Beginn und Ende der Wartezeit für den Kündigungsschutz

§ 193 BGB findet auf die Berechnung der Wartezeit im Sinne von § 1 Abs. 1 KSchG keine Anwendung. Der Zeitraum von sechs Monaten verlängert sich deshalb nicht, wenn sein letzter Tag auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt.

Beginn und Ende der Wartezeit für den Kündigungsschutz

Nach § 1 Abs. 1 KSchG gelten im Arbeitsverhältnis die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes, wenn das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen länger als sechs Monate bestanden hat. Seit der Änderung der Bestimmung durch das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14.08.19691 ist der allgemeine Kündigungsschutz nicht mehr an die tatsächliche Beschäftigung, sondern allein an den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses geknüpft2. Der Zweck einer Erprobung des Arbeitnehmers steht nicht mehr uneingeschränkt im Vordergrund3.

Für den Beginn der Wartezeit ist der Zeitpunkt maßgebend, von dem ab die Arbeitsvertragsparteien ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten begründen wollen4.

Im Regelfall wird dies der Zeitpunkt sein, in dem der Arbeitnehmer nach der vertraglichen Vereinbarung seine Arbeit aufnehmen soll5.

Er ist dann nicht maßgebend, wenn der rechtliche Beginn des Arbeitsverhältnisses und der Termin der vereinbarten Arbeitsaufnahme nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auseinanderfallen. Dies ist anzunehmen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich darin einig sind, dass gleich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Zeitspanne liegen soll, in der der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit verpflichtet ist. Daran kann ein beiderseitiges Interesse bestehen, wenn zwar noch nicht die Verpflichtung zur Arbeitsleistung, wohl aber andere mit dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses verbundene Rechte und Pflichten – etwa ein Wettbewerbsverbot oder Rücksichtnahme, Schutz- und Obhutspflichten aus § 241 Abs. 2 BGB – bereits entstehen sollen.

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Sinn und Zweck der Wartezeit stehen dazu nicht im Widerspruch. § 1 Abs. 1 KSchG stellt auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses und nicht auf die tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ab. Eine Unterbrechung der Arbeit – etwa durch Krankheit, Schwangerschaft, Urlaub oder Arbeitskampf – hemmt den Lauf der sechsmonatigen Wartefrist nicht6. Ob eine Zeit des Ausfalls der tatsächlichen Arbeitsleistung gleich zu Beginn oder erst im späteren Verlauf der Wartezeit eintritt, ist unter diesem Aspekt unerheblich.

Ob die Wartezeit in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer gleich zu Beginn pflichtwidrig nicht zur Arbeit erscheint, erst mit der tatsächlichen Arbeitsaufnahme beginnt7, bedarf im vorliegenden Streitfall keiner Entscheidung. Die Arbeitnehmerin hat nicht gegen ihre Arbeitspflicht verstoßen. Die Parteien haben in dem Wissen, dass die tatsächliche Arbeitsaufnahme erst am 26.05.2010 erfolgen würde, einen früheren rechtlichen Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbart.

Bei der Berechnung der Wartezeit ist der 15.05.2010 als erster Tag mitzuzählen. Dem steht nicht entgegen, dass die Arbeitsvertragsparteien den Arbeitsvertrag erst an diesem Tag unterzeichnet haben.

Für die Beurteilung der Frage, ob der Tag des Abschlusses des Arbeitsvertrags zur Wartezeit zu zählen ist, ist der Wille der Vertragsparteien maßgebend. Dieser ist gem. § 133, § 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. § 187 BGB kann insoweit gem. § 186 BGB als Auslegungsregel herangezogen werden8.

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Haben sich die Parteien über die Arbeitsaufnahme an einem bestimmten Tag verständigt, ist dieser in die Berechnung der Wartezeit einzubeziehen, selbst wenn der Arbeitsvertrag erst nach Arbeitsbeginn unterzeichnet wird9. Entsprechendes gilt, wenn sich die Parteien über den Zeitpunkt des rechtlichen Beginns ihres Arbeitsverhältnisses einigen, ohne dass der Arbeitnehmer zur tatsächlichen Arbeitsaufnahme schon verpflichtet wäre. Maßgebend für den Beginn der Wartezeit ist in diesem Fall der Tag der Entstehung der sonstigen Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag.

So verhält es sich hier. Die ursprünglichen Vertragsparteien haben vereinbart, die Klägerin werde „ab dem 15.05.2010“ als Krankenpflegerin eingestellt. Mit der Nennung eines bestimmten Datums als des Tages „ab dem“, ein Arbeitnehmer eingestellt werde, geben die Vertragsparteien regelmäßig zu verstehen, dass sie ihr Arbeitsverhältnis mit Beginn dieses Tages im Sinne von § 187 Abs. 2 BGB in Kraft setzen wollen. Dies gilt im Streitfall umso mehr, als die damalige Arbeitgeberin die Meldung zur Sozialversicherung mit Wirkung zum selben Datum vorgenommen hat. Hätten sie und die Klägerin diesen Tag als Tag der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags nicht – in Gänze – mitzählen wollen, hätte es nahegelegen, jedenfalls die Meldung zur Sozialversicherung erst mit Wirkung zum darauffolgenden Tag vorzunehmen.

Die am 15.05.2010 beginnende Wartezeit wurde am 1.07.2010 nicht etwa erneut in Gang gesetzt. Zwar besteht das Arbeitsverhältnis der Parteien selbst erst seit diesem Zeitpunkt. Im Fall eines Betriebsübergangs sind jedoch schon wegen § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten vom Erwerber zu berücksichtigen10. Die Beklagte selbst hat behauptet, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin sei im Wege des Betriebsübergangs auf sie übergegangen. Dementsprechend hat sie die Anrechnung der bei der B-GmbH zurückgelegten Wartezeit nicht in Frage gestellt.

