Die Betriebspartner können grundsätzlich die Aufhebung einer (hier: Gesamt-) Betriebsvereinbarung für den Fall eines Betriebsübergangs vereinbaren und damit das Vergütungsniveau im Betrieb zu einem Zeitpunkt vor der Veräußerung absenken. Eine solche Vereinbarung bedarf der Zustimmung der Tarifvertragsparteien.

Wird diese Zustimmung erteilt, hat der auf eine Vergütung nach dem bisherigen Vergütungsniveau klagende Arbeitnehmer die Tatsachen vorzutragen, die für eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB sprechen.
Eine zum Zwecke der Sanierung des Betriebs erfolgte Absenkung des Vergütungsniveaus durch die Aufhebung einer Betriebsvereinbarung zu einem Zeitpunkt 24 Stunden vor einem Betriebsübergang ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn ihr die Tarifvertragsparteien zugestimmt haben.
Nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Betriebserwerber in die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ein. Soweit sich jedoch der Arbeitnehmer in einer solchen Situation auf § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB beruft, ist diese Norm hier nicht einschlägig. Bei der Übertragung eines eigenständigen Betriebs unter Wahrung seiner Identität bleiben die bestehenden Betriebsvereinbarungen nach dem Betriebsübergang gemäß § 613 a Abs.1 Satz 1 BGB erhalten. Der Erwerber tritt betriebsverfassungsrechtlich an die Stelle des früheren Inhabers1. § 613 a Abs.1 Satz 2 BGB kommt demgegenüber nur eine Auffangfunktion zu2.
Der Arbeitnehmer kann seine Ansprüche jedoch nicht mit Erfolg auf § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 77 Abs. 4 BetrVG stützen. Voraussetzung wäre, dass zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch eine Betriebsvereinbarung gegolten hat, aus der sich seine Klagansprüche ergeben. Das ist indes nicht der Fall. Die seinerzeitige Arbeitgeberin und der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat haben die Gesamtbetriebsvereinbarung ausdrücklich aufgehoben, und zwar 24 Stunden vor Eintritt des Betriebsübergangs und ohne Nachwirkung. Dabei wurde ausdrücklich geregelt, dass für die in der Anlage 5 bezeichneten Niederlassungen, zu denen auch die hier übertraggene Niederlassung in K. gehört, unter anderem die hier strittige Gesamtbetriebsvereinbarung zu einem Zeitpunkt „24 Stunden vor dem jeweiligen Betriebs(teil)übergang ohne Nachwirkung aufgehoben“ wird, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
Die dort genannte Bedingung ist eingetreten. Die Niederlassung K. ist zum 01.05.2016 auf die Betriebserwerberin übertragen worden. Damit endete die Gesamtbetriebsvereinbarung zum 29.04.2016. Sie kann damit weitergehende Gehaltsansprüche des Arbeitnehmers ab Mai 2016 nicht begründen.
Die Aufhebung der Gesamtbetriebsvereinbarung durch die Betriebsübergeberin und ihren Gesamtbetriebsrat bedurfte nicht der Zustimmung der Tarifvertragsparteien. Ein solches Erfordernis folgt insbesondere nicht aus Ziff. 5 ZTV 2009. Dort ist vereinbart, dass Änderungen der Gesamtbetriebsvereinbarung zum Vergütungssystem, womit unstreitig die Gesamtbetriebsvereinbarung gemeint ist, im Rahmen des § 77 Abs. 3 BetrVG der Zustimmung der Tarifvertragsparteien bedürfen.
Die Aufhebung der Gesamtbetriebsvereinbarung ist aber keine Änderung im Rahmen des § 77 Abs. 3 BetrVG. Das folgt aus Sinn und Zweck der Ziff. 5 des zwischen der IG Metall Bezirk Baden-Württemberg und der Tarifgemeinschaft für Betriebe des Kraftfahrzeug- und Tankstellengewerbes Baden-Württemberg einen Zusatztarifvertrag (ZTV 2009). Durch eine Öffnungsklausel im Sinne von § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG geben die Tarifvertragsparteien ein Stück ihrer Tarifautonomie auf und übertragen ihre Verantwortung für angemessene Arbeitsbedingungen auf die Betriebspartner. Wie weit sie ihre Tarifautonomie übertragen, liegt ausschließlich in ihrer Entscheidungshoheit. Daher können sie sich auch für jede Änderung einer einmal gefundenen betrieblichen Regelung ihre Zustimmung vorbehalten. Das haben die Tarifpartner in Ziff. 5 ZTV 2009 getan.
