Sicherungshaft wegen Fluchtgefahr – und der erforderliche Hinweis der Behörde

Bei der Anordnung von Sicherungshaft wird Fluchtgefahr nicht nach § 62 Abs. 3a Nr. 2 AufenthG widerleglich vermutet, wenn die Behörde den erforderlichen Hinweis, wonach im Fall des Nichtantreffens eine Inhaftnahme in Betracht kommt, ausdrücklich auf die Möglichkeit der Anordnung von Mitwirkungshaft gemäß § 62 Abs. 6 Satz 1 AufenthG beschränkt hat. Der Hinweis nach § 62 Abs. 3a Nr. 2 AufenthG muss in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Ankündigung des Termins gemäß § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfolgen.

Sicherungshaft wegen Fluchtgefahr – und der erforderliche Hinweis der Behörde

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall reiste der Betroffene, ein guineischer Staatsangehöriger, im Jahr 2018 nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 29.01.2019 ab und forderte ihn unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf. Die dagegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Zu zwei Sammelanhörungen, die der Identifizierung des Betroffenen durch die guineischen Behörden dienen sollten, erschien dieser nicht. Nachdem er untergetaucht war, wurde er zur Fahndung ausgeschrieben und am 27.01.2021 festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht Dortmund mit Beschluss vom 27.01.2021 gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum 17.03.2021 an.

Am 7.03.2021 hat der Rechtsbeschwerdeführer beim Amtsgericht angezeigt, dass er die Person des Vertrauens des Betroffenen sei, und die Aufhebung der Sicherungshaft beantragt. Nachdem der Betroffene am 16.03.2021 abgeschoben worden war, hat das Amtsgericht Dortmund den noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichteten Aufhebungsantrag mit zurückgewiesen1. Die dagegen von der Vertrauensperson eingelegte Beschwerde hat das Landgericht Dortmund als unzulässig verworfen2. Auf die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde der Vertrauensperson hat der Bundesgerichtshof die Beschwerdeentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass der Vollzug der durch den Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 27.01.2021 angeordneten Haft den Betroffenen in dem Zeitraum vom 07.03.2021 bis zum 16.03.2021 in seinen Rechten verletzt hat:

Für den Zeitraum ab Eingang des Haftaufhebungsantrags war auszusprechen, dass der Betroffene durch den Vollzug der Haft in seinen Rechten verletzt worden ist (§ 74 Abs. 6 Satz1 FamFG). Die Beschwerde war auch in der Sache begründet. Die Haftanordnung war rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des Haftgrunds der Fluchtgefahr nicht erfüllt waren. Das kann der Bundesgerichtshof ungeachtet des Umstandes, dass das Landgericht die Beschwerde der Vertrauensperson als unzulässig verworfen hat, auf der Grundlage des von Amts wegen zu prüfenden Haftantrags, des in der Haftanordnung festgestellten Sachverhalts, des gemäß § 74 Abs. 3 Satz 4, § 28 Abs. 4 FamFG i.V.m. § 559 ZPO zu berücksichtigenden Protokolls der der Haftanordnung vorausgegangenen Anhörung des Betroffenen und der verwertbaren Teile der Beschwerdeentscheidung selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

Fluchtgefahr war, anders als das Amtsgericht angenommen hat, nicht nach § 62 Abs. 3a Nr. 2 AufenthG widerleglich zu vermuten. Nach dieser Vorschrift wird Fluchtgefahr vermutet, wenn der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde.

Ob ein genereller Hinweis auf die Anordnung irgendeiner Form von Abschiebungshaft im Sinne des § 62 AufenthG ausreicht, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Beschränkt die Behörde, wie hier, den Hinweis ausdrücklich auf die Möglichkeit der Anordnung von Mitwirkungshaft gemäß § 62 Abs. 6 Satz 1 AufenthG unter Angabe der danach geltenden Höchstdauer von 14 Tagen, so genügt das jedenfalls nicht den Anforderungen des § 62 Abs. 3a Nr. 2 AufenthG. Wegen der im Vergleich zur Sicherungshaft deutlich kürzeren Höchstdauer wird dem betroffenen Ausländer mit dem Hinweis auf eine mögliche Mitwirkungshaft die Reichweite der in Betracht kommenden Folgen eines Nichtantreffens nicht hinreichend deutlich vor Augen geführt.

Der dem Betroffenen bereits mehr als ein Jahr zuvor und nicht in Zusammenhang mit der in Rede stehenden Ankündigung erteilte Hinweis auf die Möglichkeit von Sicherungshaft im Falle seines Nichtantreffens bei einem Termin nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG genügte den gesetzlichen Voraussetzungen ebenfalls nicht. § 62 Abs. 3a Nr. 2 AufenthG verlangt ausdrücklich, dass der Betroffene über die Folgen bei Ankündigung des Termins belehrt wird3. Danach muss der Hinweis in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Ankündigung erfolgen, weil sie nur dann die ihr vom Gesetz zugedachte Warnfunktion erfüllen kann. Diesen Anforderungen genügt die hier zeitlich weit zurückliegende Belehrung über die Möglichkeit von Sicherungshaft nicht.

Fluchtgefahr war entgegen der Annahme des Amtsgerichts auch nicht nach § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG widerleglich zu vermuten. Danach ist von Fluchtgefahr auszugehen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Zwar hat der Betroffene seinen Aufenthaltsort gewechselt, ohne der beteiligten Behörde dies anzuzeigen. Er ist auf diese Anzeigepflicht allerdings nur in deutscher Sprache und nicht wie erforderlich in einer ihm verständlichen Sprachen hingewiesen worden4. Die beteiligte Behörde geht im Haftantrag selbst davon aus, dass der Betroffene nicht der deutschen Sprache mächtig ist und allenfalls die französische beherrscht. Auch die Anhörung des Betroffenen vor dem Amtsgericht fand in Anwesenheit einer Dolmetscherin statt.

Schließlich bestand auch nach § 62 Abs. 3b Nr. 5 AufenthG kein konkreter Anhaltspunkt für Fluchtgefahr. Die Vorschrift knüpft an die Nichterfüllung anderer Mitwirkungshandlungen als die in § 62 Abs. 3a Nr. 2 AufenthG an.

Darauf stützt sich die beteiligte Behörde nicht. Der zugrunde zu legende Sachverhalt lässt eine solche fehlende Mitwirkungshandlung auch nicht erkennen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. Juli 2025 – XIII ZB 62/21

  1. AG Dortmund, Beschluss vom 19.03.2021 – 890 XIV(B) 4/21[]
  2. LG Dortmund, Beschluss vom 24.11.2021 – 9 T 410/21[]
  3. vgl. auch Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 10.05.2019, BT-Drs.19/10047, S. 41[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse vom 26.01.2017 – V ZB 120/16 5; vom 24.03.2020 – XIII ZB 62/19, InfAuslR 2020, 280 Rn. 11[]

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