EU-Emissionsgrenzwerte für PKW – oder: wenn Städte gegen die EU klagen

Das (erstinstanzliche) Gericht der Europäischen Union hatte auf eine Klage der drei Städte Paris, Brüssel und Madrid die Verordnung der Kommission zur Festsetzung von Emissionsgrenzwerten für die Prüfungen im tatsächlichen Fahrbetrieb von leichten Neufahrzeugen teilweise für nichtig erklärt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dieses Urteil des Unionsgerichts nun wieder aufgehoben und die Klage der drei Städte als unzulässig abgewiesen, da die drei Städte von dieser Verordnung nicht unmittelbar betroffen sind.

EU-Emissionsgrenzwerte für PKW – oder: wenn Städte gegen die EU klagen

Mit dem Erlass der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie)1 hat der Unionsgesetzgeber einen harmonisierten Rahmen für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen geschaffen, um ihre Zulassung, ihren Verkauf und ihre Inbetriebnahme in der Union zu erleichtern. Im Kontext des „Dieselgate“-Skandals hat die Europäische Kommission mit der Verordnung (EU) 2016/427 der Kommission vom 10. März 2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 6)2 ein Prüfverfahren zur Messung von Emissionen in der Betriebspraxis (RDE) eingeführt, das ein realistischeres Bild von den im Fahrbetrieb auf der Straße gemessenen Emissionen von nach der geltenden Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge3 genehmigten leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen vermitteln soll. Die Vorschriften über die RDE-Prüfungen wurden später durch die hier streitige Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20. April 2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 6)4 der Kommission ergänzt, mit der Werte für die Stickstoffoxidemissionen festgesetzt werden, die bei diesen Prüfungen nicht überschritten werden dürfen.

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Die klagenden Städte, die Stadt Paris, die Stadt Brüssel und der Ayuntamiento de Madrid, erhoben jeweils Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Verordnung, da diese sie daran hindere, Verkehrsbeschränkungen für Personenkraftwagen wegen deren Schadstoffemissionen zu erlassen. Die Kommission erhob gegen die vorgenannten Klagen Einreden der Unzulässigkeit, mit denen sie geltend machte, dass diese Städte von der streitigen Verordnung nicht im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV unmittelbar betroffen seien.

Das Unionsgericht gab diesen Klagen jedoch teilweise statt und war der Auffassung, dass die klagenden Städte von der streitigen Verordnung unmittelbar betroffen seien5. Bei seiner Auslegung von Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2007/46 in dem Zusammenhang, in den sich die streitige Verordnung einfügt, stellte das Unionsgericht insbesondere fest, dass diese Verordnung als Rechtsakt mit Verordnungscharakter einzustufen sei, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe und der die Ausübung der Rechtsetzungsbefugnisse dieser Städte auf dem Gebiet der Regelung des Kraftverkehrs unmittelbar beeinträchtige.

Der mit den hiergegen gerichteten Rechtsmitteln der Bundesrepublik Deutschland6, Ungarns7 und der Kommission8 befasste Gerichtshof der Europäischen Union hat nun dieses Urteil des Unionsgerichts aufgehoben und in diesem Rahmen den Begriff „unmittelbar betroffene Person“ als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage einer regionalen Einheit eines Mitgliedstaats gegen einen Rechtsakt der Europäischen Union präzisiert:

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Zunächst weist der Unionsgerichtshof darauf hin, dass eine regionale oder lokale Einheit mit Rechtspersönlichkeit, wie jede natürliche oder juristische Person, nur dann gegen einen Akt des Unionsrechts klagen kann, wenn sie unter einen der in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannten Tatbestände fällt, nach denen die betreffende Person oder Einheit von dem fraglichen Rechtsakt unmittelbar betroffen sein muss. Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann „[j]ede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen nach den Absätzen 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben“.

Für die Feststellung, dass eine unterstaatliche Einheit von dem angefochtenen Rechtsakt unmittelbar betroffen ist, müssen zwei Kriterien kumulativ erfüllt sein. Die beanstandete Maßnahme muss sich zum einen unmittelbar auf die Rechtsstellung dieser Einheiten auswirken und darf zum anderen den Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lassen.

Sodann prüft der Unionsgerichtshof, ob Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2007/46, wonach „[d]ie Mitgliedstaaten … die Zulassung, den Verkauf, die Inbetriebnahme oder die Teilnahme am Straßenverkehr von Fahrzeugen … nicht … untersagen, beschränken oder behindern [dürfen], wenn diese den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen“, die klagenden Städte tatsächlich daran hindert, die ihnen zustehenden Befugnisse zur Regelung des Verkehrs von Personenkraftwagen zur Verringerung der Verschmutzung auszuüben, und ob diese Städte daher in Anbetracht des Zusammenhangs zwischen dieser Bestimmung und der streitigen Verordnung als von dieser Verordnung unmittelbar betroffen anzusehen sind. Zu diesem Zweck nimmt der Gerichtshof eine Auslegung der fraglichen Bestimmung anhand ihres Wortlauts, des Zusammenhangs, in den sie sich einfügt, der Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, und der sich aus ihrer Entstehungsgeschichte ergebenden relevanten Anhaltspunkte vor.