Die Aufhebung der betrieblichen Regelung, die infolge der Tariföffnungsklausel vereinbart wurde, führte dazu, dass die tariflichen Vorschriften des Kfz-Gewerbes (wieder) galten. Einer Zustimmung zu dieser kraft Gesetzes eintretenden Rechtsfolge bedurfte es nicht. Daher fanden nach Beendigung der Gesamtbetriebsvereinbarung mit Ablauf des 29.04.2016 die tariflichen Regelungen des Kfz-Gewerbes wieder Anwendung, an die die Betriebsübergeberin gebunden war. Es ist nicht ersichtlich, warum durch den ZTV 2009 dieses „Mehr“ an Regelungskompetenz für die Tarifvertragsparteien an deren Zustimmung geknüpft werden sollte3. Die Entscheidung, das betriebliche Entgeltfindungssystem aufzuheben, berührt die durch § 77 Abs. 3 BetrVG geschützte Tarifautonomie nicht
Unabhängig davon liegt die Zustimmung der Tarifvertragsparteien zur Aufhebung der Gesamtbetriebsvereinbarung vor. Unter Abschnitt V. TV Neuorganisation ist ausdrücklich klargestellt, dass auch die IG Metall über die im Zusammenhang mit der Neuausrichtung des Eigenvertriebs der Betriebsübergeberin stehenden Entscheidungen informiert wurde und etwaigen hieraus resultierenden Änderungen der bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung zum Vergütungssystem – das ist die Gesamtbetriebsvereinbarung – zustimmt. Dieser Zustimmung steht die Aufhebung des TV Neuorganisation für die Zukunft im Falle eines Betriebsübergangs nicht entgegen4. Die dortige Regelung zielt erkennbar darauf ab, die von der Veräußerung betroffenen Organisationseinheiten von den unter den Gliederungspunkten II. – IV. des Tarifvertrags vereinbarten Maßnahmen zu lösen. Es wäre nicht nachvollziehbar, sie als eine im Fall des Betriebsübergangs rückwirkend eingreifende Aufhebung der zuvor unter Gliederungspunkt V. mit Abschluss des Tarifvertrags erteilten Zustimmung zu interpretieren. Der Tarifvertrag hat seine eigene Aufhebung nur „mit Wirkung für die Zukunft“ vorgesehen5.
Wegen der Regelung in Ziff. 4 ETV gilt diese Zustimmung auch für die Betriebe im Zuständigkeitsbereich der IG Metall K., also die K. Niederlassung der Betriebsübergeberin.
Für die Aufhebung der Gesamtbetriebsvereinbarung war der Gesamtbetriebsrat der Betriebsübergeberin gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG zuständig. Das hat bereits das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung festgestellt. Hiergegen sind im Berufungsverfahren keine Einwendungen erhoben werden. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts wird daher Bezug genommen.
Die Aufhebung der Betriebsvereinbarung ist schließlich nicht wegen Umgehung des § 613 a Abs. 1 BGB unwirksam6. Im Einzelnen:
Ein Rechtsgeschäft darf und kann die mit ihm beabsichtigte Wirkung nicht entfalten, wenn es sich als objektive Umgehung zwingender Rechtsnormen darstellt. Das ist der Fall, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwendet werden7. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gewährt § 613 a BGB Schutz vor einer Veränderung des Arbeitsvertragsinhaltes im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang ohne sachlichen Grund8. Demnach stellt eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebsveräußerer oder dem in Aussicht genommenen Betriebserwerber eine zur Unwirksamkeit nach § 134 BGB führende Umgehung des § 613 a Abs. 1 BGB dar, wenn es Grund und Ziel der Vereinbarung ist zu verhindern, dass der künftige Betriebserwerber in sämtliche bestehenden Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis eintritt9. Daher hat das Bundesarbeitsgericht einen individualrechtlich vor Betriebsübergang erklärten Verzicht des Arbeitnehmers auf ein beim Betriebsveräußerer bislang auf individualrechtlicher Grundlage gezahltes Urlaubs- und Weihnachtsgeld für unwirksam erklärt, weil der Verzicht unter der Bedingung eines eingetretenen Betriebsübergangs stattfand und weil es „Grund und Ziel“ des Erlassvertrages gewesen sei, gerade zu verhindern, dass die künftige Betriebserwerberin vollständig in die bestehenden Rechte des Arbeitnehmers eintreten musste10.
Eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 613 a BGB lässt sich nicht feststellen.
Die Betriebserwerberin und die Betriebsübergeberin haben zwar eingeräumt, es sei bei der Aufhebung der Gesamtbetriebsvereinbarung 24 Stunden vor einem Betriebsübergang darum gegangen, die Einheiten veräußerungsfähig zu gestalten. Die zu veräußernden Niederlassungen sollten vom Entgeltniveau der Gesamtbetriebsvereinbarung auf das Entgeltniveau der Tarifverträge des Kfz-Gewerbes zurückgeführt werden. Auf diese Weise sollte ein Betriebsübergang attraktiv gemacht bzw. ermöglicht werden. Diese Absicht führt dennoch nicht dazu, dass sich die Aufhebung der Gesamtbetriebsvereinbarung als Umgehung des § 613 a BGB darstellt.
Der EuGH hat in der Rechtssache „S.“11 entschieden, Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23/G lasse für die beim Erwerber geltenden Kollektivregelungen dem Erwerber und den anderen Vertragsparteien einen gewissen Spielraum, um die Integration der Arbeitnehmer in die Lohn- und Gehaltsstruktur beim Erwerber so zu gestalten, dass die Umstände des fraglichen Übergangs angemessen berücksichtigt würden. Allerdings müssten die gewählten Modalitäten mit dem Ziel der Richtlinie vereinbar sein. Ziel sei es zu verhindern, dass sich die Lage der übergegangenen Arbeitnehmer allein aufgrund des Übergangs verschlechtere.
Aus der Rechtssache „S.“ lässt sich zumindest danach schließen, dass Veränderungen kollektiver Rechtspositionen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang nicht von vornherein ausgeschlossen sind. Ein umfassendes „Verschlechterungsverbot“ kollektiver Arbeitsbedingungen kann der Entscheidung nicht entnommen werden12. Für weitere Verallgemeinerungen gibt es aus Sicht der Berufungskammer keine hinreichende Grundlage13
Maßgeblich für die Wirksamkeit der Aufhebung der Gesamtbetriebsvereinbarung und gegen Rechtsmissbrauch spricht aus Sicht des Berufungsgerichts, dass nach der Konzeption in § 613 a Abs. 1 Sätze 2 – 4 BGB kollektivrechtlich gewährte Ansprüche der Beschäftigten nicht in demselben Maß geschützt sind wie individualrechtliche. Das zeigen folgende Überlegungen: Im Falle eines Betriebsübergangs verdrängen beim Erwerber durch Betriebsvereinbarung geregelte Ansprüche die Ansprüche aus einer beim Veräußerer zum selben Regelungsgegenstand geltenden Betriebsvereinbarung. Es ist kein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen. Ohne einen Zusammenhang mit einem Betriebsübergang können Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung – im Rahmen des Vertrauensschutzes – durch die Betriebspartner jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Die Betriebsübergeberin und ihr Gesamtbetriebsrat hätten daher die Gesamtbetriebsvereinbarung schon bei Abschluss der RBV Neuorganisation ersatzlos streichen können. Die Ansprüche des Arbeitnehmers nach Maßgabe der Gesamtbetriebsvereinbarung wäre dann schon zu diesem frühen Zeitpunkt entfallen.
Der Umstand, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung 24 Stunden vor einem Betriebsübergang einvernehmlich enden sollte, deutet im vorliegenden Fall auch nicht auf eine Umgehung des § 613 a BGB hin. Dabei ist von Bedeutung, dass die Betriebsübergeberin und der bei ihr gewählte Gesamtbetriebsrat diese Regelung schon im Dezember 2014 getroffen haben. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest, ob und wann es zu einem Betriebsübergang der Niederlassung K. kommt. Tatsächlich fand der Betriebsübergang erst rund 1 ½ Jahre später statt. Vor diesem Hintergrund deutet die Beendigung der Gesamtbetriebsvereinbarung kurz vor dem Betriebsübergang nicht auf eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 613 a BGB hin. Denn hätten die Betriebsparteien bereits im Dezember 2014 vereinbart, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung deutlich früher, z. B. Ende des Jahres 2014 endet, läge der Umgehungsgedanke fern.
