Geht der Kindern gegenüber gesteigert Unterhaltspflichtige einer vollen Erwerbstätigkeit nach, kann ihm daraus ein über den erzielten Verdienst hinausgehendes fiktives Einkommen nur dann zugerechnet werden, wenn er unterhalb seiner Qualifikation oder Fähigkeiten arbeitet. Es ist Sache des Unterhaltsgläubigers, dies dazulegen; erst bei ausreichender Darlegung liegt die Beweislast beim Unterhaltsschuldner.
Bei Ausübung einer Vollzeittätigkeit kann dem gesteigert Unterhaltspflichtigen nicht schematisch eine Nebentätigkeit im Umfang der nach der Arbeitszeitverordnung zulässigen Höchstzeit abverlangt werden. Ob und inwieweit dem Unterhaltsschuldner eine Nebentätigkeit zuzumuten ist und welche Einkünfte daraus erzielt werden können, bestimmt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls.
Grundsätzlich trägt der Unterhaltspflichtige für behauptete volle oder teilweise Leistungsunfähigkeit die Darlegungs- und Beweislast, wie sich aus § 1603 Abs. 1 BGB ergibt. Dies gilt jedoch nicht für jede Komponente der Leistungsfähigkeit in gleicher Weise.
Geht ein Unterhaltspflichtiger keiner Erwerbstätigkeit nach oder arbeitet er weniger als es einer Vollzeittätigkeit entspricht, so muss der Unterhaltspflichtige darlegen und beweisen, dass es ihm auch bei ausreichenden Bemühungen nicht möglich ist, eine entsprechende Vollzeittätigkeit zu finden. Gelingt dieser Beweis nicht, ist dem Unterhaltspflichtigen ein fiktives Erwerbseinkommen aus einer Vollzeittätigkeit zuzurechnen.
Die Höhe des fiktiven Einkommens ist aber nach den gegebenen Verhältnissen des Einzelfalls realistisch zu schätzen. Es ist zu prüfen, welche Art von Tätigkeit der Unterhaltspflichtige nach seinem Lebenslauf, seiner Qualifikation und seinen Berufserfahrungen würde ausüben können und welchen Verdienst er hieraus erfahrungsgemäß erzielen könnte; keineswegs muss etwa der Unterhaltspflichtige beweisen, dass er kein Einkommen erzielen kann, welches ihn zur Zahlung des Mindestunterhalts befähigt1.
Geht der Unterhaltspflichtige einer vollen Erwerbstätigkeit nach, so erfüllt er grundsätzlich seine Erwerbsobliegenheit. Lediglich wenn feststünde, dass der Unterhaltspflichtige unterhalb seiner Qualifikation und seiner Fähigkeiten arbeitet, wäre die Zurechnung eines höheren fiktiven Erwerbseinkommens möglich. Insoweit liegt die Beweislast jedoch nur beim Unterhaltspflichtigen, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen auch einem Vollerwerbstätigen ein fiktives höheres Einkommen zugerechnet werden könnte, konkret dargelegt sind und nicht aufgeklärt werden können.
Ähnlich ist die Sachlage auch, wenn es um die Obliegenheit geht, neben einer vollen Erwerbstätigkeit noch zusätzliche Einkünfte durch eine Nebentätigkeit zu erzielen. Das Gericht muss in solchen Fällen anhand der Umstände des Einzelfalls prüfen, ob dem Erwerbstätigen die Ausübung einer weiteren Tätigkeit unter Berücksichtigung der damit verbundenen zeitlichen und physischen Belastung und unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überhaupt zuzumuten ist2.
Letztlich dürfte dies eher die Ausnahme als die Regel sein3. Der Unterhaltsberechtigte kann keineswegs in jedem Fall schematisch verlangen, dass der Unterhaltspflichtige im Rahmen der Vorschriften der Arbeitszeitverordnung die zulässige Höchstzeit voll ausschöpft. Bei Tätigkeiten, die mit besonderer körperlicher oder seelischer Belastung verbunden sind, wird im Allgemeinen eine Nebentätigkeit neben einer Vollzeiterwerbstätigkeit kaum in Betracht kommen.
In Ausfüllung dieser Grundsätze ist in dem vorliegendn entschiedenen Fall zunächst festzuhalten, dass der Antragsteller einer vollen Erwerbstätigkeit nachgeht, diese jedoch nicht die überwiegend übliche Arbeitszeit von ca. 40 Stunden wöchentlich erreicht. Vielmehr entspricht sie einer 35-Stunden-Woche, die in manchen Branchen als Umfang einer Vollzeittätigkeit tariflich vereinbart ist.
