Die Ermessensentscheidung über eine selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB erfordert eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat das Landgericht Berlin I1 m selbständigen Einziehungsverfahren die Anträge der Staatsanwaltschaft abgelehnt, einen ursprünglich dem Einziehungsbeteiligten gehörenden Miteigentumsanteil an einer Gebäude- und Freifläche in Berlin einzuziehen und das Erlöschen der für diese Immobilie zugunsten des Nebenbetroffenen in das Grundbuch eingetragenen Eigentumsübertragungsvormerkung anzuordnen, hilfsweise die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 295.000 €. Hiergegen richtet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird. Das Rechtsmittel hatte vor dem Bundesgerichtshof Erfolg; dieser hob das landgerichtliche Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Jugendkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurück:
Das Landgericht hat von einer selbständigen erweiterten Einziehung gemäß § 76a Abs. 4 StGB in Ausübung des ihm durch diese Vorschrift eingeräumten Ermessens abgesehen. Zwar lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen vor. Insbesondere stehe fest, dass die Immobilie aus rechtswidrigen, nicht länger als 30 Jahre zurückliegenden Taten herrühre. Eine Einziehung komme für die Strafkammer aber aufgrund eines gutgläubigen Dritterwerbs der Immobilie durch den Nebenbetroffenen nicht in Betracht. Die zeitlich erst am 13.07.2018 und damit nach der Eigentumsübertragungsvormerkung (27.09.2017) in das Grundbuch eingetragene Beschlagnahme der Immobilie sei dem Nebenbetroffenen gegenüber unwirksam, weshalb er mit der Eintragung des Vollrechts am 23.02.2024 auch der Staatsanwaltschaft gegenüber Eigentum erworben habe. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Gutgläubigkeit sei der Übergang der faktischen Verfügungsgewalt über das Erlangte. Abzustellen sei für den Erwerb des Nebenbetroffenen vorliegend daher auf die Übergabe der Immobilie nebst Übertragung von Nutzen und Lasten an ihn nach Zahlung des Kaufpreises am 29.08.2017. Zu diesem Zeitpunkt sei der Nebenbetroffene gutgläubig gewesen.
Eine später eintretende Bösgläubigkeit sei aufgrund der Vormerkung unerheblich. Eine Anordnung des Erlöschens der Vormerkung komme nicht in Betracht.
Sie habe sich überholt, zudem verweise § 76a Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StGB gerade nicht auf § 75 Abs. 1 und 2 StGB, sondern nur auf § 75 Abs. 3 StGB. Der Hilfsantrag auf Einziehung von Wertersatz sei unbegründet, weil im selbständigen erweiterten Einziehungsverfahren keine Wertersatzeinziehung vorgesehen sei.
Für den Nebenbetroffenen war, obwohl er zwischenzeitlich als Eigentümer der verfahrensgegenständlichen Immobilie ins Grundbuch eingetragen wurde, keine Einziehungsbeteiligung gemäß § 435 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 424 Abs. 1 StPO anzuordnen. Maßgeblich für diese Verfahrensstellung ist allein die Betroffenheit durch die Sicherstellung des einzuziehenden Gegenstands, wobei diese auf dem Verdacht einer Katalogtat nach § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB beruhen muss, wegen der der Betroffene nicht verfolgt oder verurteilt werden kann. Dies trifft weiterhin allein auf den Einziehungsbeteiligten R. zu, nicht aber auf den Nebenbetroffenen K.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Zwar hat die Strafkammer die tatbestandlichen Voraussetzungen der selbständigen erweiterten Einziehung ohne Rechtsfehler bejaht. Zudem ist sie auf Rechtsfolgenseite zu Recht von einem Erwerb der verfahrensgegenständlichen Immobilie durch den Nebenbetroffenen ausgegangen und hat hierbei insbesondere die Wirkungen der für ihn eingetragenen Vormerkung zutreffend beurteilt. Ihre allein auf die Gutgläubigkeit des Nebenbetroffenen hinsichtlich des Herrührens der Wohnung aus Straftaten abstellende Ermessensentscheidung hat sie jedoch schon anhand eines zu engen Maßstabs vorgenommen. Vor allem aber beruhen die insoweit getroffenen Feststellungen auf einer lückenhaften Beweiswürdigung.
