Beratungshilfe für Eltern und Kinder

Das Grundgesetz verbürgt in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 1 und 3 GG den Anspruch auf grundsätzlich gleiche Chancen von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte auch im außergerichtlichen Bereich, somit auch im Hinblick auf die Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz1.

Beratungshilfe für Eltern und Kinder

Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten2.

Dabei brauchen Unbemittelte nur solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen3. Kostenbewusste Rechtsuchende werden dabei insbesondere prüfen, inwieweit sie fremde Hilfe zur effektiven Ausübung ihrer Verfahrensrechte brauchen oder selbst dazu in der Lage sind. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten stellt die Versagung von Beratungshilfe keinen Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit dar, wenn Bemittelte wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würden4. Ob diese zur Beratung notwendig ist oder Rechtsuchende zumutbar5 auf Selbsthilfe verwiesen werden können, hat das Fachgericht unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls abzuwägen. Insbesondere kommt es darauf an, ob der dem Beratungsanliegen zugrunde liegende Sachverhalt schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft und Rechtsuchende über ausreichende Rechtskenntnisse verfügen4.

Die Notwendigkeit anwaltlicher Beratung kann verfassungskonform nicht stets und pauschal mit der Begründung verneint werden, einem anderen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II sei Beratungshilfe für ein in sachlicher und zeitlicher Hinsicht parallel gelagertes Verfahren bewilligt worden. Dies gilt auch in den Konstellationen, in denen ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, dem Beratungshilfe bewilligt wurde, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für sich und die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft beantragt hat (§ 38 SGB II), oder ein solches Mitglied ein zur Bedarfsgemeinschaft gehörendes minderjähriges Kind gesetzlich vertritt (§ 1626 Abs. 1, § 1629 BGB). Anspruchsberechtigt nach dem SGB II sind die jeweiligen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft selbst6. Es kann daher bereits die Frage, ob ein Parallelfall vorliegt, bei Rechtsunkundigen den Beratungsbedarf zur Wahrnehmung ihrer Rechte begründen7.

Nicht in Einklang mit der Verfassung steht zudem, generell minderjährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft mit dem Hinweis auf die gesetzliche Vertretung nach § 1626 Abs. 1, § 1629 BGB durch andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft die Bewilligung von Beratungshilfe zu versagen. Die gesetzliche Vertretung soll Minderjährigen die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglichen. Hierzu gehört auch die Inanspruchnahme von Beratungshilfe. Zur Wahrnehmung ihrer Rechte haben Minderjährige daher grundsätzlich einen Anspruch auf Gewährung von Beratungshilfe, den sie lediglich im Wege der gesetzlichen Vertretung geltend machen.

Eine Ausnahme macht das Bundesverfassungsgericht allerdings bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Grundsicherung einer aus Eltern und Kindern bestehenden Bedarfsgemeinschaft:

Wenn hingegen die Parallelität der Fallgestaltungen offensichtlich ist und die in einem Fall erhaltene Beratung ohne Hindernisse und wesentliche Änderungen auf weitere Fälle übertragen werden kann, gebietet es das Grundrecht auf Rechtswahrnehmungsgleichheit nicht, unbemittelten Rechtsuchenden auch für die Wahrnehmung ihrer Rechte in diesen weiteren, aber parallel gelagerten Fällen Beratungshilfe zu bewilligen. Denn durch die Beratung in einem Fall werden auch sie in die Lage versetzt, ihre eigene Angelegenheit hinreichend zu beurteilen und ihre Rechte angemessen wahrzunehmen. Aus der rechtlichen Beratung eines anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft und den dabei entstehenden Dokumenten lassen sich bei mehreren gleich gelagerten Begehren spezifische Rechtskenntnisse ziehen, die auch eine sonst rechtlich anspruchsvolle Materie dann ohne juristische Vorbildung handhabbar machen können. Unbemittelten ist es in diesen Fällen zumutbar, selbst einen Rechtsbehelf einzulegen; sie können auf die Ausführungen in der Angelegenheit verweisen, für die Beratungshilfe bewilligt wurde, und den Beratungsinhalt und die Unterlagen zur Grundlage ihres Vortrags machen. Dieser Verweis auf Selbsthilfe schränkt die Rechtswahrnehmung nicht unverhältnismäßig ein, weil auch kostenbewusste Bemittelte das aufgrund einer Beratung in einem parallel gelagerten Fall dann vorhandene Wissen selbstständig auf die anderen Fälle übertragen würden.

Entscheidend ist nach dem Grundgesetz nicht, ob die Amtsgerichte die Verweigerung von Beratungshilfe auf die Mutwilligkeit der Wahrnehmung subjektiver Rechte (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG) oder auf die Möglichkeit der Selbsthilfe (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG) stützen. Dies wird aus den angefochtenen Entscheidungen auch nicht deutlich. Doch muss sich der Mutwillen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift auf die Wahrnehmung der Rechte und nicht auf die Geltendmachung eines Anspruchs auf Gewährung von Beratungshilfe beziehen.

Das Amtsgericht ist von Verfassungs wegen nicht gehalten, neben den Eltern auch den in der gleichen Bedarfsgemeinschaft geführten Kindern Beratungshilfe zu bewilligen.

Es liegen keine Hindernisse vor, die dem Informationsfluss und der Heranziehung der Dokumente aus der anwaltlichen Beratung entgegenstehen könnten. Solche sind auch nicht ersichtlich. Konkrete Unterschiede in den Fallgestaltungen, die eine wesentlich abweichende Reaktion der Kinder erfordern würde, lassen sich der Verfassungsbeschwerde zudem nicht entnehmen; auch hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor. Auch hier hatte der Vortrag aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Verwaltungsverfahren dieselbe Zielrichtung. Sie beanstandeten ausschließlich die Höhe der vom Grundsicherungsträger berücksichtigten Leistungen für Unterkunft und Heizung. Nutzen Hilfebedürftige eine Unterkunft gemeinsam, sind die Gesamtkosten der Unterkunft und Heizung anteilig pro Kopf aufzuteilen8. Daher können die durch ihre Eltern vertretenen Kinder die Beratung, die die Eltern erhalten haben, auf ihre Situation übertragen.

  1. vgl. BVerfGE 122, 39, 48 ff.[]
  2. vgl. BVerfGK 15, 438, 441; BVerfG, Beschluss vom 02.09.2010 – 1 BvR 1974/08; Beschluss vom 09.01.2012 – 1 BvR 2852/11[]
  3. vgl. BVerfGE 81, 347, 357; 122, 39, 51[]
  4. vgl. BVerfGK 15, 438, 444; BVerfG, Beschluss vom 28.09.2010 – 1 BvR 623/10[][]
  5. vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.11.2010 – 1 BvR 787/10[]
  6. vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R[]
  7. vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.09.2010 – 1 BvR 1974/08; Beschluss vom 30.05.2011 – 1 BvR 3151/10[]
  8. vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008 – B 14/11b AS 55/06 R[]