Die betriebsratsinterne Wahl zur Freistellung (Voll- und Teilfreistellung) von Betriebsratsmitgliedern verstößt gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren, wenn es an einer vorherigen Entscheidung des Betriebsrats dazu fehlt, ob und ggf. in welchem Umfang Vollfreistellungen durch Teilfreistellungen ersetzt werden sollen. Die betriebsratsinterne Wahl zur Freistellung der freizustellenden (voll- und teilfreizustellenden) Betriebsratsmitglieder hat bei einer Wahl nach Verhältniswahlrecht in einem einzigen einheitlichen Wahlgang zu erfolgen.

Zulässigkeit der Wahlanfechtung
Allgemein kann die betriebsratsinterne Wahl zur Freistellung von Betriebsratsmitgliedern in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG angefochten werden1. Entsprechend § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist eine solche Anfechtung einer betriebsratsinternen Wahl nur binnen einer Frist von zwei Wochen nach Abschluss der Wahl, dh. ab Feststellung des Wahlergebnisses durch den Betriebsrat zulässig2 .
Ein Antragsteller muss in seinem Anfechtungsantrag einen betriebsverfassungsrechtlich erheblichen Sachverhalt darlegen, der seiner Ansicht nach die Anfechtung rechtfertigt; ist innerhalb der Anfechtungsfrist ein betriebsverfassungsrechtlich erheblicher Anfechtungstatbestand nicht vorgetragen worden, so kann ein solcher nach Ablauf der Anfechtungsfrist nicht nachgeschoben werden, weil dies auf eine Verlängerung der Anfechtungsfrist hinauslaufen würde3. Es genügt, wenn die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Wahlvorschriften dargetan wird4. Innerhalb der Anfechtungsfrist müssen Gründe vorgetragen werden, die geeignet sind, Zweifel der Ordnungsmäßigkeit der durchgeführten Wahl zu begründen5. Falls vom Anfechtenden innerhalb der Anfechtungsfrist ein betriebsverfassungsrechtlich erheblicher Tatbestand geschildert wird, der für die Anfechtung nicht auf den ersten Blick erkennbar ganz unerheblich ist, muss das Gericht den weiteren im Verfahren hervortretenden Umständen, die möglicherweise eine Wahlanfechtung begründen können, von Amts wegen nachgehen6.
Wahlgrundsätze für die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder
Nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG werden die freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG können Freistellungen auch in Form von Teilfreistellungen erfolgen.
Entsprechend § 19 Abs. 1 BetrVG kann die betriebsratsinterne Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte7.
Ein Anspruch auf Freistellung steht zunächst ausschließlich dem Betriebsrat zu und dieser hat die alleinige Verantwortung darüber, in welcher Art und Weise er die ihm obliegenden Aufgaben zu erfüllen gedenkt8. Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang Vollfreistellungen durch Teilfreistellungen ersetzt werden sollen, also ob, wie viele und in welchem zeitlichen Umfang Teilfreistellungen vorgesehen werden sollen, hat der Betriebsrat vor Durchführung der Wahl der Freizustellenden zu treffen9. Vor der Durchführung der Wahl der Freistellungen hat der Betriebsrat durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und wie Vollfreistellungen durch Teilfreistellungen ersetzt werden sollen; es besteht das Erfordernis einer vorherigen Willensbildung des Betriebsrats zur vorzunehmenden Aufteilung der Freistellungen10. Die Notwendigkeit eines solchen Beschlusses ergibt sich schon aus den Konsequenzen einer Aufteilung der Freistellungen für die Arbeit des Betriebsrats und für die Organisation des Betriebs, zu der der Arbeitgeber Einwände nach § 38 Abs. 2 Satz 4 BetrVG zu machen berechtigt ist11. Eine Entscheidung des Betriebsrats über das Ob und Wie von Teilfreistellungen ist notwendig, wobei teilweise nicht verlangt wird, dass diese durch förmlichen Beschluss erfolgt12.
Vorherige Festlegung auf Voll- oder Teilfreistellung
Für ein solches Erfordernis der vorherigen Festlegung des Betriebsrats auf Voll- bzw. Teilfreistellungen vor der Wahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder sprechen ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen folgende Argumente:
Eine solche vor der Wahl von Freistellungen erfolgende Willensbildung des Betriebsrats als Gremium ist erforderlich, da diesem auf der einen Seite die freie Organisationsentscheidung darüber zusteht, ob und inwieweit er von Teilfreistellungen Gebrauch macht, aber er auf der anderen Seite auch die ordnungsgemäße Erfüllung der ihm obliegenden betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben gewährleisten muss und hierfür verantwortlich ist. Diese könnte möglicherweise durch eine Aufteilung von Vollfreistellungen sowie durch die Art und Anzahl von Teilfreistellungen beeinflusst bzw. gefährdet werden. Die Wahl freizustellender Betriebsratsmitglieder und die auch mögliche Aufteilung von Vollfreistellungen auf Teilfreistellungen sind für die Arbeit des Betriebsrats, für seine Funktionsfähigkeit und für die Aufgabenverteilung im Betriebsrat von wesentlicher Bedeutung. Die Frage der Voll- und Teilfreistellungen steht dementsprechend in der Entscheidungsbefugnis des Betriebsrats als Gremium und nicht in dem Willen der einzelnen Vorschlagslisten. Für eine vorherige Entscheidung des Betriebsrats über Teilfreistellungen vor der Wahl freizustellender Betriebsratsmitglieder spricht auch, dass nur so die nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gesetzlich vorgesehene Beratung mit dem Arbeitgeber sinnvoll erfolgen kann, da dieser in die Lage versetzt werden muss, berechtigte Einwände gegen Voll- und auch gegen Teilfreistellungen von Betriebsratsmitgliedern bzw. gegen den Umfang und die zeitliche Aufteilung von Teilfreistellungen geltend zu machen. Die gesetzlich vorgesehene Beratung mit dem Arbeitgeber vor der Wahl hat den Zweck, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben, schon vor der Wahl auf zu berücksichtigende betriebliche Belange hinzuweisen.