Die Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen der selbständigen erweiterten Einziehung durch die Strafkammer hält rechtlicher Überprüfung stand.
Dabei ist im Ergebnis unschädlich, dass sie sich bei ihrer Entscheidung offenbar an § 76a Abs. 4 StGB in seiner zum Urteilszeitpunkt geschaffenen Fassung orientiert hat. Zwar wäre die Norm gemäß Art. 316h Satz 1, 316k EGStGB in ihrer bis einschließlich 17.03.2021 geltenden Fassung anzuwenden gewesen, da die verfahrensgegenständliche Immobilie schon zuvor sichergestellt wurde2. Jedoch sind auch die danach maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen erfüllt. Aus diesen ergibt sich, dass zum Zeitpunkt der Sicherstellung der verfahrensgegenständlichen Immobilie gegen den Einziehungsbeteiligten ein Verdacht wegen einer Katalogtat nach § 76a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchst. f StGB – vorliegend einer Geldwäsche gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 4 Buchst. a StGB aF – bestand, die Immobilie gerade wegen dieses Verdachts sichergestellt wurde3 und aus zum Beschlagnahmezeitpunkt nicht länger als 30 Jahre zurückliegenden (§ 76b Abs. 1, § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB) rechtswidrigen Taten herrührte.
Auf der Rechtsfolgenseite hat die Strafkammer als Bezugspunkt ihrer Ermessensentscheidung zutreffend auf die Person des Nebenbetroffenen abgestellt. Die rechtliche Würdigung, wonach die verfahrensgegenständliche Immobilie wirksam an ihn veräußert wurde und er dank der vorrangig in das Grundbuch eingetragenen Vormerkung trotz der zwischenzeitlichen Beschlagnahme auch dem Staat gegenüber Eigentum daran erlangte, weist auf Basis der bisherigen Feststellungen keinen Rechtsfehler auf. Im Einzelnen:
Nicht zu beanstanden ist für den Bundesgerichtshof zunächst, dass die Strafkammer kein Scheingeschäft im Sinne des § 117 Abs. 1 BGB angenommen hat. Sie hat sich rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass der Eigentumsübergang auf den Nebenbetroffenen von den Vertragsparteien tatsächlich gewollt war und wirtschaftlich vollzogen wurde.
Anders als die Staatsanwaltschaft meint, steht dem Eigentumserwerb des Nebenbetroffenen auch die Beschlagnahme der gegenständlichen Immobilie im Ermittlungsverfahren gegen den Einziehungsbeteiligten nicht entgegen. Zwar hatte die gerichtliche Beschlagnahme des Einziehungsgegenstands vom 13.07.2018 die Wirkung eines relativen Veräußerungsverbots zugunsten des Staates (§ 111d Abs. 1 Satz 1 StPO iVm §§ 135, 136 BGB) und war deshalb an sich geeignet, die erst nach der Beschlagnahme vollendete Übertragung des Miteigentumsanteils an den Nebenbetroffenen zu vereiteln. Hiervor war der Nebenbetroffene jedoch durch die mehrere Monate vor der Beschlagnahme eingetragene Auflassungsvormerkung geschützt.
Dabei ist zunächst unerheblich, dass die mit der Beschlagnahme einhergehende Beschränkung der Verfügungsmacht des Einziehungsbeteiligten als Schuldner des Auflassungsanspruchs vom Wortlaut des § 883 Abs. 2 BGB nicht erfasst ist, weil es sich bei ihr nicht um eine Verfügung im Rechtssinne handelt.
Es ist anerkannt, dass nachträglich gegen den Schuldner verhängte Verfügungsbeschränkungen Verfügungen über das Grundstück gleichgestellt werden und deshalb, soweit sie der Verwirklichung des gesicherten Anspruchs entgegenstehen, im Verhältnis zu dem Vormerkungsberechtigten in entsprechender Anwendung von § 883 Abs. 2 BGB unwirksam sind4.
