Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit – und das Ablösungsprinzip

Gem. § 77 Abs. 4 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend. Sie gelten gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nach Ablauf solange weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Daraus folgt, dass die Betriebspartner eine Angelegenheit, die durch Betriebsvereinbarung geregelt ist, unter deren – auch stillschweigender – Aufhebung für die Zukunft in einer neuen Betriebsvereinbarung regeln können.

Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit – und das Ablösungsprinzip

Es gilt das Ablösungsprinzip. Die jüngere Betriebsvereinbarung löst die ältere ab. Für die Zukunft sind nur die Regelungen der neuen Betriebsvereinbarung maßgebend. Das gilt auch dann, wenn die ältere für die Arbeitnehmer günstiger war1.

Das Ablösungsprinzip ermöglicht nicht jede Änderung. Soweit in bereits bestehende Besitzstände der Arbeitnehmer eingegriffen wird, sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten2.

Deshalb unterliegen insbesondere Betriebsvereinbarungen, die Versorgungsansprüche aus einer früheren Betriebsvereinbarung einschränken, einer entsprechenden Rechtskontrolle3. Aus den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes ergeben sich ferner die Grenzen der sog. unechten Rückwirkung4.

Dagegen kann der Inhalt von Betriebsvereinbarungen von den Gerichten nicht auf seine Zweckmäßigkeit überprüft werden. So haben die Gerichte nicht zu entscheiden, ob die ältere Betriebsvereinbarung zweckmäßiger war als die neue und deshalb weiter gelten muss. Vielmehr unterliegt jede Betriebsvereinbarung, auch die ablösende, nur einer Rechtskontrolle nach Maßgabe höherrangigen Rechts. Deren Intensität hängt von Regelungsgegenstand sowie von Art und Ausmaß des Eingriffs in die Rechtspositionen des Arbeitnehmers ab. Gegenstand dieser Rechtskontrolle ist auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wenn es um Eingriffe in Freiheitsrechte des Arbeitnehmers geht5.

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Erworbene Rechte im Sinne schützenswerter Besitzstände sind bei der Änderung von Arbeitszeitregelungen nicht berührt. Über die Lage der Arbeitszeit bestimmt im Rahmen des § 106 GewO der Arbeitgeber. In mitbestimmten Betrieben unterliegt sein Direktionsrecht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Die Betriebspartner regeln die Arbeitszeit im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und unter Beachtung etwaiger Tarifverträge. Das gilt auch für Änderungen bestehender Arbeitszeitregelungen.

Dass die bisherige Arbeitszeitgestaltung für den Kläger komfortabler war, stellt keinen Besitzstand dar und führt nicht zur Unanwendbarkeit des Ablöseprinzips. Ob die Betriebsparteien ein langjährig praktiziertes Schichtsystem ändern, obliegt ihrer Entscheidung. Die Änderung muss weder geboten oder zweckmäßig sein noch für die Arbeitnehmer Verbesserungen bringen.

Dabei kann zugestanden werden, dass Schichtarbeit an sich belastend ist. Das macht aber weder ihre Einführung noch die Veränderung des Schichtmodells unwirksam.

Landesarbeitsgericht Schleswig -Holstein, Urteil vom 24. September 2014 – 6 Sa 99/14

  1. vgl. nur BAG 29.10.2002 – 1 AZR 573/01 –, BAGE 103, 187, Rz. 27; 10.02.2009 – 3 AZR 653/07, Juris, Rz.17 f; BAG 15.01.2013 – 3 AZR 705/10, Juris, Rz. 18 m.w.N.[]
  2. BAG 29.10.2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, Rz. 27; BAG 15.01.2013 – 3 AZR 169/10 –, Juris, Rz. 50[]
  3. zum dreistufigen Prüfungsschema vgl. nur BAG 15.01.2013 – 3 AZR 169/10 –, Juris, Rz. 50[]
  4. BAG 29.10.2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, Rz. 27[]
  5. BAG 19.01.1999 – 1 AZR 499/98 – BAGE 90, 316: allgemeine Handlungsfreiheit der Raucher; 11.07.2000 – 1 AZR 551/99 – BAGE 95, 221: keine Verpflichtung zur Kostentragung für nicht beanspruchte Leistungen; 29.06.2004 – 1 ABR 21/03 – BAGE 111, 173: allgemeines Persönlichkeitsrecht[]
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