Nach § 14 des vom Landesverband Thüringen des Verkehrsgewerbes e.V. und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Landesbezirk Thüringen, abgeschlossenen Manteltarifvertrags vom 12.07.2017 (MTV) werden an die Arbeitnehmer Reisekosten im Rahmen der „jeweils gültigen“ Lohnsteuerrichtlinien gezahlt. Maßgeblich sind nach der Tarifregelung damit die Lohnsteuerrichtlinien, die zum Zeitpunkt der Reise gelten. Das sind für die Jahre 2019 und 2020 die LStR 2015.

Dies ergibt sich für das Bundesarbeitsgericht aus der Formulierung „im Rahmen der jeweils gültigen Lohnsteuerrichtlinien“ nicht, dass die Lohnsteuerrichtlinien nur hinsichtlich der Höhe der Reisekosten Anwendung finden. Mit den Worten „im Rahmen“ kommt in § 14 MTV vielmehr hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass sich Grund und Grenzen der Reisekostenerstattung nach den Lohnsteuerrichtlinien richten. Diese bilden den Rahmen für Ansprüche des Arbeitnehmers auf diese Leistungen. Anhaltspunkte dafür, dass nur die Höhe der Reisekosten in Bezug genommen worden ist, ergeben sich ebenso wenig aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Soweit § 5 Abschn. B Teil I Nr. 1 Buchst. a MTV bestimmt, dass „Zeiten des reinen Dienstes am Steuer (Lenkzeit)“ Arbeitszeit sind, steht dies – anders als die Arbeitgeberin meint – einer Qualifikation dieser Zeiten als Reisezeiten nicht entgegen. Die Regelung in § 5 Abschn. B MTV erschöpft sich in einer Definition der Arbeitszeit des Fahrpersonals. Rückschlüsse auf den Regelungsgehalt des § 14 MTV können hieraus nicht gezogen werden. Ein Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Aus dem Wortlaut des § 14 MTV idF vom 12.07.1994 „Reisekosten im Sinn der Lohnsteuerrichtlinien werden mit folgender Maßgabe gezahlt: …“ ergibt sich kein anderes Auslegungsergebnis.
Bei dem Begriff „Reisekosten“ in § 14 MTV handelt es sich um einen steuerrechtlichen Fachbegriff. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit bereits aus dem Wortlaut der Tarifregelung, wonach Reisekosten im Rahmen der jeweils gültigen Lohnsteuerrichtlinien gezahlt werden. Enthält eine Tarifnorm einen Fachbegriff, ist davon auszugehen, dass der Begriff in seiner in fachlichen Kreisen bestimmten Bedeutung verwendet werden soll1.
Nach R 9.4 LStR 2015 sind Reisekosten Fahrtkosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a EStG), Verpflegungsmehraufwendungen (§ 9 Abs. 4a EStG), Übernachtungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5a EStG) und Reisenebenkosten, soweit diese durch eine beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit (§ 9 Abs. 4a Satz 2 und 4 EStG) des Arbeitnehmers entstehen.
Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist nach § 9 Abs. 4a Satz 2 und 3 EStG zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine Verpflegungspauschale anzusetzen. Diese beträgt gemäß § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 EStG 14,00 € für den Kalendertag (bis 31.12.2019: 12,00), an dem der Arbeitnehmer ohne Übernachtung außerhalb seiner Wohnung mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist.
Erste Tätigkeitsstätte ist gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden.
Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht. Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden. Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören2.
Von einer dauerhaften Zuordnung ist nach den in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispielen insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Unbefristet ist eine Zuordnung, wenn deren Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt. Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt3.
Hiernach hat in dem hier entschiedenen Fall das Thüringer Landesarbeitsgericht in der Berufungsinstanz zutreffend und rechtsfehlerfrei erkannt, dass dem Arbeitnehmer für jeden Kalendertag, an dem er im Streitzeitraum mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und dem Depot der Arbeitgeberin in T abwesend war, ein Anspruch auf eine Verpflegungspauschale in Höhe von 14,00 € (bis 31.12.2019: 12,00 €) zusteht4.
Das Depot der Arbeitgeberin in T ist erste Tätigkeitsstätte des Arbeitnehmers. Hierbei handelt es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit. Zudem ist arbeitsvertraglich T unbefristet als Dienstsitz vereinbart worden.
Der Arbeitnehmer ist im Depot der Arbeitgeberin in T in dem erforderlichen Umfang tätig geworden. Als Zusteller hat er nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts arbeitstäglich ca. 45 Minuten Tätigkeiten im dortigen Depot der Arbeitgeberin auszuführen, die ebenso zum Berufsbild des Zustellers gehören wie das Zustellen der Pakete selbst (zB Übernahme und Kontrolle des Zustellfahrzeugs, Ein- und Ausladen einzelner Pakete, Abrechnungen).
Die Zustelltätigkeit erbringt der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte. Zur Verrichtung dieser Arbeit war der Arbeitnehmer im streitgegenständlichen Zeitraum an 130 Tagen mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und dem Depot der Arbeitgeberin in T abwesend.
Entgegen der Auffassung der Revision kann aus dem Wortlaut der R 9.6 LStR 2015 und § 9 Abs. 4a Satz 2 EStG nicht hergeleitet werden, dass ein Anspruch auf die Verpflegungsmehraufwandspauschale nur dann besteht, wenn der Arbeitnehmer darlegt, er habe tatsächlich einen beruflich veranlassten Mehraufwand gehabt. Das Merkmal „tatsächlich entstandene“ Mehraufwendungen soll vielmehr zum Ausdruck bringen, dass die Verpflegungspauschalen nicht zum Ansatz kommen, wenn der Arbeitnehmer während seiner beruflichen Auswärtstätigkeit durch den Arbeitgeber „verpflegt“ wird. Wird dem Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber oder auf dessen Veranlassung von einem Dritten eine Mahlzeit zur Verfügung gestellt, wird der Werbungskostenabzug vielmehr nach Maßgabe von § 9 Abs. 4a Satz 8 und 9 EStG tageweise gekürzt. Eine Nachweispflicht hinsichtlich der Höhe der tatsächlich entstandenen Aufwendungen besteht außerhalb dieser Fälle indessen nicht5. Eine solche wäre auch mit dem Wesen einer Pauschalzahlung nicht vereinbar. Nur in Fällen, in denen der Arbeitnehmer selbst keine Kosten hatte, weil der Arbeitgeber sämtliche Mahlzeiten gestellt hat, scheidet ein Werbungskostenabzug wegen Verpflegungsmehraufwands aus6. Dies ist im vorliegenden Fall unstreitig nicht erfolgt.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. April 2024 – 5 AZR 232/23
- vgl. BAG 20.07.2023 – 6 AZR 256/22, Rn. 25[↩]
- vgl. BFH 30.09.2020 – VI R 10/19, Rn. 16 ff. mwN, BFHE 270, 465[↩]
- BFH 30.09.2020 – VI R 10/19, Rn. 21 f. mwN, BFHE 270, 465[↩]
- Thür. LAG 20.07.2023 – 2 Sa 433/20[↩]
- vgl. Oertel in Kirchhof/Seer EStG 23. Aufl. § 9 Rn. 88; Brandis/Heuermann/Thürmer Ertragssteuerrecht Stand Dezember 2023 EStG § 9 Rn. 592; aA Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/BAGtG Stand März 2024 § 9 EStG Rn. 565[↩]
- Schramm in EStG – eKommentar Stand 10.04.2024 § 9 EStG Rn. 128[↩]
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