Behördliche Anfechtung der Vaterschaft

Die behördliche Anfechtung der Vaterschaft gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ist nach Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart nicht verfassungswidrig.

Behördliche Anfechtung der Vaterschaft

Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen hat dagegen mit dem Vorlagebeschluss vom 7. März 20111 die Auffassung vertreten, dass die gesetzliche Regelung zur Anfechtung der Vaterschaft durch die zuständige Behörde gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB mit Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei und hat sein Verfahren dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorgelegt. Das OLG Bremen hat dies mit einer Ungleichbehandlung zwischen nicht ehelich geborenen Kindern und scheinehelich geborenen Kindern begründet. Kinder, die während einer Scheinehe zur Welt kommen, seien dadurch privilegiert, dass sie gemäß § 1592 Nr. 1 BGB abstammungsrechtlich ihrem Vater zugeordnet werden und damit von der Behördenanfechtung gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ausgenommen seien, da die zuständige Behörde nur ein Anfechtungsrecht in den Fällen des § 1592 Nr. 2 BGB (Vaterschaftsanerkennung) habe.

Zwar stehe der zuständigen Verwaltungsbehörde auch bei Scheinehen gemäß den §§ 1316 Abs. 3, 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB das Recht zu, einen Antrag auf Aufhebung der Scheinehe zu stellen.

Werde auf Antrag der zuständigen Behörde eine Scheinehe aufgehoben, habe dies indes keinen Einfluss auf die einmal eingetretene Vaterschaft, da die Auflösung im Falle der Scheidung der Ehe gemäß § 1313 S. 2 BGB ex nunc geschehe, mit der Folge, dass die einmal eingetretene Vaterschaftswirkung bestehen bleibe und das Kind seinen Status als eheliches Kind nicht verliere.

Eine erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB habe hingegen zur Folge, dass das Kindschaftsverhältnis zum Vater rückwirkend ende und damit – anders als bei der Aufhebung der Scheinehe – auch die rechtliche Voraussetzung eines durch den Vater vermittelten Staatsangehörigkeitserwerbs mit Rückwirkung beseitigt werde.

Die Rechtfertigung dafür, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB zum 1.06.2008 der missbräuchlichen Anerkennung von Vaterschaften, durch die Staatsbürgerschaft, Aufenthalt und Sozialleistungen erschlichen werden, entgegenwirken wollte, wird vom Ansatz her vom OLG Bremen nicht in Frage gestellt.

Die Regelung sollte der Abwehr von drei Fallgruppen2 missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen dienen, die sich nach Behördenerkenntnissen in nicht unbedeutender Zahl ereigneten:

  • Anerkennung der Vaterschaft zu dem minderjährigen Kind einer ausländischen Mutter durch einen Deutschen, durch die das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 4 Abs. 1 StAG) und die Mutter als ausländischer Elternteil eines minderjährigen Deutschen einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 28 Abs. 1 Nr 3 AufenthG) erwirbt.
  • In ähnlicher Konstellation Anerkennung durch einen Ausländer mit gesichertem Aufenthaltsstatus, soweit dies zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Kind nach § 4 Abs. 3 StAG führt.
  • Anerkennung der Vaterschaft zu dem minderjährigen Kind einer Deutschen oder einer Ausländerin mit gefestigtem Aufenthaltsstatus durch einen Ausländer, der, sofern das Kind Deutscher ist (§ 4 Abs.1, Abs. 3 StAG) einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) erwirbt.

Das behördliche Anfechtungsrecht höhlt weder die im KindRG erreichte Privatisierung der Vaterschaftsanerkennung aus, noch stört es die verfassungsrechtliche Idee der neben der biologischen Vaterschaft stehenden und den Schutz des Art 6 Abs. 1 GG verdienenden sozialen Vaterschaft. Zum einen wird das behördliche Anfechtungsrecht in einem, verglichen mit § 1314 Abs 1 Nr 5 BGB, deutlich präziseren Tatbestand (Abs. 3 Hs. 2) auf Fälle mit ausländerrechtlichem Hintergrund beschränkt. Zum anderen stellt Abs. 3 Hs. 1 sicher, dass nicht schon die fehlende biologische Richtigkeit der Anfechtung zum Erfolg verhilft. Behördlich anfechtbar ist nur eine Anerkennung, die sowohl unrichtig ist als auch den sozialen Kern väterlicher Verantwortungsübernahme vermissen lässt.3.