Dass der Antragsgegner seine Erwerbsobliegenheit schon dadurch verletzt, dass er überhaupt bei einer Zeitarbeitsfirma arbeitet und deshalb ein vergleichsweise niedriges Einkommen erzielt, ist nicht ersichtlich. Der Antragsgegner arbeitet offenbar erst wieder seit Mai 2011 in einer Vollzeitbeschäftigung. Der gesetzlichen Vertreterin des Antragstellers zu 2., die immerhin mit dem Antragsgegner verheiratet gewesen ist, müsste es bekannt sein, wenn dieser berufliche Erfahrungen und Qualifikationen hätte, die die derzeit ausgeübte Tätigkeit als Gabelstaplerfahrer als weit unter seinen Möglichkeiten liegend erscheinen ließen. Derartiges ist jedoch nicht vorgetragen. Der Senat muss deswegen zunächst davon ausgehen, dass der Antragsgegner, soweit es um die Art der Tätigkeit und auch die Höhe des Entgelts dafür geht, einer angemessenen Erwerbstätigkeit nachgeht.
Die Antragsteller können auch nichts daraus herleiten, dass der Antragsgegner nur 151,57 Stunden im Monat bezahlt bekommt und die restlichen Stunden dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden. Die Auffassung der Antragsteller, der Antragsgegner hätte sich die Überstunden ebenso gut auszahlen lassen können, trifft offenbar nicht zu. Die vom Antragsgegner vorgelegte Bescheinigung des Arbeitgebers verweist auf eine tarifvertragliche Regelung, wonach alle über die vertragliche monatliche Arbeitszeit von 151,67 Stunden hinausgehenden geleisteten Arbeitsstunden dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben und erst dann ausgezahlt werden, wenn sie die zulässige Höchstmenge von 150 Plusstunden übersteigen. Diese Beschränkung musste der Antragsgegner offenbar hinnehmen, als er begonnen hat, für die Firma A. zu arbeiten; die Behauptung, dass der Antragsgegner auch die Auszahlung der über der vereinbarten Arbeitszeit liegenden Arbeitsstunden hätte wählen können, ist durch die genannte Bescheinigung widerlegt.
Soweit der Antragsgegner danach mit seiner Erwerbstätigkeit nicht den vollen Umfang einer üblichen Vollzeitbeschäftigung erreicht, ist ihm allerdings, wie das Amtsgericht mit Recht ausgeführt hat, die Ausübung einer Nebentätigkeit wohl zuzumuten. Zugunsten der Antragsgegner soll weiterhin von einem im Rahmen dieser Nebentätigkeit zu erzielenden Einkommen von 148,00 € monatlich ausgegangen werden (wobei sich die Frage stellen würde, ob nicht hiervon noch pauschal ein gewisser Betrag für mögliche berufsbedingte Aufwendungen abgesetzt werden müsste).
Der Umstand, dass die Erwerbstätigkeit des Antragsgegners zeitlich möglicherweise einen geringeren Umfang hat als vom Amtsgericht angenommen und im Jahr 2012 wohl im zeitlichen Ausmaß noch weiter zurückgegangen ist, führt nicht dazu, dass ein noch höheres Nebentätigkeitsentgelt anzunehmen wäre. Das Amtsgericht hat nämlich eine Nebentätigkeit im vollen Umfang der nach der Arbeitszeitordnung zulässigen Wochenstunden zugrunde gelegt. Dem Senat erscheint dies im Ergebnis unangemessen viel. Denn auch wenn die Tätigkeit eines Gabelstaplerfahrers nicht ausgesprochen anstrengend sein mag, so ist zu bedenken, dass der Antragsgegner zumindest in Wechselschicht (zeitweise auch in Nachtschicht) arbeitet, was gerichtsbekannt zu besonderer Belastung führt. Weiterhin hat er erhebliche Fahrtzeiten zur Arbeit und auf dem Heimweg zurückzulegen, die in die Abwägung ebenfalls einfließen müssen. Dies gilt erst recht, wenn man ihm zumutet, öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen statt mit dem Auto zu fahren. Alles in allem kann dem Antragsgegner eine Nebentätigkeit, die hinsichtlich des zeitlichen Umfangs und des ihm fiktiv angerechneten Verdienstes über die Annahmen des Amtsgerichts hinausgeht, nicht zugemutet und ein höherer Verdienst aus Nebentätigkeit daher auch nicht fiktiv unterstellt werden.
Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 18. Oktober 2012 – 1 UF 158/12