Dies gilt auch in Bezug auf eine Beschlagnahme nach der Strafprozessordnung. Weder aus dem Wortlaut des § 111d Abs. 1 StPO noch aus der systematischen Einbettung dieser Vorschrift oder dem Willen des Gesetzgebers5 lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass eine Beschlagnahme nach dieser Norm jenseits ihrer in § 111d Abs. 1 Satz 2 StPO ausdrücklich angeordneten Insolvenzfestigkeit eine weitergehende Wirkung gegenüber einer Vormerkung entfalten soll als sonstige gesetzliche oder gerichtliche Verfügungsverbote. Auch der Sinn und Zweck des § 883 Abs. 2 BGB, die Verwirklichung des Sachleistungsanspruchs zu gewährleisten, indem die Vormerkung dessen Erfüllbarkeit so erhält, wie sie zur Zeit ihrer Eintragung bestanden hat6, kann nur erfüllt werden, wenn die Vormerkung den Erwerber umfassend vor möglichen Erfüllungshindernissen schützt7.
Eine vom allgemeinen Grundsatz abweichende Wirkung folgt auch nicht aus dem Wesen der im Strafgesetzbuch geregelten Einziehungsentscheidung, die durch die Beschlagnahme gesichert werden soll. Denn die Vermögensabschöpfung ist auch in ihrer durch das Reformgesetz vom 13.04.20178 geschaffenen Gestalt keine dem Schuldgrundsatz unterliegende Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) eigener Art mit kondiktionsähnlichem und präventivordnendem Charakter, deren Ausgestaltung sich an den Normen des zivilen Bereicherungsrechts orientiert9. Mit den Regelungen des § 76a StGB wurden die Möglichkeiten einer selbständigen Anordnung der Einziehung unabhängig von der strafrechtlichen Verfolgung einer Person gegenüber dem früheren Recht sogar gezielt erweitert10. Gemessen an dieser allein vermögensordnenden Funktion11 ist kein Bedürfnis dafür erkennbar, der Beschlagnahme gemäß § 111b StPO in ihrer sachenrechtlichen Wirkung einen Vorrang innerhalb des zivilrechtlichen Regelungsgefüges zuzuerkennen.
Das Landgericht hat bei seiner Ermessensentscheidung jedoch einen zu engen Maßstab angelegt. Denn es hat allein darauf abgestellt, dass ein gutgläubiger entgeltlicher Dritterwerb durch den Nebenbetroffenen im Sinne des § 73b Abs. 1 Satz 2 StGB stattgefunden habe, da dieser weder erkannt noch grob fahrlässig verkannt habe, dass die für den Erwerb der Immobilie aufgewendeten Gelder aus Straftaten stammten. Damit fehlt es an der gebotenen umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung. Im Einzelnen:
Der Gesetzgeber hat § 76a Abs. 4 StGB als gebundene Ermessensvorschrift normiert und hierdurch deutlich gemacht, dass die Einziehung bei Vorliegen ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen im Regelfall anzuordnen ist. Die Ausgestaltung als „Soll“-Vorschrift dient gemäß den Materialien zur Einführung des § 76a Abs. 4 StGB durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung12 lediglich dazu, im Einzelfall unverhältnismäßige Einziehungsanordnungen zu vermeiden13. Denn der in einer Einziehung liegende Eingriff ist verfassungsrechtlich an Art. 14 Abs. 1 GG zu messen14. Davon berührt wird – wie vorliegend – nicht zwangsläufig das Eigentumsrecht des von der Sicherstellung Betroffenen im Sinne des § 76a Abs. 4 Satz 1 StGB. Vielmehr folgt aus § 76a Abs. 4 Satz 2 StGB, dass das Eigentum am Einziehungsgegenstand im Falle der Anordnung unabhängig von der Person des Eigentümers auf den Staat übergeht.
Das Landgericht hat dies im Grundsatz nicht verkannt, ist aber unter Berufung auf die weiteren Ausführungen der Gesetzesbegründung davon ausgegangen, dass die Vermögensabschöpfung in einem sogenannten „Erfüllungsfall“ stets ausgeschlossen sei, nämlich bei einem gutgläubigen Drittbegünstigten, wenn dieser den betreffenden Gegenstand in Erfüllung einer nicht bemakelten entgeltlichen Forderung erlangt hat, deren Entstehung und Inhalt in keinem Zusammenhang mit der Tat steht. Die hierzu in Unterscheidung von sogenannten „Verschiebungsfällen“ ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung habe der Gesetzgeber über die Vorschrift des § 73b Abs. 1 Satz 2 StGB umgesetzt. Wie in den dort normierten Fällen sei gutgläubiger Dritterwerber derjenige, dem der Gegenstand entgeltlich und mit rechtlichem Grund übertragen wurde, ohne dass er erkannt hat oder hätte erkennen müssen, dass das Erlangte aus einer rechtswidrigen Tat herrührt. Die dem „Erfüllungsfall“ zugrundeliegende Fallkonstellation stelle einen Ausnahmefall dar, in dem die selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB trotz ihrer Ausgestaltung als Sollvorschrift nicht angeordnet werden dürfe.