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Zum Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2007/46 und insbesondere zu dem dort vorgesehenen Verbot einer Beschränkung der Teilnahme bestimmter Fahrzeuge am „Straßenverkehr“ stellt der Unionsgerichtshof klar, dass diese Bestimmung nicht nur die Verkehrsteilnahme von Fahrzeugen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betrifft, sondern auch andere Tätigkeiten wie die Zulassung, den Verkauf und die Inbetriebnahme von Fahrzeugen. Solche Beschränkungen bedeuten eine allgemeine Behinderung des Zugangs zum Fahrzeugmarkt.

Zum Zusammenhang, in den sich diese Bestimmung einfügt, weist der Gerichtshof der Europäischen Union darauf hin, dass die den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 2007/46 auferlegten Verpflichtungen das Inverkehrbringen von Kraftfahrzeugen betreffen und nicht ihre spätere Teilnahme am Verkehr. Im Übrigen stellt er fest, dass, während Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 dieser Richtlinie eine negative Verpflichtung aufstellt, die die Mitgliedstaaten daran hindert, die Zulassung, den Verkauf, die Inbetriebnahme oder die Teilnahme am Straßenverkehr von Fahrzeugen, die den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen, zu untersagen, zu beschränken oder zu behindern, Unterabs. 1 dieser Bestimmung eine positive Verpflichtung vorsieht, wonach die Mitgliedstaaten diese Fahrzeuge zulassen sowie ihren Verkauf und ihre Inbetriebnahme gestatten dürfen, wobei die Teilnahme am Straßenverkehr nicht erwähnt wird. Somit kann entgegen der Auslegung durch das Unionsgericht der Umfang der negativen Verpflichtung nicht weiter reichen als der Umfang der positiven Verpflichtung, da die Formulierung dieser beiden Unterabsätze komplementär ist. Schließlich weist der Unionsgerichtshof darauf hin, dass die klagenden Städte über keine Befugnisse in Bezug auf die Typgenehmigung von Fahrzeugen verfügen.

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Das mit der Richtlinie 2007/46 verfolgte Ziel besteht in der Einführung eines einheitlichen Genehmigungsverfahrens für Neufahrzeuge und im weiteren Sinne in der Verwirklichung und dem Funktionieren des Binnenmarkts, wobei gleichzeitig ein hohes Maß an Verkehrssicherheit garantiert werden soll, das durch die vollständige Harmonisierung der technischen Anforderungen u. a. an den Bau der Fahrzeuge gewährleistet wird.

Im Übrigen zeigt die Entstehungsgeschichte von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2007/46, dass das Verbot, die Teilnahme bestimmter Fahrzeuge am „Straßenverkehr“ zu beschränken, nicht zum Ziel hatte, den Anwendungsbereich der Rechtsvorschriften über die Genehmigung von Kraftfahrzeugen zu erweitern, sondern nur verhindern sollte, dass die Mitgliedstaaten das Verbot umgehen, sich dem Marktzugang für Fahrzeuge, die den geltenden Regelungen entsprechen, zu widersetzen.

Die Auslegung des Unionsgerichts läuft daher nach Auffassung des Unionsgerichtshofs darauf hinaus, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2007/46 einen weiten Geltungsbereich zuzuerkennen, um die Schlussfolgerung zu stützen, dass diese Bestimmung bestimmten lokalen Verkehrsbeschränkungen entgegenstehe, die u. a. dem Umweltschutz dienten. Eine solche Auslegung steht weder mit dem Zusammenhang, in den sich diese Bestimmung einfügt, noch mit den Zielen der Regelung, zu der sie gehört, noch mit der Entstehungsgeschichte der Bestimmung in Einklang. Der Unionsgerichtshof gelangte daher zu dem Ergebnis, dass das Unionsgericht mit seiner Entscheidung, dass die klagenden Städte von der streitigen Verordnung im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV unmittelbar betroffen seien, einen Rechtsfehler begangen hat.

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Befürchtungen der klagenden Städte in Bezug auf die Möglichkeit, dass gegen einen der Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören, eine Vertragsverletzungsklage wegen Verstoßes gegen die streitige Verordnung erhoben werden könnte, begegnet der Unionsgerichtshof mit dem Hinweis, dass der Erlass einer den lokalen Verkehr bestimmter Fahrzeuge zum Schutz der Umwelt beschränkenden Regelung nicht gegen das mit der streitigen Verordnung auferlegte Verbot verstoßen kann, so dass er sich nicht unmittelbar auf eine etwaige Vertragsverletzungsklage auswirken kann.

Nach alledem hob der Uniongerichtshof das angefochtene Urteil auf, und wies, da seiner Ansicht nach der Rechtsstreit zur Entscheidung reif war, die von den drei klagenden Städten Paris, Brüssel und Madrid erhobenen Nichtigkeitsklagen als unzulässig ab.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 13. Januar 2022 – C-177/19 P, C-178/19 P, C-179/19 P

  1. ABl. 2007, L 263, S. 1[]
  2. ABl. 2016, L 82, S. 1[]
  3. ABl. 2007, L 171, S. 1[]
  4. ABl. 2016, L 109, S. 1[]
  5. EuG, Urteil vom 13.12.2018, Ville de Paris, Ville de Bruxelles und Ayuntamiento de Madrid/Kommission, T-339/16, T-352/16 und T-391/16[]
  6. EuGH – C-177/19 P[]
  7. EuGH – C-178/19 P[]
  8. EuGH – C-179/19 P[]

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