Es liegt daher im Ergebnis eine ausgewogene Regelung vor, die auf der einen Seite das öffentliche Interesse an der missbräuchlichen Erlangung von Aufenthaltsrechten und damit verbundenen Sozialleistungen bekämpfen hilft und auf der anderen Seite den Eingriff in die Rechtsstellung der betroffenen Kinder so gering wie möglich hält4.

Soweit das Oberlandesgericht Bremen eine verfassungsrechtliche Problematik darin sieht, dass eine Ungleichbehandlung von nicht ehelichen und ehelichen Kindern bestehe und diese Ungleichbehandlung gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 5 GG verstoße, weil ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung beider Fälle einer Personenstandsmanipulation nicht bestehe, teilt der Senat diese Rechtsansicht nicht, weshalb er auch keine Aussetzung des Verfahrens vornimmt.

Die beiden vom Oberlandesgericht Bremen verglichenen Fallgruppen unterscheiden sich bereits vom Ansatz her.

Während die missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft bezogen auf das Kind gerade zu dem Zweck vorgenommen wird, hierdurch für das Kind statusrechtliche und sonstige öffentlichrechtliche Vorteile zu erlangen, wird eine Scheinehe in der Regel geschlossen, um den Ehepartner zu begünstigen, nicht aber um ein nach der Eheschließung geborenes und von einem Dritten gezeugtes Kind dem Ehemann abstammungsrechtlich zuzuordnen5.

Schon aufgrund dieser Ausgangssituation durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass das Missbrauchspotential bei der Vaterschaftsanerkennung deutlich höher liegt, zumal der Anerkennende hier auch keine Bindung im Verhältnis zur Mutter eingeht (§ 1615l dürfte den meist mittellosen Anerkennenden nicht abschrecken), also nur auf Kosten der Allgemeinheit, ohne eigenes wirtschaftliches Risiko Missbrauch betreiben kann6.

Die Begründung der Vaterschaft unterscheidet sich in beiden Konstellationen tatsächlich und rechtlich. Während die Anerkennung der Vaterschaft durch formgültige, einseitige, öffentlich beurkundete Erklärung eines Mannes (auch im Ausland) erfolgt, der die Mutter des Kindes zustimmen muss (§ 1595 Abs. 1 BGB), liegen der durch die Ehe begründeten Vaterschaft weitergehende Erklärungen beider Eheleute (§§ 1310 Abs. 1, 1311 BGB) sowie insbesondere die sich aus der Ehe ergebenden und ihr nachfolgenden Pflichten (§§ 1353 Abs. 1, 1569 ff BGB) zugrunde. Die rechtstatsächlichen Ausgangslage wie auch die weitergehenden ehelichen Bindungen sprechen dagegen, dass das auf die Vaterschaftsanerkennung begrenzte behördliche Anfechtungsrecht dem aus Art. 6 Abs. 5 GG folgenden Verfassungsauftrag auf Gleichstellung und Gleichbehandlung aller Kinder ungeachtet ihres Familienstandes entgegen steht7.

Selbst wenn im Übrigen ungeachtet des Vorstehenden eine Vergleichbarkeit der beiden Konstellationen und im Ergebnis eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung bejaht werden würde, müsste nicht das behördliche Anfechtungsrecht bei Vaterschaftsanerkennungen beschränkt, sondern angesichts der Ausgangslage und des Sinn und Zwecks des behördlichen Anfechtungsrechts dieses bei Scheinehen erweitert und an eine erfolgreiche Anfechtung der Ehe nach §§ 1316 Abs 1 Nr. 1, 1314 Abs 1 Nr. 5 BGB gekoppelt werden8.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 25. Juni 2011 – 16 UF 284/10

  1. OLG Bremen vom 07.03.2011, FamRZ 2011, 1073[]
  2. BT-Drucks 16/3291,10[]
  3. Staudinger, § 1600 BGB, Rn. 17 d[]
  4. Helms, StAZ 2007, 69[]
  5. Helms, StAZ 2007, 69, 71[]
  6. Staudinger § 1600 BGB Rn. 17 f.[]
  7. Schwonberg in FamRB 2011, 173[]
  8. Staudinger § 1600 Rn. 17 f.[]