Damit hat das Landgericht jedoch einen Satz aus den Gesetzesmaterialien15 zu Unrecht in seiner Bedeutung verabsolutiert. Der Gesetzgeber hat die Gutgläubigkeit eines Dritterwerbers nicht mit der Unverhältnismäßigkeit einer Einziehung des Erworbenen gleichgesetzt. Bezieht man den textlichen Kontext ein und beachtet die Hinweise der Gesetzesbegründung wie geboten in ihrer Gesamtheit, ergeben sich differenziertere Vorgaben, was zugleich die Bedeutung der „Erfüllungsfälle“ für die Annahme einer unverhältnismäßigen Einziehung relativiert.
Primär hat der Gesetzgeber insoweit auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verwiesen, wonach im konkreten Einzelfall insbesondere das Verhalten des Betroffenen und das Ausmaß seiner Bösgläubigkeit berücksichtigt werden muss, um die Verhältnismäßigkeit des mit der Einziehung verbundenen Vermögenseingriffs zu gewährleisten. Im gleichen Zusammenhang hat der Gerichtshof in den von der Gesetzesbegründung in Bezug genommenen Entscheidungen aber auch betont, dass bei der Einziehung von Besitztümern die Abwägung von vielen Faktoren abhänge, unter anderem vom Verhalten des Eigentümers. Zu berücksichtigen sei das Ausmaß des Verschuldens oder der Sorgfalt des Betroffenen oder zumindest der Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und den begangenen Straftaten16.
Mit der Bezugnahme auf diese Judikate hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass die Verhältnismäßigkeit einer Einziehung gemäß § 76a Abs. 4 StGB nicht allein davon abhängt, ob ein „Erfüllungsfall“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegeben ist. Auf diese wird in den Gesetzesmaterialien demgemäß nur als ein Gesichtspunkt verwiesen, auf den „ferner“ zurückgegriffen werden könne, um zwischen dem Regelfall der Anordnung der Einziehung und einem Ausnahmefall abgrenzen zu können. Nichts anderes wird ausgedrückt, soweit ein „Erfüllungsfall“ dort später als ein solcher Ausnahmefall bezeichnet und dann ergänzt wird, dass hier die Einziehung nicht angeordnet werden „darf“.
Denn betont wird mit dieser – im Übrigen auch nicht in den Gesetzestext gelangten – Formulierung allein, dass dies „trotz“ der Ausgestaltung des § 76a Abs. 4 StGB als „Soll“-Vorschrift und damit trotz der im Regelfall bestehenden Verpflichtung zur Einziehung gelten soll. Dass den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte genannten übrigen Faktoren, etwa dem sonstigen Verhalten der Beteiligten, in einem „Erfüllungsfall“ keine Relevanz mehr zukäme, ergibt sich daraus nicht.
Im Übrigen hat auch der Bundesgerichtshof die Abgrenzung von „Erfüllungs-“ und „Verschiebungsfällen“ nicht allein anhand der Bösgläubigkeit des Drittbegünstigten vorgenommen. Er hat vielmehr in einem breiteren Ansatz darauf abgestellt, ob das zugrunde liegende entgeltliche Rechtsgeschäft „weder für sich noch im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Tat bemakelt“ ist, und hat auch die Schutzwürdigkeit des Erwerbers in den Blick genommen17. Aus diesen über das bloße Wissen um die deliktische Herkunft des einzuziehenden Gegenstands hinausweisenden Kriterien wird zugleich deutlich, dass es sich bei den „Erfüllungsfällen“ um keine scharf umrissene Kategorie handelt, sondern mit diesem Begriff ein Spektrum von Konstellationen beschrieben wird, die durch graduierbare, normative Faktoren gebildet werden. Deutlich wird das auch daran, dass bei den abzugrenzenden „Verschiebungsfällen“ unter anderem auch auf das Ausmaß der Bösgläubigkeit und die Höhe der Bemakelungsquote abzustellen ist18.