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Sind danach die Zeit ab dem 15.05.2010 und dieser Tag selbst bei der Berechnung der Wartezeit mitzuzählen, endete sie mit Ablauf des 14.11.2010 (§ 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB). Etwas anderes gilt nicht deshalb, weil es sich bei diesem Tag um einen Sonntag handelte. Nach § 193 BGB verlängert sich zwar die Frist zur Abgabe einer Willenserklärung, die an einem Sonntag endet, bis zum Ablauf des nächsten Werktags. Diese Regelung ist aber für die Berechnung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ohne Bedeutung.

§ 1 Abs. 1 KSchG enthält keine Frist für die Abgabe von Kündigungserklärungen. Bei einer Kündigung, die innerhalb der Wartezeit erklärt werden soll, handelt es sich deshalb nicht um eine „innerhalb einer Frist abzugebende“ Willenserklärung. Die Regelung des § 1 Abs. 1 KSchG bedeutet keineswegs, dass etwa – wie von § 193 BGB vorausgesetzt – um den Preis des Verlustes des Kündigungsrechts eine ordentliche Kündigung bis zum Ablauf der Wartezeit zu erklären wäre. Der Arbeitgeber vermag vielmehr auch nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums jederzeit zu kündigen, wenn auch nunmehr unter dem Regime des Kündigungsschutzgesetzes11. Dies ist kein Fall des § 193 BGB.

Nach Sinn und Zweck der Vorschrift kommt auch ihre entsprechende Anwendung auf das Ende der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG nicht in Betracht. § 193 BGB dient dem Schutz der Interessen desjenigen, der die Willenserklärung abzugeben hat. Wer innerhalb einer Frist eine Erklärung abgeben muss, soll davor bewahrt werden, dass das ihm zustehende Recht, die Frist bis zum letzten Tag auszunutzen, wegen der Arbeits- und Behördenruhe am Wochenende und an Feiertagen verkürzt wird12. Demgegenüber regelt § 1 Abs. 1 KSchG nicht Fristen zur Abgabe von Willenserklärungen, sondern bestimmt einen Zeitraum nach dessen Ablauf die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes auf Kündigungen ohne Abstriche anzuwenden sind. So betrachtet dient § 1 Abs. 1 KSchG in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers. Dieser soll nach einem Bestand des Arbeitsverhältnisses von sechs Monaten darauf vertrauen dürfen, dass dieses seitens des Arbeitgebers nur mehr bei sozialer Rechtfertigung gekündigt werden kann. Den Zeitraum, in dem der Arbeitgeber ohne die Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes kündigen kann, deshalb um einen oder ggf. mehrere Tage zu verlängern, weil sein Ende auf einen Sonntag, Feiertag oder Sonnabend fällt, geben § 193 BGB und die ihm zugrunde liegende gesetzliche Wertentscheidung keinen Anlass.

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Diese Erwägungen stehen nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 03.10.198513. Dort wurde zwar § 193 BGB zur Berechnung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB angewandt. Diese Bestimmung ist jedoch mit der des § 1 Abs. 1 KSchG nicht vergleichbar. Nach § 626 Abs. 2 BGB muss eine außerordentliche Kündigung innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Kenntnis der sie tragenden Gründe erklärt werden. Nach Ablauf der Frist ist eine außerordentliche Kündigung dauerhaft ausgeschlossen. Dies ist ein Fall von § 193 BGB14.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 2 AZR 1057/12

  1. BGBl. I S. 1106[]
  2. BAG 20.08.1998 – 2 AZR 83/98, zu II 1 der Gründe, BAGE 89, 307[]
  3. BAG 20.08.1998 – 2 AZR 83/98, aaO; 15.08.1984 – 7 AZR 228/82, BAGE 46, 163[]
  4. BAG 27.06.2002 – 2 AZR 382/01, zu B I 2 b bb (3) der Gründe, BAGE 102, 49[]
  5. KR-Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 100; HaKo/Pfeiffer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 69; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 65; MünchKomm-BGB/Hergenröder 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 31[]
  6. KR-Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 99; KDZ/Deinert 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 21; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 55[]
  7. so KR-Griebeling 10. Aufl. KSchG § 1 Rn. 100; ErfK/Oetker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 35; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 30; aA wohl MünchKomm-BGB/Hergenröder 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 31[]
  8. BAG 27.06.2002 – 2 AZR 382/01, zu B I 2 a dd der Gründe, BAGE 102, 49[]
  9. BAG 27.06.2002 – 2 AZR 382/01, zu B I 2 b bb (2) der Gründe, BAGE 102, 49[]
  10. BAG 5.02.2004 – 8 AZR 639/02, zu II 2 a der Gründe; 27.06.2002 – 2 AZR 270/01, zu B I 3 der Gründe, BAGE 102, 58[]
  11. so auch BAG 5.03.1970 – 2 AZR 112/69, zu 3 der Gründe, BAGE 22, 304 für Berechnung von Kündigungsfristen[]
  12. BT-Drs. IV S. 3394 zu I; BAG 5.03.1970 – 2 AZR 112/69, zu 4 c der Gründe, BAGE 22, 304[]
  13. BAG 3.10.1985 – 2 AZR 601/84, zu B II 2 c der Gründe[]
  14. vgl. KR-Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 356[]
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