Einheitlicher Wahlvorgang
Ein Verstoß hiergegen erfasst als wesentlicher Verstoß gegen Wahlvorschriften zur Wahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder die gesamte Wahl, also auch die Wahl der voll freigestellten Betriebsratsmitglieder und nicht nur die Wahl der teilfreigestellten Betriebsratsmitglieder. Denn die Wahl freizustellender (voll- und teilfreizustellender) Betriebsratsmitglieder ist in einem einzigen einheitlichen Wahlvorgang vorzunehmen. Gegen diesen Grundsatz eines einheitlichen Wahlgangs als weitere wesentliche Wahlvorschrift im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Wahl freizustellender Betriebsratsmitglieder am 26. Mai 2010 ebenfalls verstoßen.
Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder hat in einem einzigen Wahlgang zu erfolgen; für Voll- und Teilfreistellungen ist ein einheitlicher Wahlgang durchzuführen13. Aus Gründen des Minderheitenschutzes sind Voll- und etwaige Teilfreizustellende aufgrund einer Wahlliste bei einer Wahl nach Verhältniswahlrecht in einem einzigen Wahlgang gemeinsam zu wählen14. Hierfür spricht schon der Wortlaut des § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, der – auch nach Einfügung des § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG – von „Wahl“ und nicht von „Wahlen“ ausgeht, sowie die Auslegung des § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG15. Außerdem widerspricht eine Wahl Voll- und Teilfreizustellender in getrennten Wahlgängen dem Sinn und Zweck der Anordnung der Verhältniswahl in § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, die dem Schutz von Minderheiten im Betriebsrat dienen soll; Stimmen der Minderheit würden bei einer Aufteilung in mehrere Wahlgänge verloren gehen16.
Diesem Ergebnis und der Argumentation ist zu folgen. Gesetzlich ist schon nach dem Wortlaut des § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ein einheitlicher Wahlgang für Voll- und Teilfreizustellende in geheimer Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl vorgesehen. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben ist es nicht zulässig, die einheitliche betriebsratsinterne Wahl der Freistellungen in zwei Abschnitte (Wahlgänge) aufzuteilen, also erst die Vollfreizustellenden zu wählen und dann in einem zweiten Wahlgang Teilungen dieser gerade gewählten Vollfreizustellenden vorzunehmen. Die Wahl frei- und teilfreigestellter Betriebsratsmitglieder hängt untrennbar zusammen; zur erstmaligen Wahl der Freistellungen zählen sowohl Vollfreigestellte als auch Teilfreigestellte. Die Teilfreistellung ist ein Unterfall der Freistellung.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Januar 2012 – 20 TaBV 1/11
- BAG 20.04.2005 – 7 ABR 44/04; BAG 20.04.2005 – 7 ABR 47/04; BAG 25.04.2001 – 7 ABR 26/00; LAG Brandenburg 04.03.2003 – 2 TaBV 22/02; Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, DKKW, Betriebsverfassungsgesetz, 12. Aufl., § 38 Rn. 80; Fitting, aaO, § 38 BetrVG Rn. 105; Schaub-Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, 14. Aufl., § 221 Rn. 28[↩]
- BAG 20.04.2005 – 7 ABR 44/04; BAG 20.04.2005 – 7 ABR 47/04; LAG Brandenburg 04.03.2003 – 2 TaBV 22/02; DKKW, § 38 BetrVG Rn. 80; Fitting, aaO, § 38 BetrVG Rn. 105[↩]
- BAG 24.05.1965 – 1 ABR 1/65[↩]
- GK-Kreutz, Betriebsverfassungsgesetz, 9. Aufl., § 19 BetrVG Rn. 94[↩]
- Schaub-Koch, § 218 Rn. 21[↩]
- BAG 03.06.1969 – 1 ABR 3/69; Schaub-Koch, aaO, § 218 Rn. 21[↩]
- BAG 20.04.2005 – 7 ABR 47/04; BAG 25.04.2001 – 7 ABR 26/00; Schaub-Koch, aaO, § 221 Rn. 28[↩]
- Fitting, aaO, § 38 BetrVG Rn. 13; GK-Weber, aaO, 9. Aufl., § 38 BetrVG Rn. 29 und 40[↩]
- LAG Brandenburg, 04.03.2003 – 2 TaBV – 22/02; DKKW, aaO, § 38 BetrVG Rn. 21; Fitting, aaO, § 38 BetrVG Rn. 13; GK-Weber, aaO, § 38 BetrVG Rn. 29; Greßlin, Teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder, 2004, S. 212; HaKo-BetrVG, Düwell/Wolmerath, Betriebsverfassungsgesetz, 2. Aufl., § 38 Rn. 8[↩]
- LAG Brandenburg 04.03.2003 – 2 TaBV 22/02; DKKW, aaO, § 38 BetrVG Rn. 21[↩]
- LAG Brandenburg 04.03.2001 – 2 TaBV 22/02[↩]
- Greßlin, aaO, S. 212 und 213[↩]
- Fitting, aaO, § 38 BetrVG Rn. 41; GK-Weber, aaO, § 38 BetrVG Rn. 48; Greßlin, aaO, S. 216; Schaub-Koch, aaO, § 221 Rn. 28[↩]
- Greßlin, aaO, S. 213 und 220[↩]
- Greßlin, aaO, S. 213 und 216[↩]
- Greßlin, aaO, S. 214, 215 und 216[↩]
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- Notebook: Janeb13