Corona-Sonderzahlung im öffentlichen Dienst – in der Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses

Arbeitnehmer, die sich zu dem in § 2 Abs. 1 des am 25.10.2020 zwischen der VKA und ver.di geschlossenen Tarifvertrags über eine einmalige Corona-Sonderzahlung (TV Corona-Sonderzahlung) festgelegten Stichtag am 1.10.2020 in der Freistellungsphase ihrer Altersteilzeit befanden, können die Corona-Sonderzahlung beanspruchen.

Corona-Sonderzahlung im öffentlichen Dienst – in der Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses

Dies ergibt für das Bundesarbeitsgericht die gebotene Auslegung der tarifvertraglichen Bestimmungen1.

Für dieses Auslegungsergebnis spricht bereits der Wortlaut der Tarifnorm. Nach § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung erhalten Personen, deren Arbeitsverhältnis am 1.10.2020 bestand, spätestens mit dem Tabellenentgelt des Monats Dezember 2020 eine einmalige Corona-Sonderzahlung, wenn sie an mindestens einem Tag zwischen dem 1.03.und dem 31.10.2020 Anspruch auf Entgelt hatten. Danach hängt die Corona-Sonderzahlung allein vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum maßgeblichen Stichtag und eines Entgeltanspruchs an einem Tag im Referenzzeitraum ab. Der Tarifwortlaut bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass die Corona-Sonderzahlung Beschäftigten vorbehalten sein soll, die – anders als Arbeitnehmer in der Freistellungsphase der Altersteilzeit im Blockmodell – eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht haben und dabei durch die Corona-Pandemie bedingten Belastungen am Arbeitsplatz ausgesetzt waren.

Die Tarifsystematik führt gegenüber dem Wortlaut zu keinem anderen Ergebnis.

Die unter Nr. 2 der Protokollerklärung zu § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung geregelten Ausnahmen von den allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung verdeutlichen, dass die Corona-Sonderzahlung nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung abhängt, sondern nur von einem (gegebenenfalls fingierten) Entgeltanspruch. Nach Nr. 2 der Protokollerklärung haben selbst Beschäftigte, die durchgehend Krankengeld bezogen, sich in Kurzarbeit (Null) befanden oder lediglich Anspruch auf Entgelt für einen Tag im Bezugszeitraum hatten, Anspruch auf die ungekürzte Corona-Sonderzahlung. Lediglich die Berechnung der Corona-Sonderzahlung richtet sich nach der arbeitsvertraglich vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit (§ 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung iVm. § 24 Abs. 2 TVöD/VKA).

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Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm2 führt § 7 Abs. 2 des zwischen der VKA und ver.di geschlossenen Tarifvertrags zu flexiblen Arbeitszeitregelungen für ältere Beschäftigte vom 27.02.2010 idF vom 25.10.2020 (TV FlexAZ) zu keinem abweichenden Verständnis. Die Tarifnorm bestimmt, dass Beschäftigte während der Arbeitsphase des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Blockmodell das Tabellenentgelt und alle sonstigen Entgeltbestandteile in Höhe der Hälfte des Entgelts enthalten, das sie jeweils erhalten würden, wenn sie mit der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit weitergearbeitet hätten; die andere Hälfte des Entgelts fließt in das Wertguthaben (§ 7b SGB IV) und wird in der Freistellungsphase ratierlich ausgezahlt. In den Teilzeitquotienten der Freistellungsphase fließen ausnahmslos alle in der Aktivphase verdienten Entgeltbestandteile. § 7 Abs. 2 TV FlexAZ regelt damit lediglich die Auszahlungsmodalitäten für das in der Aktivphase angesammelte Wertguthaben, ohne das Entstehen zukünftiger, im Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitarbeitsvertrags noch nicht absehbarer Vergütungsansprüche für die Altersteilzeit auszuschließen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht gehindert, für Arbeitnehmer in der Freistellungsphase der Altersteilzeit im Blockmodell zusätzlich zum Wertguthaben Leistungen vorzusehen, die – wie vorliegend die einmalige Corona-Sonderzahlung – unabhängig von einer bestimmten Arbeitsleistung gewährt werden.

