Anschlussrevision – und die beschränkte Revisionszulassung

Der Zulässigkeit einer Anschlussrevision (hier: wegen eines Kündigungsschutzantrags) steht entgegen, dass das Landesarbeitsgericht die Revisionszulassung auf einen bestimmten Anspruch (hier: Nachteilsausgleich) beschränkt hat und zwischen beiden Ansprüchen – obgleich sie letztlich auf dieselbe Betriebsänderung zurückzuführen sind – nicht der erforderliche unmittelbare rechtliche oder wirtschaftliche Zusammenhang besteht.

Anschlussrevision – und die beschränkte Revisionszulassung

Nach der unter der Geltung von § 556 ZPO aF ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs1 war eine unselbständige Anschlussrevision unzulässig, wenn sie einen Lebenssachverhalt betraf, der mit dem von der Revision erfassten Streitgegenstand nicht in einem unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang steht.

An diesem Erfordernis hat der Bundesgerichtshof auch nach Inkrafttreten des durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.07.20012 neu gefassten § 554 ZPO in inzwischen ständiger Rechtsprechung festgehalten3 soweit der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen4 in den Obersätzen für die Statthaftigkeit einer Anschlussrevision das Vorliegen eines unmittelbaren rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs verlangen, handelt es sich offensichtlich nicht um strengere Anforderungen dahingehend, dass beide Merkmale kumulativ vorliegen müssten. Das Bundesarbeitsgericht5 und das Bundessozialgericht6 haben sich dem angeschlossen7.

Hieran hält das Bundesarbeitsgericht fest. Die Neuregelung der Anschlussrevision ändert nichts daran, dass sie als unselbständiges Rechtsmittel akzessorischer Natur ist. Dieser Abhängigkeit der Anschlussrevision würde es widersprechen, wenn mit ihr Streitstoff in das Revisionsverfahren eingeführt werden könnte, der mit dem Gegenstand der Hauptrevision weder in einem rechtlichen noch in einem wirtschaftlichen unmittelbaren Zusammenhang steht. Eine unbeschränkte Statthaftigkeit der Anschlussrevision würde zudem in Fällen, in denen die Revision zugunsten einer Partei nur teilweise zugelassen wurde, zu einer Benachteiligung des Revisionsklägers führen und somit über den Gesetzeszweck der Schaffung einer Art Waffengleichheit zwischen den Parteien hinausgehen. Bei uneingeschränkter Statthaftigkeit der Anschlussrevision könnte der Revisionsbeklagte das Urteil – soweit er unterlegen ist – insgesamt anfechten, selbst wenn seine Nichtzulassungsbeschwerde wegen des Fehlens eines Zulassungsgrundes nicht erfolgreich gewesen wäre. Dagegen kann bei einer beschränkten Zulassung der Revision der Revisionskläger das Urteil im Revisionsverfahren lediglich zum Teil angreifen. Eine Benachteiligung des Revisionsklägers wäre nur dann nicht gegeben, wenn ihm das Recht zu einer Gegenanschließung gewährt würde. Eine derartige Möglichkeit hat der Gesetzgeber indes nicht vorgesehen. Die insoweit bestehende Ungleichbehandlung ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Gegenstand der Anschlussrevision in einem unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Hauptrevision steht8.

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Das Bundesarbeitsgericht muss nicht darüber befinden, ob zwischen den Lebenssachverhalten, die einem Antrag auf Nachteilsausgleich gemäß einer – wie hier – mit § 113 Abs. 3 Alt. 1 iVm. Abs. 1 BetrVG inhaltsgleichen tariflichen Regelung (im Folgenden wird nur auf § 113 BetrVG Bezug genommen) und einem solchen nach § 4 Satz 1 KSchG zugrunde liegen, überhaupt ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. Es fehlt jeweils an der Unmittelbarkeit eines solchen Zusammenhangs.

Ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen den verfolgten Ansprüchen ist nicht gegeben.

Ein Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG steht allenfalls mit Klageansprüchen in einem unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang, deren Erfolg davon abhängt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die betreffende arbeitgeberseitige Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Dies gilt insb. für einen Auflösungsantrag, der nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG ausdrücklich einen entsprechenden Ausspruch voraussetzt. Ähnlich könnte es bei Anträgen liegen, deren Erfolg – gemäß dem Klageziel des § 4 Satz 1 KSchG – die Unwirksamkeit der fraglichen Kündigung erfordert und deren rechtzeitige Geltendmachung deshalb in analoger Anwendung von § 6 Satz 1 KSchG die dreiwöchige Klagefrist wahrt (zB Entgeltansprüche oder Weiterbeschäftigung nach Zugang der Kündigung bzw. Ablauf der Kündigungsfrist)9.

