Für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit im Ausland besteht (bei gleichzeitiger Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland) kein Anspruch auf einen Gründungszuschuss.

Nach § 57 Abs 1 SGB III haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen GZ, wenn sie die im Einzelnen in § 57 Abs 2 SGB III genannten Voraussetzungen erfüllen (u.a. Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bzw Ausübung einer als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderten Beschäftigung bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit, Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung). Dagegen kann § 421l SGB III1 nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden, weil nach dessen Abs 5 die Regelungen vom 01.07.2006 an nur noch Anwendung finden, wenn der Anspruch auf Förderung vor diesem Tag bestanden hat, was bei Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit am 4.09.2008 nicht der Fall sein kann.
Bei einer geplanten selbständigen Tätigkeit im Ausland scheitert ein Anspruch auf Gründungszuschuss bereits an § 30 Abs 1 SGB I, der die Vorschriften des SGB auf Personen begrenzt, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben (Territorialitätsprinzip).
Nach § 30 Abs 3 S 1 SGB I hat jemand seinen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Entscheidend sind die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse; der Wohnsitz liegt dort, wo jemand den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse hat2.
Den gewöhnlichen Aufenthalt hat gemäß § 30 Abs 3 S 2 SGB I jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Dies umfasst auch ein insoweit erforderliches subjektives Element, nämlich den Willen, auf längere Dauer an dem betreffenden Ort zu verweilen3, der im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) festzustellen ist4.
§ 30 SGB I wird auch nicht durch abweichende Regelungen des deutschen Rechts (vgl § 37 S 1 SGB I) oder des über- und zwischenstaatlichen Rechts verdrängt. Insbesondere ist § 57 SGB III nicht zu entnehmen, es reiche bereits ein in der Vergangenheit liegender Bezug zur Versichertengemeinschaft aus.
Zwar trifft es zu, dass der Gründungszuschuss an Arbeitnehmer geleistet wird, die durch Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit in Deutschland beenden (§ 57 Abs 1 SGB III), die (u.a.) bis zur Aufnahme einen Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III haben und die bei Aufnahme noch über eine bestimmte Dauer eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld verfügen (§ 57 Abs 2 S 1 Nr 1 und 2 SGB III). Aus § 57 SGB III in der einschlägigen Fassung ergibt sich über die genannten Regelungen hinaus aber auch, dass die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachgewiesen sein muss (§ 57 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB III) und dass die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung erbracht wird (§ 57 Abs 1 SGB III, vgl auch § 58 SGB III). Insofern kann die zu § 421l SGB III idF des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621, ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts5 nicht auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen werden, weil für den Existenzgründungszuschuss nach der vorgenannten Vorschrift weder die Prüfung einer Erfolgsaussicht noch eine Zweckbindung zur sozialen Sicherung vorgeschrieben war6.
Durch die Gesamtregelung des § 57 iVm § 58 SGB III kommt somit zum Ausdruck, dass während des Leistungsbezugs auch die weitere Ausübung der selbstständigen Tätigkeit gegeben sein muss, weshalb ein territorialer Bezug auch für die Zeit ab Aufnahme dieser Tätigkeit als erforderlich anzusehen ist. Es kann folglich – wie das LSG zutreffend ausgeführt hat – nicht angenommen werden, durch § 57 SGB III sei die allgemeine Regel des § 30 SGB I modifiziert worden. Der gegenläufigen Ansicht, § 57 SGB III erfordere ausschließlich die Beendigung der Arbeitslosigkeit in Deutschland7, ist nicht zu folgen.
Dass der Existenzgründer unter den gegebenen Umständen keinen Anspruch auf einen Gründungszuschuss hat, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist weder eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG noch eine Verletzung des Art 14 GG ersichtlich.
Insbesondere steht dem Ausschluss eines Leistungsanspruchs nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassugnsgerichts und des Bundessozialgerichts entgegen, wonach es dem Gesetzgeber nicht frei steht, ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung zu wechseln8. Denn die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Fallgestaltungen, die vor allem Personen mit zeitweiligem grenznahen Auslandswohnsitz betreffen, sind mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. In einem Fall wie dem vorliegend entschiedenen, in dem der Existenzgründer während der Versicherungspflicht gemäß § 28a SGB III im Inland gewohnt und danach den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt in das außereuropäische Ausland verlegt hat, ist der Gesetzgeber nicht gehindert, den Leistungsanspruch von einem fortbestehenden Bezug zum Inland abhängig zu machen. Insoweit stellt die gesetzliche Regelung nach § 57 SGB III iVm § 30 Abs 1 SGB I auch eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 2 S 1 GG dar.
Bundessozialgericht, Urteil vom 6. März 2013 – B 11 AL 5/12 R
- idF des Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 22.12.2005, BGBl I 3676[↩]
- vgl BSG SozR 3–5870 § 2 Nr 36 S 140 ff; BSG SozR 4–7837 § 12 Nr 1 RdNr 18; Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 30 SGB I, RdNr 15 ff, Stand Einzelkommentierung September 2007[↩]
- vgl BSGE 60, 262, 263 = SozR 1200 § 30 Nr 10 mwN[↩]
- vgl BSG SozR 4–1200 § 30 Nr 6 RdNr 25 mwN[↩]
- BSG, Urteil vom 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R – BSGE 101, 224 = SozR 4–4300 § 421l Nr 2[↩]
- vgl BSG, Urteil vom 27.08.2008 aaO RdNr 22, 29[↩]
- so – nicht entscheidungserheblich – zu § 57 SGB III in der ab 1.01.2005 geltenden Fassung: Hessisches LSG Urteil vom 23.09.2011 – L 7 AL 104/09[↩]
- BVerfG Beschluss vom 30.12.1999 – 1 BvR 809/95, SozR 3–1200 § 30 Nr 20; BSG, Urteile vom 27.08.2008 – B 11 AL 7/07 R, SozR 4–4300 § 119 Nr 7; und vom 07.10.2009 – B 11 AL 25/08 R – BSGE 104, 280 = SozR 4–1200 § 30 Nr 5[↩]
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