Der Auslegung des § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung, dass Beschäftigte in der Freistellungsphase der Altersteilzeit Anspruch auf die Corona-Sonderzahlung haben, entspricht dem Tarifzweck. Nr. 1 Satz 2 der Protokollerklärung zu § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung definiert die vom Arbeitgeber geschuldete Leistung als „Beihilfe bzw. Unterstützung“ im Sinne des § 3 Nr. 11a EStG zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Corona-Krise. Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder hatte das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 09.04.20203 mitgeteilt, während der Corona-Krise in der Zeit vom 01.03.bis zum 31.12.2020 könnten zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag in Höhe von 1.500, 00 Euro steuerfrei nach § 3 Nr. 11 EStG in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährt werden. Aufgrund des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.06.20204 stellte der Gesetzgeber diese Rechtsauffassung im Interesse umfassender Rechtssicherheit durch § 3 Nr. 11a EStG klar5. Die Anknüpfung an die steuerliche Bestimmung spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien den Anspruch nicht von einer besonderen Belastung aufgrund geleisteter Arbeit abhängig gemacht haben, sondern die finanziellen Belastungen aufgrund der Corona-Pandemie unabhängig von einer Arbeitsleistung abmildern wollten. Beihilfen nach § 3 Nr. 11 EStG werden als uneigennützige Unterstützungsleistungen6 unabhängig von einem entgeltlichen Austauschgeschäft gezahlt7. Es liegt nahe, dass die Uneigennützigkeit auch Voraussetzung für die Steuerprivilegierung von arbeitgeberseitigen Beihilfen und Unterstützungsleistungen nach § 3 Nr. 11a EStG ist8, auf die die Tarifvertragsparteien ausdrücklich verwiesen haben.

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Danach erfüllt im hier entschiedenen Fall die Arbeitnehmerin die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung. Zwischen den Parteien bestand am 1.10.2020 ein (Altersteilzeit-) Arbeitsverhältnis. Die Arbeitnehmerin hatte im Zeitraum zwischen dem 1.03.und dem 31.10.2020 an (mehr als nur) einem Tag Anspruch auf Entgeltzahlung.

Der Anspruch der Arbeitnehmerin auf die Corona-Sonderzahlung besteht im vorliegenden Fall in Höhe von 200, 00 Euro.

Die Corona-Sonderzahlung beträgt für Vollzeitbeschäftigte nach § 2 Abs. 2 Satz 1 TV Corona-Sonderzahlung für die Entgeltgruppen 9a bis 12 400, 00 Euro. Für Teilzeitbeschäftigte ordnet § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung die entsprechende Anwendung von § 24 Abs. 2 TVöD/VKA an. Danach erhalten Teilzeitbeschäftigte das Tabellenentgelt und alle sonstigen Entgeltbestandteile in dem Umfang, der dem Anteil ihrer individuell vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit an der regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter entspricht, soweit tariflich nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt ist. Für die Berechnung der Anspruchshöhe sind die jeweiligen Verhältnisse am 1.10.2020 maßgeblich (§ 2 Abs. 2 Satz 5 TV Corona-Sonderzahlung).

Die im Tarifvertrag vorgesehene Berechnung steht im Einklang mit § 4 Abs. 1 TzBfG.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG ist einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.

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Die Norm des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG konkretisiert das allgemeine Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG für den Bereich des Entgelts oder einer anderen teilbaren geldwerten Leistung9. § 4 Abs. 1 TzBfG verbietet eine Abweichung vom Pro-rata-temporis-Grundsatz zum Nachteil Teilzeitbeschäftigter, wenn dafür kein sachlicher Grund besteht. Eine Gleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter bei der Vergütung entsprechend dem Pro-rata-temporis-Grundsatz des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG schließt jedoch eine sonstige Benachteiligung nicht aus10. Insbesondere bei Leistungen, bei denen der Vergütungscharakter nicht im Vordergrund steht, können – abhängig vom Leistungszweck – Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte Ansprüche in gleicher Höhe haben11. Eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten ist aber sachlich gerechtfertigt, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt. Die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung hat sich an dem mit der Leistung verfolgten Zweck zu orientieren12.

Als selbständige Grundrechtsträger können die Tarifvertragsparteien bei ihrer Normsetzung den Leistungszweck einer tariflichen Leistung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie bestimmen13. Neben einer Einschätzungsprärogative über die tatsächlichen Gegebenheiten, betroffenen Interessen und Regelungsfolgen verfügen sie dazu über einen weiten inhaltlichen Gestaltungsspielraum, der sie nicht dazu verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht14. Da die in § 4 Abs. 1 TzBfG geregelten Diskriminierungsverbote nach § 22 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien stehen, darf der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien nicht dazu führen, das Verbot der Diskriminierung in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer auszuhöhlen15.

