Es ist mit der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar, dass ausländische Quellensteuerbeträge gemäß § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG nicht gemäß § 32d Abs. 1 Satz 2 EStG auf die Einkommensteuer zum gesonderten Tarif i.S. des § 32d Abs. 1 EStG anrechenbar sind und verfallen, wenn die zugrunde liegenden ausländischen Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG mit inländischen Verlusten aus Kapitalvermögen zu verrechnen sind.

Der Bundesfinanzhof hat keine Zweifel, dass die zwingende vollständige Verlustverrechnung der quellensteuerbelasteten ausländischen Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG, die beim Anleger sowohl zur Nichtanrechenbarkeit der ausländischen Quellensteuer im Streitjahr als auch zu einer Verminderung der künftig verrechenbaren verbleibenden Verluste führt, mit der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 49, Art. 63 AEUV) vereinbar ist und auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Eine Herausnahme der ausländischen quellensteuerbelasteten Kapitalerträge aus der Verlustverrechnung des Streitjahrs scheidet daher aus.
Die ausländischen Quellensteuerbeträge des Anlegers sind, wie im hier entschiedenen Fall in der Vorinstanz vom Finanzgericht Köln1 im Ergebnis zu Recht erkannt, nicht gemäß § 32d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32d Abs. 5 EStG auf die Einkommensteuer anzurechnen, da es aufgrund der Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG an einer inländischen Einkommensteuerbelastung der zugrunde liegenden ausländischen Kapitalerträge des Anlegers i.S. des § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG fehlt.
§ 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG geben vor, dass die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer für den jeweiligen ausländischen Kapitalertrag auf die Höhe der Einkommensteuer begrenzt ist, die auf diesen entfällt (sog. per-item-limitation) und dass der Anrechnungsbetrag an ausländischer Steuer je Kapitalertrag 25 % der Einnahme (des jeweiligen Kapitalertrags) nicht übersteigen darf. Zudem ist die Summe der nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge gemäß § 32d Abs. 5 Satz 3 EStG begrenzt, d.h. die Einkommensteuer auf die gesamten in- und ausländischen Kapitalerträge, die dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegen, kann durch die Anrechnung der ausländischen Steuerbeträge (§ 32d Abs. 1 Satz 2 EStG) maximal auf 0 € gemindert werden; ein Anrechnungsüberhang wird weder erstattet noch vorgetragen2.
Keiner der für die Prüfung der Anrechnungsvoraussetzungen gemäß § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG einzeln zu betrachtenden ausländischen Kapitalerträge des Anlegers unterliegt jedoch im Streitjahr nach der Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG einer inländischen Einkommensteuerbelastung. Die Verluste sind gemäß § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG nach den gesetzlichen Regelungen zur Einkünfteermittlung zwingend bereits vor der Anrechnung ausländischer Steuern auf die Einkommensteuer nach § 32d Abs. 5 i.V.m. § 32d Abs. 1 Satz 2 EStG zu verrechnen. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Systematik und dem Wortlaut des § 32d Abs. 1 Sätze 2 und 5 EStG, wonach die „nach Maßgabe des Absatzes 5 anrechenbaren ausländischen Steuern“ von der Steuer auf die „nach den Vorschriften des § 20 ermittelten Einkünfte“ abzuziehen sind. Das vom Anleger beanspruchte Wahlrecht, seine Verluste bei der X-Bank selektiv nicht mit den quellensteuerbelasteten ausländischen Kapitalerträgen, sondern nur mit seinen übrigen positiven in- und ausländischen Kapitalerträgen verrechnen zu können, enthält § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG nicht.
Auf § 32d Abs. 5 Satz 3 EStG, der eine Anrechnung ausländischer Quellensteuern versagt, soweit die gesamten anrechenbaren Quellensteuerbeträge die Einkommensteuer auf sämtliche (in- und ausländischen) Kapitalerträge übersteigen, kommt es für die Entscheidung des Streitfalls nicht an, da schon die Anrechnungsvoraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 nicht erfüllt sind.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen ebenso wie für ungleiche Begünstigungen. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, die er mit gleichen Rechtsfolgen belegt und damit als „wesentlich gleich“ qualifiziert. Diese Auswahl muss jedoch sachgerecht in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche erfolgen3. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind4. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder anderer sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt5.
Im Hinblick auf die Regelungen in § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG und § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG fehlt es an einer Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte.
In- und ausländische Kapitalerträge, die dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, werden im Rahmen der Einkünfteermittlung und der Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG gleich behandelt.
Soweit infolge der Verlustverrechnung für ausländische quellensteuerbelastete Kapitalerträge keine Einkommensteuerbelastung entsteht und die nicht anrechenbare ausländische Quellensteuer verfällt, inländische Kapitalertragsteuer im Verlustfall aber angerechnet (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG) und erstattet wird, liegen wesentlich ungleiche Sachverhalte vor. Die ausländische Quellensteuer ist als vereinnahmte Steuer eines ausländischen Fiskus im Rahmen der Steuerfestsetzung gemäß § 32d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32d Abs. 5 EStG nur dann zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung abzuziehen, wenn die zugrunde liegenden ausländischen Kapitalerträge mit deutscher Einkommensteuer belastet sind. Ohne eine inländische Einkommensteuerbelastung der ausländischen Kapitalerträge fehlt es schon an einer Doppelbesteuerung der Kapitalerträge im Quellen- und im Wohnsitzstaat und infolgedessen an der Notwendigkeit, die ausländische Steuer im Rahmen der inländischen Steuerfestsetzung Deutschlands als Wohnsitzstaat mindernd zu berücksichtigen. Bei der inländischen Kapitalertragsteuer handelt es sich hingegen um eine Steuervorauszahlung an den deutschen Fiskus, die im Rahmen des Erhebungsverfahrens zu erstatten ist, wenn für die zugrunde liegenden Kapitalerträge keine Einkommensteuer anfällt.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. November 2021 – VIII R 22/18
- FG Köln, Urtiel vom 17.05.2018 – 13 K 3342/12[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/10189, S. 53; Brandis/Heuermann/Werth, § 32d EStG Rz 110 bis 112; Schmidt/Levedag, EStG, 40. Aufl., § 32d Rz 26; Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 32d Rz 19; Oellerich in Bordewin/Brandt, § 32d EStG Rz 117, 119; Kühner in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32d EStG Rz 81; unklar Ahrensfeld/Hilbert, Neue Wirtschafts-Briefe 2019, 2423, 2428 f.[↩]
- vgl. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 12.02.2003 – 2 BvL 3/00, BVerfGE 107, 218; und vom 23.05.2006 – 1 BvR 1484/99, BVerfGE 115, 381[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 29.03.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, BStBl II 2017, 1082; und vom 19.11.2019 – 2 BvL 22/14, 2 BvL 23/14, 2 BvL 24/14, 2 BvL 25/14, 2 BvL 26/14, 2 BvL 27/14, BVerfGE 152, 274, m.w.N.[↩]
- vgl. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 05.10.1993 – 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132; und vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01, BVerfGE 113, 167, Rz 126[↩]