerin auch bei ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung nicht dargetan. Bei einer normalen Geburt ist es der Entbundenen regelmäßig nach einem Tag möglich, Klage zu erheben oder jedenfalls eine Person hiermit zu beauftragen. Da die Klägerin am 8. August 2009 entbunden wurde, hätte sie ausreichend Zeit gehabt, dafür Sorge zu tragen, dass die Klage bis zum Ablauf des 13. August 2009 beim Finanzgericht eingereicht wird. Ob der Klägerin für die Woche nach der Geburt Bettruhe verordnet worden war, ist folglich unerheblich.

Weiterlesen:
Ablehnung eines nicht gestellten Leistungsantrags

Finanzagericht Baden-Württemberg Urteil vom 17.3.2010, 2 K 3539/09

  1. BVerfG, Beschlüsse vom 16.11.1972 – 2 BvR 21/72, BVerfGE 34, 154; und vom 11.07.1984 – 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208[]
  2. vgl. Gräber/Stapperfend, FGO, 6. Auflage 2006, § 56 Randziffer 20, Stichwort „Krankheit“, mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen; Tipke/Kruse, AO und FGO, § 110 AO Randziffer 35, mit Rechtsprechungsnachweisen[]
  3. vgl. hierzu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage 2007, Stichwort: Geburtsdauer[]