Insgesamt folgt daraus für den Maßstab der Ermessensausübung nach § 76a Abs. 4 StGB, dass von einer Einziehung nicht allein deshalb abgesehen werden kann, weil sich das Gericht nicht von der Bösgläubigkeit eines Dritterwerbers zu überzeugen vermag. Maßgeblich ist vielmehr die Verhältnismäßigkeit der Einziehung insgesamt. Bei ihrer Bewertung ist die Schutzwürdigkeit des (zivilrechtlichen) Eigentümers umfassend in den Blick zu nehmen19. Dabei sind sein Verhalten und das Ausmaß seiner Bösgläubigkeit zu berücksichtigen20.
Unabhängig davon, dass das Landgericht damit bei der Ermessensentscheidung einen verkürzten rechtlichen Maßstab angelegt hat, hält die Beweiswürdigung für die zugrunde gelegten Feststellungen – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs21 – der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Für die Annahme der Gutgläubigkeit des Nebenbetroffenen hat sich das Landgericht auf vier Gesichtspunkte gestützt, deren Behandlung schon für sich gesehen jeweils Rechtsfehler aufweist.
Soweit die Strafkammer auf das Fehlen einer persönlichen Beziehung zwischen den Vertragsparteien vor Vertragsschluss abgestellt hat, hat sie einen falschen Maßstab angelegt. Denn für die Bösgläubigkeit kommt es nicht auf ein kollusives Zusammenwirken der Beteiligten an, sondern auf die Kenntnis oder vorwerfbare Unkenntnis der inkriminierten Herkunft. Diese könnte sich, was die Strafkammer nicht erörtert hat, aus dem bloßen Wissen darum ergeben, dass aus der Familie des Einziehungsbeteiligten heraus in der Vergangenheit eine Vielzahl von Diebstählen begangen wurde. Ein solches Wissen könnte sich aus vielen Quellen – auch vom Hörensagen – speisen, ohne dass es hierzu einer persönlichen Bekanntschaft bedürfte. Anlass zu einer solchen Erörterung gaben auch besondere, in der Person des Nebenbetroffenen liegende Umstände, namentlich seine Vorstrafen, seine langjährige Inhaftierung, seine Tätigkeit als „Friedensrichter“ sowie die sich aus dem Betrieb zahlreicher Wettbüros in Berlin möglicherweise ergebenen Kontakte.
Die Bedeutung der ebenfalls in den Blick genommenen, „nicht unangemessen günstigen“ Höhe des Kaufpreises hat die Strafkammer als gering eingestuft, da nicht ersichtlich sei, inwieweit der gegenteilige Fall auf Bösgläubigkeit schließen lassen sollte. Damit hat sie jedoch außer Betracht gelassen, dass ein niedriger Preis die Gegenleistung dafür sein könnte, dass sich ein Käufer trotz ersichtlich zweifelhafter Herkunft des Verkaufsgegenstands auf ein Geschäft einlässt.
Das Landgericht hat ferner berücksichtigt, dass der Einziehungsbeteiligte mutmaßlich auf einer Barzahlung des Kaufpreises von 45.000 Euro für die Immobilie bestanden hat. Es ist jedoch ohne nähere Erläuterung davon ausgegangen, dass dies aus Sicht des Nebenbetroffenen keinen Schluss auf eine deliktische Herkunft des Kaufgegenstands zulasse. Damit hat das Landgericht der möglichen indiziellen Bedeutung dieses – für ein Immobiliengeschäft unüblichen – Umstands keine Rechnung getragen. Dies wäre aber schon deshalb geboten gewesen, weil die Strafkammer ihre Überzeugung davon, dass schon der ursprüngliche Erwerb der Wohnung durch den Cousin des Einziehungsbeteiligten durch Mittel aus Straftaten finanziert worden war, sogar selbst gerade auch damit begründet hat, dass eine Barzahlung in solchem Zusammenhang „im Zeitalter des elektronischen Zahlungsverkehrs“ ein „zumindest bekräftigendes Indiz für die inkriminierte Herkunft des Geldes“ darstelle.
