Ein Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf Schutz des Staates, wenn die Eltern der ihnen zuvörderst obliegenden Pflege- und Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten können1.

Bei einer Gefährdung des Kindeswohls ist der Staat nicht nur nach Art. 6 Abs. 3 GG berechtigt, sondern auch verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG), die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen, was im äußersten Fall umfasst, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine bereits erfolgte Trennung aufrechtzuerhalten. Das gilt auch bei der Entscheidung über die Rückkehr eines Kindes in eine Pflegefamilie2.
Hält das Gericht eine Trennung des Kindes von seinen (Pflege)Eltern nicht für erforderlich, obwohl Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bei Rückkehr des Kindes zu diesen bestehen, hält die entsprechende gerichtliche Entscheidung verfassungsgerichtlicher Kontrolle nur dann stand, wenn das Gericht in Auseinandersetzung mit den für eine nachhaltige Gefahr sprechenden Anhaltspunkten nachvollziehbar begründet, warum eine solche Gefahr für das Kindeswohl nicht vorliegt.
Lehnt das Fachgericht in einer solchen Lage die Trennung beziehungsweise deren Aufrechterhaltung ab, unterliegt dies strenger verfassungsrechtlicher Kontrolle. Dann prüft das Bundesverfassungsgericht nicht lediglich, ob die angefochtene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere des Umfangs seines Schutzbereichs, beruhen. Vielmehr können dann auch einzelne Auslegungsfehler sowie deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts nicht außer Betracht bleiben3.
Selbst dieser strenge verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab führt aber nicht dazu, dass das Bundesverfassungsgericht eine eigene Gefahrprognose vornimmt und diese an die Stelle der in der Fachgerichtsbarkeit erfolgten setzt. Es prüft aber, ob das fachgerichtliche Verfahren geeignet und angemessen war, damit das Fachgericht eine möglichst zuverlässige Grundlage für die Prognose über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erlangen konnte4.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. Juli 2023 – 1 BvR 1242/23
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.02.2021 – 1 BvR 1780/20, Rn. 26 m.w.N.; siehe auch BVerfGE 159, 355 <382 Rn. 46 m.w.N.>[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.02.2021 – 1 BvR 1780/20, Rn. 27 f. m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.02.2021 – 1 BvR 1780/20, Rn. 30 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.02.2017 – 1 BvR 2569/16, Rn. 46; Beschluss vom 12.02.2021 – 1 BvR 1780/20, Rn. 28[↩]
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