Diese Überlegungen treffen für das Verhältnis eines Antrags auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 Alt. 1 iVm. Abs. 1 BetrVG zu einem solchen nach § 4 Satz 1 KSchG jedenfalls nicht zu. Ein Nachteilsausgleich kann nicht nur auf der Grundlage einer Kündigungsschutzklage geltend gemacht werden. Vielmehr handelt es sich um einen vom Ausgang eines Kündigungsrechtsstreits unabhängigen Anspruch. Er setzt weder den Erfolg einer Kündigungsschutzklage voraus noch ist seine rechtzeitige Geltendmachung geeignet, die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG zu wahren. Für seine Entstehung bedarf es keiner unwirksamen Kündigung, sondern – im Gegenteil – einer wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Diese muss nicht einmal auf einer Kündigung durch den Arbeitgeber beruhen; erforderlich ist nur, dass das Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit der Betriebsänderung rechtlich beendet wird10. Das kann auch die Folge eines Aufhebungsvertrags oder einer vom Arbeitgeber veranlassten Eigenkündigung des Arbeitnehmers sein. Zudem kann letzter eine an sich unwirksame arbeitgeberseitige Kündigung nach § 7 Halbs. 1 KSchG wirksam werden lassen, indem er von einer Kündigungsschutzklage absieht. Die Rechtsfragen, die sich für die Entscheidung über die Haupt- und Anschlussrevision stellten, wären daher mitnichten die nämlichen11.

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Ebenso fehlt ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang.

Einen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof unter anderem angenommen bei Fragen des entgangenen Gewinns und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Hinblick auf eine der Revision zugrunde liegende Schadensersatzforderung12, Ansprüchen aus einem einheitlichen Vertragswerk13, einer gemeinsamen Haftung von Grundpfandrechten14 sowie dem Bestehen von Gegenrechten gegenüber einem Vergütungsanspruch15.

An einem vergleichbaren Konnex zwischen den zugrunde liegenden Lebenssachverhalten fehlt es bei einem Antrag auf Zahlung oder Feststellung eines Nachteilsausgleichs gemäß § 113 Abs. 3 Alt. 1 iVm. Abs. 1 BetrVG und einem Kündigungsschutzantrag nach § 4 Satz 1 KSchG.

Nach der Rechtsprechung des Ersten Bundesarbeitsgerichts des Bundesarbeitsgerichts soll durch die Verpflichtung zur Gewährung eines Nachteilsausgleichs zum einen das betriebsverfassungswidrige Verhalten eines Arbeitgebers, der seiner gesetzlichen Beratungspflicht bei Betriebsänderungen nicht genügt hat, sanktioniert werden. Der Anspruch will – präventiv – die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats an einer unternehmerischen Maßnahme sicherstellen. Ist diese Beteiligung unzureichend, erhalten die betroffenen Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf den Ausgleich bestimmter Nachteile. Die Anspruchsnorm schützt die Beachtung der gesetzlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen zum anderen aber nicht ausnahmslos. Sie sanktioniert ein betriebsverfassungswidriges Verhalten nur in den Fällen, in denen die von der unternehmerischen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden. Deshalb ist der gesetzliche Nachteilsausgleich keine bußgeldähnliche Verpflichtung mit Strafcharakter. Vielmehr sollen die Arbeitnehmer eine gewisse Entschädigung dafür erhalten, dass eine im Gesetz vorgesehene Beteiligung unterblieben und damit eine Chance nicht genutzt worden ist, einen Interessenausgleich zu finden, der Entlassungen vermeidet oder andere wirtschaftliche Nachteile abmildert16. Durch einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG wird demgegenüber die Feststellung verfolgt, dass das Arbeitsverhältnis durch die betreffende; vom Arbeitnehmer für unwirksam gehaltene Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Mit ihm wird regelmäßig nicht ein Abfindungs, sondern ein Bestandsschutz erstrebt17.

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Danach mangelt es vorliegend auch an einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang.