Der Umstand, dass die Aufhebung 24 Stunden vor dem tatsächlichen Betriebsübergang wirken sollte, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Wahl dieses späten Zeitpunkts erweist sich als für die Belegschaft vorteilhaft. Sie musste zur Herbeiführung der Veräußerungsfähigkeit der Einheit nicht für einen längeren Zeitpunkt vor dem Betriebsübergang auf die günstigen Regelungen verzichten, sondern nur tatsächlich im Fall eines Betriebsübergangs. Diese konditionierte Aufhebung nach § 158 Abs. 1 BGB14 erwies sich daher, jedenfalls soweit man nur auf die 24 Stunden vor Betriebsübergang abstellt, nicht als für die Belegschaft nachteilig.
Es ist auch in der Praxis des Wirtschaftslebens in anderen Bereichen nicht unüblich, dass Sanierungsvereinbarungen (Tarifverträge und/oder Betriebsvereinbarungen) für ein Unternehmen geschlossen werden und es dennoch später zu einem Verkauf von Betrieben kommt, der bei Abschluss dieser Vereinbarung schon absehbar war, wenn nicht sogar beabsichtigt. Die Entscheidung für den Abschluss eines Sanierungstarifvertrags liegt grundsätzlich bei den Tarifpartnern. Hier dürfen die Gerichte schon im Hinblick auf die Tarifautonomie nur in klaren Missbrauchsfällen eingreifen. Im Übrigen bleibt die Frage, ob ein Sanierungstarifvertrag geschlossen werden soll, den Tarifpartnern vorbehalten, auch wenn es im Zuge der Sanierung zu einem Betriebs-(teil-)übergang kommt. Bei sanierenden Betriebsvereinbarungen hält das Landesarbeitsgericht denselben Maßstab für geboten, wenn diese ausdrücklich mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien geschlossen wurden.
Hielte man die sanierenden Regelungen wegen einer Umgehung des § 613 a BGB für unwirksam, wäre die Sanierung von Unternehmen mit erheblichen Risiken behaftet. Im Ergebnis würden damit Arbeitsplätze nicht erhalten, sondern gefährdet. Hierauf haben sich auch die Betriebsübergeberin und die Betriebserwerberin im vorliegenden Verfahren berufen. Ohne eine Absenkung des Vergütungsniveaus wäre eine Veräußerung der Niederlassung K. voraussichtlich gescheitert. Vor diesem Hintergrund sieht das Gericht für die Annahme eines vom Arbeitnehmer darzulegenden Missbrauchs keine hinreichenden Anhaltspunkte. Das Vorgehen der Betriebspartner erfolgte auch im Zusammenwirken mit den Tarifvertragsparteien. Der TV Neuorganisation weist ausdrücklich auf die von der IG Metall erteilte Zustimmung zu den mit der Neuausrichtung des Eigenvertriebs verbundenen Folgen hin.
Landesarbeitsgericht Schleswig -Holstein, Urteil vom 26. September 2018 – 6 Sa 294/17
- BAG Urteil v. 05.05.2015 – 1 AZR 763/13; Schaub/Ahrendt, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Aufl., § 119, Rn. 22[↩]
- BAG Urteil vom 26.08.2009 – 4 AZR 280/08 29[↩]
- LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.09.2018 – 1 Sa 229/17; ähnlich: LAG Düsseldorf, aaO, Rn. 93[↩]
- vgl. LAG Düsseldorf, aaO, Rn. 96[↩]
- so zutreffend LAG Düsseldorf, Urteil vom 22.12.2017 – 10 Sa 822/16, Rn 96[↩]
- vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.09.2018 -1 Sa 229/17[↩]
- BAG, Urteil vom 19.03.2009 – 8 AZR 722/07, Rdnr. 24[↩]
- BAG, aaO, Rn. 26[↩]
- BAG, aaO, Rn. 27[↩]
- BAG aaO, Rn. 27, 29[↩]
- EuGH, Urteil vom 06.09.2011 – – C-108/10[↩]
- Sittard/Flockenhaus, NZA 2013, 652, 654[↩]
- ebenso: Sittard/Flockenhaus, aaO, S. 654, 657[↩]
- vgl. dazu Meyer, DB 2000, 1174, 1178[↩]