Soweit das Landgericht zuletzt darauf abgestellt hat, dass für den Nebenbetroffenen kein Anhalt für finanzielle Schwierigkeiten des Einziehungsbeteiligten bestanden hätten, erschließt sich die Aussagekraft dieses Umstands als Anzeichen für ein unbemakeltes Eigentum nicht. Denn es steht fest, dass es dem Einziehungsbeteiligten oder weiteren im Hintergrund agierenden Personen gelungen war, die Mittel für den Erwerb und für die Unterhaltung der Immobilie aufzubringen. Über die Vorstellung des Nebenbetroffenen von der Herkunft dieser Mittel und über die ihm insoweit zugänglichen Indizien ist damit aber noch nichts gesagt.
Im Übrigen hat die Strafkammer die selbst ausgesprochene Ankündigung einer Gesamtwürdigung der genannten Gesichtspunkte nicht eingelöst. Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass diese auch in ihrer Gesamtheit und potentiellen gegenseitigen Verstärkung in den Blick genommen wurden22.
Deutlich wird dies insbesondere bei den Umständen der Kaufpreiszahlung durch den Nebenbetroffenen. Im Zusammenhang mit der Frage der Gutgläubigkeit hat das Landgericht allein auf die Zahlungsweise in bar abgestellt, aber nicht in den Blick genommen, dass die Zahlung vor der vereinbarten Fälligkeit und vor Eintragung der Auflassungsvormerkung ins Grundbuch vorgenommen wurde.
Diese Umstände hat die Strafkammer allein im Zusammenhang mit der Frage bedacht, ob die Zahlung überhaupt gemäß den Bekundungen der Beteiligten geleistet wurde. Im Hinblick auf die Gutgläubigkeit des Nebenbetroffenen wäre aber überdies zu erörtern gewesen, wie sich eine vorfällige Barzahlung ohne Sicherung des Eigentumserwerbs, die auf ein erhebliches Maß an Vertrauen zwischen den Vertragsparteien hindeuten kann, mit der Annahme des Landgerichts verträgt, dass sich beide Seiten vor Vertragsschluss nicht persönlich kannten.
Mehrere festgestellte Umstände hat das Landgericht zudem überhaupt nicht in seine Würdigung eingestellt, obwohl sie dazu gedrängt hätten: Gegen den Anschein eines „normalen“ Immobiliengeschäfts könnte in Zusammenschau mit weiteren Indizien wie der Barzahlung ohne Sicherung auch das junge Alter des Verkäufers sprechen, der zudem (ausweislich des Grundbuchs) im Zeitpunkt seines Erwerbs lediglich 19 Jahre alt war und die Immobilie von einem Voreigentümer erworben hat, der seinerseits beim Eigentumserwerb erst 18 Jahre alt war.
Vor dem Hintergrund der Gesamtumstände hätte sich die Strafkammer auch mit den Motiven der Beteiligten für die Eigentumsübertragung und deren Ausgestaltung befassen müssen. Hierzu bestand deshalb Anlass, weil die Beteiligten das Geschäft einerseits mit Barzahlung und sofortiger Übernahme der Lasten und Kosten der Immobilie am Tag des notariellen Kaufvertrags und damit außergewöhnlich schnell vollzogen, andererseits die Gewerbeeinheit durch den Nebenbetroffenen anschließend offenbar jahrelang ungenutzt blieb.
Mit Blick auf die sonstige Schutzwürdigkeit des Nebenbetroffenen und die Möglichkeit einer unabhängig von der Herkunft der Immobilie gegebenen Bemakelung seines Erwerbs wäre zudem zu erörtern gewesen, inwieweit der Nebenbetroffene den Kaufpreis seinerseits aus legalen Einkünften finanzieren konnte23. Dass er zur Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 45.000 Euro „ohne weiteres“ in der Lage war, wie das Landgericht ohne nähere Begründung angenommen hat, erschließt sich aus den Feststellungen nicht. Zwar überstiegen die festgestellten jährlichen Einkünfte des Nebenbetroffenen (erst) ab dem Jahr 2016 die Kaufpreissumme um das Zweibis Vierfache. Dem steht jedoch gegenüber, dass er in engem zeitlichen Zusammenhang noch vier weitere, deutlich kostspieligere Immobilien für insgesamt über drei Millionen Euro erwarb, von denen er eine zum Kaufpreis von 1.670.000 Euro privat als Familienwohnsitz nutzte. Wie diese Ankäufe in ihrer Gesamtheit mit dem zu versteuernden Einkommen finanziert werden konnten, wird aus den Urteilsgründen nicht deutlich.