Die den Gegenstand von Haupt- und Anschlussrevision bildenden Ansprüche beruhen weder unmittelbar auf einer identischen vertraglichen Grundlage noch auf einer einheitlichen Verletzungshandlung. Vielmehr findet der Nachteilsausgleich seinen Grund in einer Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten durch den Arbeitgeber nach §§ 111, 112 BetrVG, die aber für die Wirksamkeit einer Kündigung gerade keine Rolle spielt.

Ebenso wenig handelt es sich bei dem Anspruch aus § 113 Abs. 3 Alt. 1 iVm. Abs. 1 BetrVG gegenüber dem Kündigungsschutzantrag um einen Sekundär- oder Ersatzanspruch mit der Folge, dass hinsichtlich des Antrags nach § 4 Satz 1 KSchG eine Anschlussrevision zulässig sein könnte18. Die Abweisung einer Kündigungsschutzklage ist weder notwendige noch hinreichende Bedingung für einen Nachteilsausgleichsanspruch. Selbst wenn als „Entlassung“ allein die mit einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG angegriffene arbeitgeberseitige Kündigung in Rede steht, tritt der Nachteilsausgleich nicht an die Stelle des mit der Kündigungsschutzklage vergeblich geltend gemachten Fortbestands des Arbeitsverhältnisses. Er entschädigt den Arbeitnehmer nicht für die Folgen der Unwirksamkeit oder doch Rechtswidrigkeit der betreffenden Kündigung und soll auch nicht die künftig entfallende Arbeitsvergütung ersetzen. Anders als der Nachteilsausgleichsanspruch in unmittelbarer Anwendung von § 113 Abs. 1 BetrVG ist der auf Abs. 3 Alt. 1 der Vorschrift beruhende Anspruch im Übrigen nicht davon abhängig, dass es ohne das betriebsverfassungswidrige Verhalten des Arbeitgebers nicht zu einer Entlassung gekommen wäre19, was belegt, dass der Bestandsschutzgesichtspunkt insoweit keine nennenswerte Rolle spielt.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. März 2021 – 2 AZR 508/19

  1. BGH 19.02.2002 – X ZR 166/99, zu II 1 der Gründe; 21.06.2001 – IX ZR 73/00, zu B II der Gründe, BGHZ 148, 156[]
  2. BGBl. I S. 1887[]
  3. grundlegend BGH 22.11.2007 – I ZR 74/05, Rn. 38, BGHZ 174, 244; zuletzt etwa: BGH 7.07.2020 – VI ZR 246/19, Rn. 8; 22.05.2019 – IV ZR 73/18, Rn. 35[]
  4. BGH 16.05.2019 – III ZR 176/18, Rn. 8; 10.01.2019 – III ZR 109/17, Rn.19[]
  5. BAG 27.06.2017 – 9 AZR 368/16, Rn. 15; 17.01.2012 – 3 AZR 10/10, Rn.20 f.; 20.05.2009 – 5 AZR 312/08, Rn. 25[]
  6. BSG 7.06.2018 – B 12 KR 17/17 R, Rn. 26, BSGE 126, 56[]
  7. zustimmend auch Linck NZA 2019, 801, 810[]
  8. vgl. BGH 6.12.2018 – VII ZR 71/15, Rn. 29 f.[]
  9. vgl. BAG 18.12.2014 – 2 AZR 163/14, Rn. 29, BAGE 150, 234[]
  10. vgl. BAG 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, zu II 1 b aa der Gründe, BAGE 113, 121[]
  11. dies hervorhebend BGH 25.06.2015 – IX ZR 142/13, Rn. 29[]
  12. BGH 16.05.2019 – III ZR 176/18, Rn. 8[]
  13. BGH 19.10.2007 – V ZR 211/06, Rn. 53, BGHZ 174, 61; 18.04.2007 – VIII ZR 117/06, Rn. 27; 26.07.2004 – VIII ZR 281/03, zu B 1 der Gründe[]
  14. BGH 22.03.2006 – IV ZR 6/04, Rn. 15[]
  15. BGH 8.12.2005 – VII ZR 138/04, zu B II der Gründe[]
  16. BAG 12.02.2019 – 1 AZR 279/17, Rn. 16, BAGE 165, 336[]
  17. vgl. BAG 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, Rn. 40, BAGE 161, 198[]
  18. so BAG 20.05.2009 – 5 AZR 312/08, Rn. 25 für einen Freistellungs- bzw. Abgeltungsanspruch[]
  19. vgl. ErfK/Kania 21. Aufl. BetrVG § 113 Rn. 9[]
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