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Danach verstößt die der Arbeitszeit entsprechende Berechnung nach § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung iVm. § 24 Abs. 2 TVöD/VKA nicht gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Sie entspricht dem Prinzip des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer erhalten die Corona-Sonderzahlung im Umfang des Anteils ihrer individuell vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit an der regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter. Die tarifvertragliche Regelung steht auch im Einklang mit § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG. Für die der Arbeitszeit entsprechende Berechnung besteht ein sachlich vertretbarer Grund. Der tarifvertragliche Zweck, mit der einmaligen Corona-Sonderzahlung allen Beschäftigten unter der Voraussetzung eines zum Stichtag bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie eines Entgeltanspruchs im Referenzzeitraum einen anlassbezogenen, an das individuelle Arbeitsentgelt angepassten Zuschuss zum individuellen Arbeitsentgelt zu gewähren, steht einer quantitativen Differenzierung nicht entgegen. Es ist nicht sachfremd, dass die Tarifvertragsparteien den Umfang der Beteiligung des Arbeitgebers an den allgemeinen Corona-Folgen an die der individuell vereinbarten Arbeitszeit entsprechenden Vergütung anknüpfen, aus der die Beschäftigten ihre Aufwendungen erfahrungsgemäß decken.

Danach steht der Arbeitnehmerin eine Corona-Sonderzahlung in Höhe von 200,00 € zu (50 vH des vollen Anspruchs). Unter Zugrundelegung der nach § 2 Abs. 2 Satz 5 TV Corona-Sonderzahlung maßgeblichen „jeweiligen Verhältnisse“ am Stichtag des 1.10.2020 betrug die individuell vereinbarte durchschnittliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerin 19, 5 Wochenstunden. Im Blockmodell des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses wird – wie im Teilzeitmodell – die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit des Altersteilzeitarbeitnehmers während des gesamten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses um die Hälfte verringert16.

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Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Arbeitnehmerin stehen nach § 187 Abs. 1 BGB Verzugszinsen ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zu. Die Fälligkeit der Corona-Sonderzahlung bestimmt sich nach § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung, dem zufolge die Auszahlung mit dem Tabellenentgelt des Monats Dezember 2020 vorzunehmen ist. Das Tabellenentgelt für Dezember 2020 war gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD/VKA am letzten Tag des laufenden Monats, dh. am 31.12.2020 fällig. Damit ist der Arbeitgeber am 1.01.2021 in Verzug geraten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Juli 2023 – 9 AZR 332/22

  1. vgl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung die st. Rspr., zB BAG 16.11.2022 – 10 AZR 210/19, Rn. 13; 13.10.2021 – 4 AZR 365/20, Rn. 21 mwN[]
  2. LAG Hamm 24.08.2022 – 9 Sa 160/22[]
  3. BStBl. I S. 503[]
  4. BGBl. I S. 1385[]
  5. BT-Drs.19/19601 S. 33[]
  6. BFH 5.11.2014 – VIII R 27/11, Rn. 27[]
  7. BFH 14.07.2020 – VIII R 27/18, Rn. 18[]
  8. so auch Schmidt/Levedag EStG 41. Aufl. § 3 Rn. 48[]
  9. BAG 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rn. 47 mwN, BAGE 165, 1[]
  10. BAG 14.12.2011 – 5 AZR 457/10, Rn. 28, BAGE 140, 148[]
  11. vgl. zu einer als Anerkennung der Betriebstreue geleisteten Jubiläumszuwendung BAG 22.05.1996 – 10 AZR 618/95, zu II 3 der Gründe[]
  12. BAG 29.01.2020 – 4 ABR 26/19, Rn. 28, BAGE 169, 351[]
  13. BAG 29.09.2020 – 9 AZR 364/19, Rn. 47, BAGE 172, 313; 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rn. 34, BAGE 165, 1[]
  14. BAG 23.02.2021 – 3 AZR 618/19, Rn. 40, BAGE 174, 116; 3.07.2019 – 10 AZR 300/18, Rn.19 mwN[]
  15. BAG 22.10.2019 – 9 AZR 71/19, Rn. 33 ff.[]
  16. BAG 16.11.2010 – 9 AZR 597/09, Rn. 31[]
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