Die Sache bedarf damit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Entscheidung des Landgerichts, das Erlöschen der Auflassungsvormerkung des Nebenbetroffenen nicht anzuordnen, lässt sich losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt – insbesondere der auch von den neu zu treffenden Feststellungen abhängenden Frage eines wirksamen Eigentumserwerbs durch den Nebenbetroffenen – nicht selbständig prüfen und beurteilen24.
Der Hilfsantrag der Staatsanwaltschaft auf Wertersatzeinziehung steht durch die Aufhebung der Entscheidung im Übrigen vorerst nicht zur Entscheidung an.
Die Feststellungen waren schon deshalb insgesamt aufzuheben, weil der Einziehungsbeteiligte und der Nebenbetroffene diese mangels Beschwer nicht zur Überprüfung stellen konnten.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. Juni 2025 – 5 StR 622/24
- LG Berlin I, Urteil vom 05.06.2024 – (541 KLs) 247 Js 133/21 (4/22) [↩]
- LK/Lohse, StGB, 14. Aufl., § 76a Rn. 42[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.09.2019 – 1 StR 320/18, BGHSt 64, 186 Rn.20 ff.[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.01.2007 – V ZB 125/05, BGHZ 170, 378, 384 mwN[↩]
- vgl. BT-Drs. 7/550, S. 293[↩]
- BeckOGK/Assmann, BGB, Stand: 1.02.2025, § 883 Rn. 4 mwN[↩]
- vgl. Staudinger/Kesseler (2020) BGB § 883 Rn. 260; vgl. BGH, Urteile vom 23.03.2006 – IX ZR 134/04, NJW 2006, 2557, 2559; vom 25.03.2021 – IX ZR 70/20 Rn. 41; MünchKomm-BGB/Lettmaier, 9. Aufl., § 883 Rn. 3, 64; insbesondere zu Verfügungsverboten nach § 136 BGB vgl. BeckOGK/Assmann, BGB, Stand: 1.02.2025, § 883 Rn. 153.1[↩]
- BGBl. I S. 872[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.02.2021 – 2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354 Rn. 106, 117[↩]
- vgl. BVerfG aaO Rn. 119[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 65 zur erweiterten Einziehung[↩]
- BT-Drs. 18/9525, S. 73[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.02.2025 – 2 StR 419/23 Rn. 17 mwN[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 92 mwN[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 73 f.[↩]
- vgl. EGMR, Urteile vom 10.04.2012, Silickiene gegen Litauen, Nr.20496/02 Rn. 66; vom 24.07.2012, Nowakowski gegen Polen, Nr. 55167/11 Rn. 50[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 19.10.1999 – 5 StR 336/99, BGHSt 45, 235; vom 03.12.2013 – 1 StR 53/13, wistra 2014, 219[↩]
- vgl. nur BGH, Beschluss vom 13.02.2025 – 2 StR 419/23 Rn. 17[↩]
- vgl. zur Person des insoweit Betroffenen BVerfG, Beschluss vom 10.02.2021 – 2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354 Rn. 139[↩]
- vgl. EGMR, Urteile vom 10.04.2012, Silickiene gegen Litauen, Nr.20496/02 Rn. 66; vom 24.07.2012, Nowakowski gegen Polen, Nr. 55167/11 Rn. 50; BGH, Beschluss vom 13.02.2025 – 2 StR 419/23 Rn. 17[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 29.10.2024 – 1 StR 276/24 Rn.19 mwN[↩]
- vgl. zur Problematik einer isolierten Betrachtung von Indizien BGH, Urteile vom 25.09.2024 – 5 StR 60/24 Rn. 10; vom 19.12.2024 – 5 StR 588/24 Rn. 21[↩]
- vgl. zur Relevanz dieses Gesichtspunkts EGMR, Urteil vom 12.05.2015 Gogitidze ua/Georgien – 36862/05 Rn. 107, NVwZ 2016, 1621; für die Vereinbarkeit des § 76a Abs. 4 StGB mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Bezug genommen durch BT-Drs. 18/11640, S. 83[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.02.2024 – 5 StR 602/23 Rn. 5[↩]











