Unterbringung über vier Jahren – und die externe Begutachtung

Die aus § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG folgende Verpflichtung des Gerichts, bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren einen externen Gutachter zu bestellen, entfällt nicht bei kurzzeitigen Unterbrechungen des Freiheitsentzugs und besteht auch dann, wenn der Betroffene trotz zwischenzeitlichen Fehlens einer Unterbringungsgenehmigung weiterhin gegen seinen Willen untergebracht war.

Unterbringung über vier Jahren – und die externe Begutachtung

Nach § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG soll das Gericht bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist. Dabei muss die Unterbringung nicht bereits im Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz vier Jahre vollzogen sein. Ausreichend ist vielmehr, dass der mit der angefochtenen Entscheidung verlängerte Unterbringungszeitraum über das Fristende hinausreicht. Denn die gesetzliche Vorschrift will gerade vermeiden, dass eine Unterbringung über einen Zeitraum von vier Jahren hinaus aufrechterhalten wird, ohne dass ihr das Gutachten eines außenstehenden Sachverständigen zugrunde liegt. Will das Gericht von dieser Regel aufgrund besonderer Umstände abweichen, so muss es diese benennen1.

Diesen rechtlichen Anforderungen wurde das bisherige Verfahren in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht gerecht:

Die Rechtsbeschwerde macht zutreffend geltend, dass die Betroffene seit April 2012 geschlossen untergebracht ist, so dass die jetzige Unterbringungsgenehmigung über die von § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG genannte Gesamtdauer von vier Jahren hinausgeht. Dem steht nicht entgegen, dass die letzte Unterbringungsgenehmigung nur bis zum 29.07.2019 reichte, das Amtsgericht erst am 5.09.2019 die weitere Unterbringung genehmigt hat und mithin rund fünf Wochen kein Beschluss über eine Unterbringungsgenehmigung bestand.

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Allerdings sind Zeiträume zurückliegender Unterbringungen grundsätzlich nicht in die Fristberechnung einzubeziehen, wenn sich der Betroffene zwischenzeitlich in Freiheit befunden hat, so dass für den Fristbeginn auf das Wirksamwerden (§ 324 FamFG) derjenigen Unterbringungsgenehmigung abzustellen ist, die bis zum Fristlablauf ununterbrochen vollzogen wird2. Kurzzeitige Unterbrechungen – etwa bei Entweichen des Betroffenen, kurzem Freigang oder Aussetzung der Vollziehung nach § 328 FamFG in den Fällen des § 312 Nr. 4 FamFG – bleiben in Anbetracht des Gesetzeszwecks, Zweifeln an der Objektivität des Gutachters entgegenzuwirken und eine durch die Einschaltung desselben Sachverständigen herbeigeführte Perpetuierung der Unterbringung zu verhindern, ohne Einfluss auf den Fristlauf3.

Ob eine fünfwöchige Unterbrechung noch als kurzzeitig in diesem Sinne anzusehen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn die Betroffene hat sich während des genehmigungslosen Zustands tatsächlich nicht in Freiheit befunden, sondern war weiterhin in der geschlossenen Einrichtung untergebracht. Zudem ging der Wille des Amtsgerichts dahin, an die vorhergehende Unterbringungsgenehmigung nahtlos anzuknüpfen, wie sich schon daraus ergibt, dass die „weitere Unterbringung“ genehmigt worden ist.

Die Sachverständige, deren Gutachten im vorliegenden Fall der zweijährigen Unterbringungsgenehmigung nach §§ 329 Abs. 2 Satz 1, 321 Abs. 1 FamFG zugrunde liegt, hatte jedoch bereits in den Jahren 2013 und 2017 Sachverständigengutachten über die Betroffene in Unterbringungssachen gefertigt. Weshalb das Amtsgericht sie gleichwohl unter Abweichung von der Regel des § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG mit der Gutachtenserstellung beauftragt hat, lässt sich den tatrichterlichen Entscheidungen nicht entnehmen.

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Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Landgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist.

Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht auch Gelegenheit, die rechtlichen Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich bei einer langjährigen Unterbringung mit Blick auf die Feststellung der von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorausgesetzten Gefährdung von Leib und Leben der Betroffenen und die hierfür gebotene Begründungstiefe der gerichtlichen Entscheidung sowie für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung ergeben4.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. Oktober 2020 – XII ZB 167/20

  1. BGH, Beschluss vom 23.11.2016 – XII ZB 458/16 , FamRZ 2017, 227 Rn. 14 f.; vgl. auch BGH, Beschluss BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 16[]
  2. vgl. Keidel/Giers FamFG 20. Aufl. § 329 Rn. 14; vgl. auch – zur Vorgängervorschrift des § 70 i Abs. 2 Satz 2 FGG – BayObLG Beschluss vom 31.01.1994 – 3Z BR 10/94 11[]
  3. vgl. etwa Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG 3. Aufl. § 329 Rn. 4; Keidel/Giers FamFG 20. Aufl. § 329 Rn. 14; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 329 Rn. 12; Prütting/Helms/Roth FamFG 5. Aufl. § 329 Rn. 10 f.[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 17 ff. mwN; und vom 10.06.2020 – XII ZB 215/20 , FamRZ 2020, 1406 Rn. 11[]
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